150 Abiturienten haben das Ziel der Flussfahrt erreicht

Schulleiter Volker Räuber überreicht die Pierre-de-Coubertin-Medaille an Lennard Klopstock. Foto: Föller

Oberursel (ow). Was Schüler aus den Pflichtlektüren im Fach Deutsch eigentlich lernen sollen, in denen es um alternde, frustrierte Wissenschaftler à la Faust, paranoide Soldaten wie Woyzeck und Reisende geht, die sich kafkaesk in Käfer verwandeln, und ob das „Leben eines Taugenichts“ da nicht schon ein passenderes Thema sei – um diese Fragen ging es bei der akademischen Feier zur Verabschiedung von 150 Abiturienten des Jahrgangs 2019 in der Aula des Gymnasiums Oberursel (GO). Durch die Veranstaltung führten charmant und geistreich Abiturientin Alice Bouyer sowie Musik- und Deutschlehrer Sebastian Leichtfuß.

Den Reigen der Reden startete Schulleiter Volker Räuber mit einer vielschichtigen Analyse der Einladungskarte, eines Gemäldes von Abiturient Lukas Meißauer aus dem Kunst-LK von Melanie Müller: Eine Rose entsprießt einem sich häutenden Kopf, Bruchstücke und Risse am Hals weisen darauf hin, dass sich die über Jahre entwickelte Persönlichkeit langsam, aber stetig herauslöst. Um Loslösung von Schule und Elternhaus gehe es, um das Entfalten von Potenzialen, um das Finden der eigenen Persönlichkeit – und das angesichts enormer gesellschaftlicher Herausforderungen in unserer Zeit. All das las der Schulleiter aus diesem Bild heraus und blendete das Bild einer Flussfahrt ein, mit der er die neuen Fünftklässler am 9. August 2011 zu Beginn ihrer acht Jahre am GO begrüßt hatte. Das Ziel dieser Reise sei nun erreicht, befand Räuber. Die Bestätigung werde jedem Einzelnen in Form des Abiturzeugnisses überreicht.

Die wichtigen Eckdaten zu diesem Erfolg lieferte Studienleiterin Gisela Tenter: Mit einem Schnitt von 2,18, sieben Bestnoten von 1,0 (sechs davon Mädchen), 34-mal einem Schnitt von 1,5 und besser, außerdem zahlreichen Ehrungen für fachliches und soziales Engagement könne sich der Abi-Jahrgang 2019 sehen lassen, der zu gleichen Teilen aus Mädchen und Jungen bestehe. Mit einigen humorigen Zitaten wie „Wer wartet, um viel Gutes auf einmal zu tun, wird nie etwas tun“ (frei nach Samuel Johnson) verwies Tenter auf die unterschiedlichsten Techniken zur Prüfungsvorbereitung, erwähnte außerordentliche Ergebnisse, die das Lehrerherz erfreuen, vergaß aber auch nicht, die Welt des akademischen Lernens kritisch zu betrachten. Wie in allen Reden an diesem Abend klang an, dass der Wert von Bildung auch darin liege, junge Menschen zu selbstkritischem Denken und Urteilsvermögen zu erziehen. Wissen allein genüge nicht, Bildungsarbeit müsse junge Menschen auch befähigen, Toleranz zu pflegen, Dogmen mit kritischer Distanz zu begegnen und selbstbewusst den eigenen Weg zu gehen.

Sehr pointiert und persönlich setzten fünf Tutoren ihre Akzente. Manuela Althenn-Lux zog als Englischlehrerin das Bild von Othello heran, um zu betonen, dass nicht nur der berufliche Aufstieg zählt, sondern auch Beziehungsarbeit wesentlich ist, und warnte mit Blick auf die gegenwärtige politische Situation in den USA: „Hüten Sie sich vor Manipulation!“ Kirsten Busse wählte als Sportlehrerin das Bild des Sprungbretts, auf dem die Abiturienten nun stünden, kurz vor dem Absprung ins manchmal auch kalte Wasser. Schwimmen sei angesagt, die eigene Spur zu finden. Schwungvoll und mitreißend blickte Geschichtslehrer Jens Judisch zurück auf die acht oder manchmal neun Jahre seiner Schüler am GO. Sein Aufruf, dass die nun ins Erwachsenenleben Eintretenden niemals vergessen sollten, für ihre und die Rechte anderer einzutreten, war überzeugend. Musikalisch mit der Ukulele unterlegte Sabine Reinke ihren warmherzigen Redebeitrag und betonte frei nach Loriot, dass ein Leben ohne Musik möglich, aber sinnlos sei. Den Abschluss bildete Heike Scholz mit dem Bild des Gartens, in dem die Abiturienten nun angekommen seien. In diesem Garten müsse selbst gehegt und gepflegt, entschieden und gewirkt werden, damit der weitere berufliche Weg gelinge.

In der Elternrede plädierte Dagmar Müller-Funk dafür, den jungen Menschen so viel Freiheit wie möglich einzuräumen, um eine Entscheidung angesichts unendlich vieler anderer Möglichkeiten treffen zu können. Die Schülerrede von Victoria Thöne und Laurin Gerber griff die Thematik der Entscheidungen ebenfalls auf. Wie einfach sei es doch für frühere Generationen gewesen, den beruflichen Weg einzuschlagen. Man habe den Beruf des Vaters oder eben den Beruf, der im eigenen Namen steckte, gewählt: Müller, Schuster oder – charmant in die Runde geworfen – eben „Räuber“. Dass beim Thema „Bildung“ die Erfahrungen der Älteren auf die Leichtigkeit der Jüngeren treffen, wurde als wesentliches Merkmal benannt.

In drei Blöcken erfolgte die feierliche Übergabe der Abiturzeugnisse durch Schulleiter Volker Räuber und die jeweiligen Tutoren. Einzelne Abiturienten wurden geehrt für hervorragende allgemeine oder fachspezifische Leistungen und für die Stiftung E-Fellows (15) oder für die Studienstiftung des Deutschen Volkes (4) vorgeschlagen. Auch zahlreiche Ehrungen für besonderes Engagement innerhalb der Schule, vorwiegend im Bereich der Musik, wurden vorgenommen.

Eine besondere Wertschätzung sprach Schulleiter Volker Räuber der Studienleiterin Gisela Tenter aus, die dieses Jahr zum letzten Mal einen Abiturjahrgang begleitet hat. Tenter gebühre großes Lob für ihre Kompetenz und die profunde Sachkenntnis in sämtlichen Bereichen der Oberstufenleitung. Ein ganz besonderes Geschenk machte ihr in diesem Jahr ihr eigener Leistungskurs Mathematik mit dem besten Notendurchschnitt von 1,79.

Für eine würdige musikalische Umrahmung des Festaktes sorgten das Sinfonieorchester unter der Leitung von Helge Brendel und das Kammerorchester von Marc Ziethen, der der Solistin Josefine Brockmann für ihre jahrelange herausragende Leistung als Violinistin seine besondere Anerkennung aussprach. Der Oberstufenchor von Sebastian Leichtfuß sowie Pascal Edelmann mit einer Klavier-Etüde von Chopin und schließlich der Projektchor unter der Leitung der Abiturientin Pia Aichelmann waren weitere musikalische Höhepunkte dieser sehr stilvollen Abiturfeier.

Weitere Artikelbilder



X