Unterhaltsamer Abend mit Raoul Schrott zum Lesefestival-Auftakt

Der österreichische Autor Raoul Schrott erwies sich bei der Eröffnung des Lesefestivals als begnadeter und lebhafter Erzähler.

Foto: Wittkopf

Kronberg (pf) – „Das Buch ist noch so frisch, erst in diesen Tagen erschienen, dass ich noch gar nicht weiß, was ich daraus vorlesen soll.“ Der österreichische Literaturwissenschaftler, Erzähler, Lyriker und Übersetzer Raoul Schrott, der Montagabend mit einer Lesung in der Stadtbücherei das achte Kronberger Lesefestival eröffnete, begann daher den Abend damit, zu erzählen, wie er eigentlich auf das Thema seines neuen Buches mit dem abenteuerlich langen Titel „Eine Geschichte des Windes oder Von dem deutschen Kanonier, der erstmals die Welt umrundete und dann ein zweites und ein drittes Mal“ gekommen sei. „Wie die Jungfrau zum Kind, wie man bei uns sagt“, schmunzelte er.

Ein Filmemacher hatte die Idee, die Reise des portugiesischen Ritters und Seefahrers Ferdinand Magellan, portugiesisch Fernão de Magalhães, der Anfang des 16. Jahrhunderts im Auftrag der spanischen Krone eine Westroute zu den Gewürzinseln finden sollte und dabei zum ersten historisch belegten Weltumsegler wurde, noch einmal zu machen und zu sehen, wie es heute an den Orten aussieht, die dieser damals ansteuerte. Raoul Schrott sollte dazu die Texte schreiben.

Bei seinen umfangreichen Recherchen in alten Logbüchern, Gerichtsakten und anderen Dokumenten entdeckte er, dass ein Österreicher namens Georg und zwei deutsche Kanoniere, einer aus Thüringen und ein zweiter aus Aachen, mit an Bord der fünf Schiffe waren, die am 20. Dezember 1519 zu der Reise ins Unbekannte aufbrachen. Sie dauerte drei Jahre und nur ein Schiff, die „Victoria“, und nur 18 der anfangs 250 Mann Besatzung kehrten seinerzeit nach Spanien zurück. Unter ihnen Hannes aus Aachen.

1525 stachen erneut Schiffe von Spanien aus in See, um zu den Gewürzinseln zu gelangen, denn seltene Gewürze wie Muskatnüsse und Nelken waren seinerzeit ein Vermögen wert, wurden gleichsam in Gold aufgewogen. Von der zweiten Reise kehrten von den rund 500 Seeleuten nur sieben zurück, unter ihnen wiederum Hannes aus Aachen. Dessen Namen entdeckte Raoul Schrott schließlich auch auf der Besatzungsliste der dritten Expedition, die sich 1542 auf den unglaublich gefährlichen und beschwerlichen Weg übers Meer machte. „Es war der Beginn der Globalisierung“, meinte der Schriftsteller. „Und es waren rein kapitalistische Gründe, aus denen Magellan mit seinen Schiffen und Seeleuten seinerzeit lossegelte.“

Flauten und Stürme, vielerlei Übel wie Seekrankheit und Skorbut, Kälte und Hunger machten damals die erste Weltumsegelung für die Menschen zu einer unglaublichen Tortur. Dazu kamen Meuterei, grausame Bestrafungen der aufsässigen Besatzungsmitglieder, Kämpfe und kriegerische Auseinandersetzungen mit unbekannten Eingeborenen. Sie entdeckten viele unbekannte und zum Teil beängstigende Tiere wie Guanakos und Walrösser, für die es damals in Europa noch gar keine Namen gab. Und sie erlebten widrige Winde, Flauten, verheerende Stürme, Meeresungeheuer und versinkende Schiffe.

Hannes aus Aachen machte Raoul Schrott zur Hauptperson seines Romans, dessen Beginn er den zahlreich erschienenen Zuhörern in der Stadtbücherei vorlas. In einer zweiten Passage schilderte er die Torturen, denen aufmüpfige Seeleute an Bord ausgesetzt waren, wobei er, wie er betonte, Originalzitate aus Gerichtsakten verwendet habe. Und in einer dritten Episode schilderte er die höchst amüsanten Erlebnisse von Hannes in einem Nonnenkloster, das er gemeinsam mit Pilgern erreichte, denen er sich völlig mittellos anschloss. Denn der Kanonier hatte niemals nach einer seiner Reisen Geld ausgezahlt bekommen. Das hatte der Buchautor anhand der Besoldungslisten herausgefunden.

Das Beste aber sei der Schluss seines Romans, verkündete Raoul Schrott seinem Publikum. Diese unglaubliche, aber wahre Geschichte habe ihm auf seiner Reise um die Welt ein Journalist des berühmten amerikanischen Natur- und Wissenschaftsmagazins „National Geographic“ erzählt. Und als er sie hörte, habe er gewusst, dass damit sein Roman über die Erlebnisse von Hannes aus Aachen enden würde.

Aber diese Geschichte verriet er natürlich nicht. Stattdessen nahm er sich Zeit, seine vom Verlag liebevoll gestalteten Bücher, in denen es eine uralte Weltkarte, die Darstellung eines Meeresungeheuers, aber keine Seitenzahlen gibt, zu signieren. Der Filmemacher übrigens, der den Anstoß zu den Recherchen über Magellan und die abenteuerlichen Weltumsegelungen gab, erzählte der Autor, sei seinerzeit, als sie losfahren wollten, einfach nicht erschienen und so sei er alleine auf Reisen gegangen.



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