Zeichen gesetzt! Mehrheit für Resolution für die Menschenwürde

Kronberg (pu) – Während sich beispielsweise im benachbarten Königstein oder in Oestrich-Winkel unter dem Eindruck des Mordes am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, dessen mutmaßliche Täter der rechtsextremistischen Szene zugerechnet werden, alle im Parlament vertretenen Fraktionen ungeachtet aller sonstigen Zwistigkeiten unverzüglich und ohne vorherige Diskussion den Werten des „Hessischen Plädoyers für ein solidarisches Zusammenleben“ verschrieben haben, hapert es in der Burgstadt an einem einheitlichem Votum.

Irritation

Im Detail zückte ein Parlamentarier das rote Kärtchen für „Nein“, sechs enthielten sich der Stimme. Die Mehrheit, 23, stimmten dagegen mit „Ja“, als der Tagesordnungspunkt „Resolution: Hessisches Plädoyer für ein solidarisches Zusammenleben“ aufgerufen wurde. Vor der Abstimmung verlas der KfB-Stadtverordnete Rainer Schmidt eine persönliche Erklärung, in deren Verlauf er seiner Irritation Ausdruck verlieh, weil diese Vorlage zuvor nicht in den Gremien eingebracht worden war und die damit verbundene Gelegenheit zur Diskussion fehlte. Zu allem Überfluss sei nicht ersichtlich, wer die Vorlage eingebracht habe, eine „Kollektivabstimmung“ sei für ihn der falsche Weg. Vielmehr schlug er eine Sitzungspause vor, in der das Papier im Nebenraum von jedem Einzelnen unterschrieben werden könne.

Diesem Ansinnen erteilten wiederum die Fraktionen von CDU, SPD, FDP, Bündnis90/Die Grünen und UBG eine mehr als deutliche Absage. Das unüberhörbare Raunen in deren Reihen brachte Bündnis90/Die Grünen-Vorstand Udo Keil stocksauer und mühsam die Contenance bewahrend auf den Punkt: „Ich bin entsetzt, wer nicht abstimmt, stellt sich ins Abseits!“

Resolution

Und dafür stimmte die Mehrheit:

1. Die Würde des Menschen zu schützen, ist Sinn der Demokratie. „Die Menschenwürde ist unantastbar“ – dieser Grundsatz ist die erste und oberste Norm unseres demokratischen Staates. Er unterliegt einem absoluten Schutzgebot. Er ist Leitgedanke allen staatlichen Handelns und des gesellschaftlichen Zusammenlebens und ist nach allem, was durch Deutsche an Unmenschlichkeit und Hass geschehen ist, nicht verhandelbar. Es geht um das Recht auf Leben, auf körperliche Unversehrtheit und um Freiheit als Kern der Menschenwürde, aber auch um Gleichheit, Respekt und Teilhabe in unserer Gesellschaft. Unsere Unterschiede und unsere kulturelle Vielfalt begreifen wir als Chance und Reichtum.

2. Gegenwärtig findet eine dramatische politische Verschiebung statt. Rassismus und Menschenfeindlichkeit sind in erschreckendem Maße gesellschaftsfähig geworden. Was gestern noch undenkbar war und als unsagbar galt, wird derzeit Realität. Viele Teile Europas sind von einer nationalistischen Stimmung, von Ausgrenzung und Entsolidarisierung erfasst. Widerspruch wird gezielt als realitätsfremd diffamiert, solidarisches Handeln von einzelnen Regierungen kriminalisiert. Humanität und Menschenrechte, Religionsfreiheit und demokratischer Rechtsstaat werden offen angegriffen. Es ist ein Angriff, der uns allen gilt.

3. Wir treten für eine offene, demokratische und solidarische Gesellschaft ein und wollen den gesellschaftlichen Zusammenhalt auf der Grundlage von Menschenwürde, Menschenrechten und sozialer Gerechtigkeit fördern. Wir treten jeder Form von Demokratiefeindlichkeit, Hass, Hetze, Diskriminierung, Rassismus, Antisemitismus und Erniedrigung entgegen. Wir wollen noch stärker als bisher die Anerkennung von Verschiedenheit mit dem Engagement gegen Ungleichheit verbinden, in Deutschland, in Europa und weltweit.

4. Wir setzen uns ein für ein offenes, demokratisches und solidarisches Europa, das der zunehmenden sozialen Ungleichheit stärker als bisher entgegenarbeitet. Wir verteidigen das Recht auf Leben und das Recht auf Schutz und Asyl. Wir engagieren uns für ein Europa, das sich auch seinem kolonialen Erbe stellt und seiner Verantwortung für eine solidarische Weltgesellschaft gerecht wird. Gerade in der Zeit der Krise gibt es keinen anderen Weg als die Solidarität zwischen den Menschen.

5. Wir wollen beitragen zu einem zukunftsfähigen Verständnis unserer Demokratie, das sich für bisher ausgeschlossene Menschen öffnet. Wir wollen neu verhandeln, was ein gutes demokratisches Miteinander ausmacht – ohne zum Beispiel Menschen mit Flucht- oder Migrationsgeschichte auszuschließen. Wir setzen uns für eine demokratische und gewaltfreie Streitkultur ein. Und wir schreiten ein, wenn die Grenzen eines guten, fairen und demokratischen Miteinanders verletzt werden.

Wir verpflichten uns, einen Diskussionsprozess zur Weiterentwicklung unserer Demokratie anzustoßen und mitzutragen. Dabei stehen wir ein für Ehrlichkeit – auch gegenüber Fehlern, die im Miteinander einer sich schnell verändernden Gesellschaft gemacht werden. Wir sehen dieses Hessische Plädoyer als Auftakt eines Prozesses. Wir wünschen uns, dass sich eine breite demokratische Mehrheit unseres Landes daran beteiligt.



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