Leserbrief

Unser Leser Volker Stumm, Stadtältester/ehemaliger FDP-Fraktionsvorsitzender Bahnhofstraße, Kronberg, schreibt unter der Überschrift „Das Märchen von einem kleinen Städtchen, das verzweifelt seinen Charakter zu erhalten suchte...“ Folgendes:

Es war einmal ein Städtchen – malerisch am Südhang des Altkönigs gelegen; von Natur, Geschichte, Schönheit und meist Prosperität verwöhnt; als Ausflugsziel gesucht und gerne als Wohnort gefunden –, das beschlich seit einiger Zeit ein die Idylle trübendes Gefühl der unguten Veränderungen. Denn es war die schneewittige, dornrösige und frauhollige Wahrheit: Was ihm seit Jahren in unzähligen Sonntagsreden mit wohlfeilen Worten vollmundig versprochen ward, fand zunehmend keine Entsprechung im Alltagshandeln.

Wie schön klangen all die Formulierungen und Zukunftsversprechen. Da war die Rede von Nachhaltigkeit, Bewahren des einzigartigen Charakters der grünen, liebens- und lebenswerten Stadt, von Alleinstellungsmerkmalen, die zu schützen seien, von Würdigung der Wünsche der Bürger, die beglückt und engagiert an der Erstellung des Stadtentwicklungskonzeptes mitarbeiten durften – und jüngst erst entstanden Hochglanz-Broschüren mit bahnbrechenden Ideen zu einem umfassenden Marketingkonzept und zur forcierten Tourismusförderung. Beeindruckend. Doch während all dies im Rathaus ausführlich diskutiert und schließlich bei gegenseitigem Schulterklopfen stolz beschlossen wurde, ging draußen das Leben weiter und überall im Städtchen wurden fleißig den hehren Absichten zuwider laufende Fakten geschaffen. Die Praxis besiegte die Theorie. So auch jetzt gerade bei der Aufstellung des von mir verkürzt so bezeichneten „Bebauungsplanes Kronberger Hof“: Was nutzen (mit nicht unerheblichen Mitteln) zu entwickelnde neue Bebauungspläne zur Abwendung der Anwendung des gefürchteten § 34 (von dem respektvoll als „Baulücken-Paragraph“ geflüstert wird); was bringen immer wieder verlängerte Veränderungssperren, wenn den bauwilligen Investoren aus Furcht vor angeblich drohenden Schadenersatzansprüchen letztlich doch eine euphemistisch „angemessene Nachverdichtung“ genannte, maximale Ausnutzung erlaubt wird ?

Welche Verbesserung bringt eine mit erheblichen Fördermitteln betriebene Neugestaltung des Bahnhofareals samt europaweit beachteter Leuchtturm-Konzerthalle sowie die vom Genius eines Star-Architekten geküsste, höchst gelungene Einbeziehung ins Grün des Victoriaparks wirklich, wenn gegenüber auf der anderen Straßenseite drei- und gar vierstöckige Blöcke in den Himmel wachsen dürfen? Wie passt das zusammen? Die geplanten drei Neubauten auf dem Grundstück Kronberger Hof sind überdimensioniert, und auch die Nachverdichtung im Innenbereich zwischen Bahnhof- und Bleichstraße sprengt den akzeptablen Rahmen. Der Blick vom Park auf die bislang die Topografie anschmiegend abbildende Hügel-Bebauung wird kein angenehmer mehr sein. Bitte nicht schon wieder eine ausufernde Maßlosigkeit, die diesen sensiblen Bereich dauerhaft prägen wird und mit der wir Jahrzehnte leben müssen, flehte das Städtchen.

Und nicht nur die Kulturliebhaber, die von der Tiefgarage am Berliner Platz kommend vorfreudig die Bleichstraße hinunter einem erstklassigen Konzertabend entgegen schlendern, werden sich fragen, ob sie ihr Navigationsgerät versehentlich in ein anderes Kronberg als das bisher als besonders schön Beschriebene fehlgeleitet hat. Und was sind das für externe Stadtplaner, die ohne rot zu werden verkünden, dass solch massive Baukörper in der Nähe eines Bahnhofs nun mal urban und verträglich seien – und dabei völlig ignorieren, dass dieses Gebiet direkt am Park gerade mit viel Liebe zum Detail aufwendigst aufgewertet werden soll ? Bemerkt denn niemand, dass die grassierende Bauwut all diese Bemühungen konterkariert? Das Städtchen fragte sich verwundert seine Augen reibend, ob gelungene Planung wohl an der Straßenmitte endet.

So verändern die eigentlich wohlmeinenden Gestalter und Verwalter Ecke für Ecke und Jahr für Jahr den einst pittoresken Charakter dieser Taunusperle, bis sie schließlich nicht mehr von anderen zu unterscheiden sein wird, die nicht das Glück einer über Jahrhunderte behutsam gewachsenen Baustruktur hatten.

Verklärt manch Bürger unser geliebtes Kronberg gern als Klein-Rothenburg ob der Tauber, rühmte es Merian und schwärmte Goethe gewohnt wortgewandt, so werden es künftige Reisende bald erschrocken in einem Atemzug mit Rödelheim und Castrop-Rauxel nennen.

Wie konnte es nur so weit kommen ? Da wurde das kleine Städtchen immer trauriger.

Und wenn die Entscheider nicht endlich aufwachen und mutig Worten Taten folgen lassen, dann, ja dann weint Kronberg für immer ungetröstet seiner stolzen Vergangenheit nach. Noch ist es nicht zu spät !



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