100 Jahre professionelle Hilfe für frischgebackene Eltern

Oberursel (bg). Seit 100 Jahren unterstützt die Stadt junge Eltern. 1919 – der Erste Weltkrieg war gerade zu Ende gegangen – wurde in Oberursel die erste „Stadtschwester für die Säuglings- und Krüppelfürsorge“ wie das damals offiziell hieß – eingestellt. Seitdem hat sich die Welt sehr verändert. Junge Eltern, die gerade ein Kind bekommen haben, sind aber heute wie damals „Berufsanfänger“, die sich erst in den neuen Job einfinden müssen. Rat und Unterstützung können sie dabei immer gebrauchen und den gibt es in Oberursel seit 100 Jahren kostenfrei.

In den Anfängen der Säuglingsberatung lag das Augenmerk vor allem auf der gesunden körperlichen Entwicklung des Babys, die Säuglingssterblichkeit war vor 100 Jahren sehr hoch. Über die seelische Entwicklung machten sich frühere Generationen nicht so viele Gedanken. Die Nazi-Zeit mit ihrem Euthanasieprogramm für seelisch Kranke tauchte in dem Rückblick, den Inken Seifert-Karb bei der öffentlichen Jubiläumsfachtagung hielt, nicht auf. Die Leiterin der Elternberatung berichtete in ihrem Zeitstrahl über die vergangenen 100 Jahre vom Wandel in der städtischen Beratung.

Nach dem Zweiten Weltkrieg in den 1950er-Jahren konnten sich junge Mütter Rat und Hilfe bei der Säuglingsschwester Rosel holen. Sie wurde abgelöst von der Stadtschwester Ellen Döring, die als mobile Mütterberatung in der Kernstadt und in allen neuen Stadtteilen regelmäßig präsent war und auch Hausbesuche machte. Seit 1991 leitet die Diplom-Pä-dagogin Inken Seifert-Karb gemeinsam mit Hebamme und Ernährungs-Fachberaterin Marianne Schüller die Elternberatung Oberursel mit Sitz im Alten Hospital. Sie bieten Beratung für die ganze Familie an, damit Säuglinge und Kleinkinder sich von Anfang an wohlfühlen und gut aufwachsen können.

Präventionspreis 2002

Die Oberurseler Beratungsstelle gehörte zu den ersten Einrichtungen deutschlandweit, die den Fokus bei der Beratung und Behandlung auf die Eltern-Kind-Beziehung legten. Die Qualifikationen der beiden Beraterinnen entspricht den Standards – Begleitung, Beratung, Therapie – der Gesellschaft für Seelische Gesundheit in der Frühen Kindheit (German Speaking Association für Infant Mental Health – GAIMH Deutschland). Für hilfesuchende Eltern gibt es offene Sprechstunden, für Fragen zur körperlichen und seelischen Gesundheit von Säuglingen und Kleinkindern. Wie ernähre und pflege ich mein Kind richtig, was tun, wenn es immer schreit und sich nicht beruhigen lässt, wenn es nicht essen will, wenn es mit dem Stillen nicht klappt oder es Probleme beim Ein- und Durchschlafen gibt, das treibt viele junge Eltern um. Im Internet findet man das große Beratungsangebot der Elternberatung unter elternberatung[at]oberursel[dot]de

2002 erhielt die Elternberatung Oberursel den „Präventionspreis Frühe Kindheit“ der Deutschen Liga für das Kind. 2007 wurde mit Hilfe der Elternberatung der Verein Nestwerk, der Tagesmütter für die pädagogische Tagesbetreuung für Säuglinge und Kleinkinder qualifiziert, gegründet. Durch die „Frühen Hilfen“ gibt es seit mehreren Jahren ein weiteres Unterstützungsangebot für junge Familien in der Stadt.

„Ein wahrer Leuchtturm“

Seit 100 Jahren hat sich die Stadt das Wohl der Allerjüngsten auf die Fahnen geschrieben. Heute unter dem Motto: „Willkommen von Anfang an“. Diese Botschaft an die jungen Erdenbürger und ihre Familien ist ein wichtiges Anliegen der Stadt, die dafür ordentlich Geld in Hand nimmt. Stadtrat Christoph Fink unterstrich in seinem Grußwort die Bedeutung der Elternberatung, die in Oberursel für die jungen Familien ein breites Netzwerk installiert habe. Er bedankte sich bei allen Akteuren für die geleistete Arbeit, allen voran bei Inken Seifert-Karb und Marianne Schüller.

Als weiterer Gratulant war Staatsminister Kai Klose vom hessischen Sozialministerium erschienen, der ebenfalls die Arbeit der Beratungsstelle würdigte. Unter den zahlreichen Gästen befanden sich auch die Erste Kreisbeigeordnete Katrin Hechler und Stadtkämmerer Thorsten Schorr.

Wie sich die Sicht auf das Wohlergehen von jungen Familien im Laufe der Zeit und analog dazu auch die Gesetzeslage geändert hat, zeigte Dr. Jörg Maiwald von der Deutschen Liga für das Kind in seiner ausführlichen Gratulation auf. Er warf einen Blick in die Vergangenheit. Als sein Sohn geboren wurde, hatte er als Vater keine Möglichkeit, das Kind in den Arm zu nehmen. Väter wurden damals noch strikt von den „Wöchnerinnen und den Säuglingen“ getrennt. Durch eine Scheibe wurde ihm ein eingepacktes Bündel gezeigt. Heute gibt es auf allen Entbindungsstationen Familienzimmer, in denen die Väter gemeinsam mit dem Neugeborenen und der Mutter übernachten können. Bis dahin war es ein langer Weg. Die Elternberatung Oberursel leiste seit 1991 hochprofessionelle Arbeit nach den neuesten wissenschaftlichen Ergebnissen. Für die Stadt und ihre Bürger sei diese Anlaufstelle ein Vorzeigeprojekt mit Modellcharakter für andere Kommunen, ein wahrer Leuchtturm, führte er aus.

Es folgten weitere hochkarätige Vortrag von Dr. Christiane Ludwig-Körner von der International Psychoanalytic University Berlin (IPU), die über die Frage „Wieviel Professionalität braucht eine Beratungsstelle im Frühbereich“ referierte, und von Dr. Edelhard Thoms vom GAIMH Deutschland. Er sprach über „Kinderschutz für Leib und Seele“ und führte dazu Videobeispiele vor.

Eingebettet in die Grußworte und Fachvorträge waren musikalische Zwischentöne, die der Liedermacher Fredrik Vahle anstimmte. Mit der Gitarre in der Hand sang er das Lied „Vom Hasen Augustin“, das vielen noch sehr vertraut war, und stellte Lieder und Texte aus aller Kinder Länder vor.



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