Völlig losgelöst von der Erde bietet KV02 ein Bombenprogramm

Oberhöchstadt (pu) – „Es herrscht die fünfte Jahreszeit und ein buntes Programm voll Dollerei haben wir für Euch dabei. Lasst uns gemeinsam lachen, schunkeln, singen, so kann der Abend gelingen!“ Durch diesen von Anna-Katharina Muth und Sophia Kulick vom Karnevalverein 1902 Oberhöchstadt (KV02) zu Beginn der Fremdensitzung an die Hand gegebenen Leitfaden instruiert, war das Gebot der Stunde(n) in der bunt geschmückten Narhalla „Haus Altkönig“ sonnenklar: „Oberhöchstadt feiert Fassenacht!“

Ei gude wie

Kaum hatten die drei Tanzgarden der Veranstalter „Schwung in die Bude gebracht“, wie es Sitzungspräsident Orlando Kieser launig umschrieb, stürmte auch schon Orschels Karnevals-Prinz Marcel I. mit seinem Hofstaat die Bühne. „Ei gude, ich bin der jüngste Orscheler Prinz seit 1928 – 20 Jahre jung“, ließ er die Oberhöchstädter Närrinnen und Narrhalsen wissen und erleichterte sie prompt um ein paar Euro. Lobenswerterweise für einen guten Zweck, denn der Oberurseler Entertainer und Kabarettist Peter Schüßler, liebevoll die „Schüssel“ genannt, unterstützt damit Menschen in Not. Statt Schüssel standen anschließend Schlüssel im Mittelpunkt des Geschehens. Der parteilose Bürgermeister Klaus Temmen wurde zur „freiwilligen Rathausschlüsselübergabe“ vor den Elferrat zitiert. „Des Wetter war im letzte Jahr ach net mehr des, was es emal war“, lenkte der Rathauschef in bestem Hessisch den Blick auf den in Kronberg angekommenen Klimawandel, der am 9. Juni infolge „60 Liter Regenwasser in einer halben Stunde“ alle Kanaldeckel in Fichtegickelshausen sprengte. „Doch ist das Wetter noch so krass, auf die Feuerwehr ist Verlass“, ließ Temmen die fleißige Wehr, die in dieser Nacht über 200 Einsätze zu stemmen hatte, dreimal hochleben. Kurz darauf waren Metzger Klein „die Diskission ums Bauvorhaben musst net sein!“ und Haus Altkönig-Wirt Ewald Hoyer an der Reihe. „Das Haus hier wird grundsaniert, nur der Wirt, der bleibt der Alte, denn den Ewald wollten wir behalten!“ Und schon wechselte der große goldene Rathausschlüssel den Besitzer und Orlando Kieser rief dem Narrenvolk mit spitzer Zunge schelmisch zu: „Wir sorgen für eine närrische Regierung, obwohl man manchmal denken kann, die Narren wären immer dran!“

Ungeheuerliches

Nicht weniger gespitzt war der Bleistift des langjährigen Protokollers Hans-Georg Kaufmann, mit dessen Hilfe jener über das Jahr hinweg zahlreiche Ereignisse im Örtchen und darüber hinaus auf dem Papier notiert hatte. Darunter Ungeheuerliches: „An der AKS, da entsteht, ach wie schee, der neue Sportplatz von unsrer SG. Doch kurz bevor der Sportplatz fertig war, passierte folgendes im vergangenen Jahr. Der Untergrund war präpariert, bis auf einen Millimeter ausnivelliert. Es hatte nur noch, man glaubt es nicht, wenn man‘s erzählt, der Kunstrasen als Abschluss gefehlt. Da hat so ein Arschloch mitten auf dem Platz ein paar Weelees gemacht und hat ja, Ihr Leut, mir kraut, den ganzen Untergrund fast bis auf die Drainage versaut. Wenn mer den Kerl erwischt, dem gehört keine Frache, kräftig links und rechts die Fresse verhache.“

Die Zornesröte ins Gesicht treiben ihm des Weiteren die seit „gefühlt zwei Jahre-Baustelle“ im Ortskern, wo „einst das Haus der Flodders war“ samt gesperrtem Porto-Recanati-Platz und die „Freunde von DHL“ mit ihrem „flinken Daumen“. „Bis du oben in der Wohnung am Türöffner bist, hat der sich unne an der Haustür verpisst!“ Dringend Abhilfe forderte er „an der aal Brück an der ehemalisch Pappelallee“. „Glaub mir, wenn ich heut sach, irgendwann dudd die en Schlach.“

Willkommene Zerstreuung nach dieser Gardinenpredigt zauberte die Große Garde mit ihrem Marsch in frühlingsgrünen Kostümen in den Saal. Frühlingslüftchen hin oder her, im Zwiegespräch des zwölfjährigen Eintracht-Fans Max Landvogt und Antonio Portzi schenkte sich die jeweilige Generation nichts. Schon als der zwölfjährige Landvogt bei seinem zweiten Bühnenauftritt sein Gegenüber erblickte, die erste Lästerattacke: „Ein Italiener kann doch niemals eine Büttenrede halten, sondern allerhöchstens die Speisekarte lesen!“

Unterschiedliche Generationen

Die jeweiligen Unterschiede waren schnell aufgespürt. Auf der einen Seite der nach der Jahrtausendwende geborene, „der viel früher erwachsen wird als vergangene Generationen“, sich das Leben ohne die neuen Stars von You Tube und Influencer nicht vorstellen kann. Auf der anderen Seite der geschätzte Mitvierziger, der laut seinem rotzfrechen Gegenpart, das Licht der Welt erblickte, „als noch Zeichentrickfilme im Schwarz-Weiß-Fernsehen liefen“ und der jüngst mit einer Influenza im Bett lag. Die prompte Frage des Jungen, in der sicheren Annahme, es handele sich um eine Influenzerin: „Echt, mit welcher?“ Nicht verkneifen konnte er sich einen Seitenhieb auf die Bayernspieler: „Eins muss ich anerkenne, die wurden bereits in der Bibel erwähnt. Bei Sodom und Gomorra heißt es: Sie trugen spaßige Gewänder und liefen planlos hin und her.“ Nach zahlreichen Sticheleien das versöhnliche Ende, als Max einräumte, Romantik von Angesicht zu Angesicht statt über das World Wide Web wäre womöglich doch nicht so verkehrt. Die Kronberger Scherzbuben (Hans Georg Kaufmann und Michael Arndt) sind für ihre einfallsreich in Liedern verpackten Blitzlichter auf Kronberger Probleme bekannt. Sie kritisierten den nach 17 Uhr proppenvollen Parkplatz des Rewe-Marktes ebenso wie den Diätenwahn – „die einzigen Diäten, mit denen ich etwas anfangen kann, sind die Diäten der Politiker, stimmten ein Loblied an auf die neue CDU-Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenberger, riefen fragend in die Runde: „Kommt der Brexit oder kommt er nicht?“ und finishten schließlich mit einem Höhner-Medley sowie der Oberhöchstadt-Hymne „Das ist Oberhöchstadt“. Dieses von Urgestein Bernd Haub getextete Lied auf die Melodie von „Heile, heile Gänschen“ stand in diesem Jahr unter ganz besonderen Vorzeichen, nachdem der mit Leib und Seele seiner Heimat Verbundene im letzten Monat verstarb. Er hat durch sein emsiges Wirken zahlreiche nachhaltige Spuren hinterlassen. Es wäre ganz in seinem Sinne gewesen, dass der Saal „sein“ Lied singend von ihm Abschied nahm.

Den Schlusspunkt unter die erste Halbzeit setzte die Kleine Garde, die das Musical „Wonderland“, die Geschichte von Alice im Wunderland, so wunderschön in authentischen Kostümen auf Oberhöchstadts Bretter brachte, dass es dem närrischen Volk fast den Atem verschlug.

Uffbasse

Tänzerisch rasant der Wiederauftakt. Die Mädels der Großen Garde entführten als attraktive Formel 1-Rennfahrerinnen und fahnenschwenkende Boxenluder ins Hockenheimer Motodrom. Dabei war ebenso „Uffbasse“ angesagt, wie bei Dauer-„Nörgler“ Theo, einem betagten Grantler, der beim Anblick des Elferrats lapidar konstatiert: „Die sehen aus wie das letzte Abendmahl in 16:9!“ Seine Frau Erika, mit der er seit 65 Jahren verheiratet ist, kennt er seit 7, 8 oder doch eher 9 Konfektionsgrößen und das Hochzeitsbild hängt deshalb im Jagdzimmer bei den Geweihen „weil Erika der größte Bock ist, den ich je geschossen habe“. Einmal richtig in Fahrt gekommen, stellte Theo die Zwerchfellmuskulatur der Narrenschar durch eine urkomische Situation nach der anderen auf eine harte Probe. Seiner Schilderung zufolge nähte man einem Kronberger, der durch die Kettensäge beide Ohren verloren hatte, die Ohren eines frisch verstorbenen Oberhöchstädters an. Auf die Frage, wie geht es dem Patienten nach der Transplantation, die überraschende Auskunft: „Die ersten beiden Tage gut, dann haben die Ohren den Körper abgestoßen!“ Bauchredner Christoph Quernheim und „Theo“ ließen den Saal toben. Auf dieser Begeisterungswelle marschierte die Mittlere Garde umso leichter und warf die Beine noch ein wenig höher. Aus dem Nachbarort Königstein kam das „Duo Gnadenlos“, das von Erlebnissen auf dem Kreuzfahrtschiff berichtete. Nochmals die Stimmung richtig in die Höhe trieben die „Fichteschneggscher“, die ins Weltall der 80er-Jahre entführten und die „Dalles Dreamboys“, deren Bauernhof wie nicht anders zu erwarten, völlig außer Rand und Band geriet. Das Finale läuteten „Die 3 lustigen 4“ ein mit ihrer kreativen Schau, was der Herrgott im Vollsuff mit der Erschaffung der Menschheit angerichtet hat. Urkomisch die Entwicklung von der Steinzeit über den Wilden Westen, YMCA,Thriller bis zu Siri und Alexa.

Jugendarbeit

Auf den Punkt gebracht – es war eine kurzweilige Fremdensitzung des Karnevalvereins 1902 Oberhöchstadt, der auf die gelungene Mischung von alt und jung stolz sein kann. Herausragend die Leistungen der Gardemädels und des Männerballetts; ein dreifach donnerndes Oberhöchstadt Helau daher nicht nur auf die Akteure selbst, sondern auch auf die Trainerinnen Gerlinde und Carolin Pfitzner, Gabi Heynen, Yvonne Koyabasi, Marlene Heynen, Melanie Rogwalder, Viktoria Frey, Theresa Kulick und Eva Freissmuth.

Die drei Gardegruppen des KV02 bei ihrem gemeinsamen Finale.

Foto: A. Puck



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