„Behaltet mich in gutem Gedenken“

Oberursel (ow). Am gestrigen Mittwoch hat sich zum 76. Mal die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz gejährt. 2005 erklärte die UNO den 27. Januar zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust. Anlässlich dieses Gedenktags erzählt Angelika Rieber, Lehrerin, Historikerin mit Schwerpunkt Aufarbeitung jüdischen Lebens in Frankfurt und im Hochtaunuskreis, Buchautorin und Vorsitzende der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Hochtaunus, über das Schicksal von Bertha Röder aus Oberursel:

Stillschweigend sei sie gegangen, berichtete Ernst Röder über den Tag der Verhaftung seiner Mutter. Bertha Röder stammte aus einer jüdischen Familie und wurde 1888 in Lichtenau in Baden geboren. 1917 heiratete sie den Schlosser Johann Jakob Röder und lebte seither in der Siemensstraße 3 in Oberursel. Das Ehepaar hatte vier Kinder. Die Familie gehörte der altkatholischen Gemeinde an. 1933, nur wenige Monate nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten, starb Bertha Röders Mann.

Auch wenn die Mitglieder der Familie unter den zunehmenden Diskriminierungsmaßnahmen litten, mussten sie bis 1943 keine einschneidenden Veränderungen erleben. Von den Deportationen 1941/42 waren die jüdischen Ehepartner in sogenannten „Mischehen“ zunächst ausgenommen. Im Gau Frankfurt setzte 1943 jedoch eine gezielte Kampagne gegen die jüdischen „Mischehepartner“ ein. Am 20. Mai 1943 erhielten Bertha Röder sowie zwei weitere Oberurselerinnen eine Vorladung zur Gestapo in Frankfurt, wonach sie sich vier Tage später dort melden sollten.

Der Sohn Richard erinnerte sich noch genau daran, dass seine Mutter den Kindern zunächst nichts von dem Schreiben der Gestapo erzählt hatte. Schließlich informierte Bertha Röder ihre Kinder und bat sie, niemandem etwas zu erzählen, berichtete der jüngere Bruder Ernst. Stillschweigend sei sie gegangen. Richard Röder begleitete seine Mutter nach Frankfurt, allerdings zunächst ohne Gepäck, da die Familienmitglieder die Hoffnung hatten, dass sie nach dem Verhör wieder nach Hause zurückkehren könnte.

Die Oberurselerin wurde jedoch inhaftiert und in das Untersuchungsgefängnis in der Klapperfeldstraße in Frankfurt gebracht, später in die Gutleutstraße. Jeden Montag durften die Kinder frische Wäsche bringen, konnten die Mutter jedoch nicht sprechen. Nur ein einziges Mal hatte Richard Röder Gelegenheit, sie kurz zu sehen. Beim Herausgehen aus dem Gefängnis hörte er plötzlich, wie jemand seinen Namen rief, und er konnte seine Mutter kurz am Fenster erblicken. Es war das letzte Mal, dass er sie sah.

Drei Monate brachte Bertha Röder im Gefängnis in Frankfurt zu, bis sie im September 1943 mit einem Sondertransport nach Auschwitz deportiert wurde. Den Abschiedsbrief zitierte ihr Sohn aus dem Gedächtnis: „Wir kommen nach Auschwitz. So Gott will, komme ich wieder. Wenn nicht, behaltet mich in gutem Gedenken“.

Bertha Röder kam nicht wieder zurück. Nachdem die Kinder monatelang nichts gehört hatten, erhielten sie 1944 ein Schreiben der Lagerkommandantur, das sie über den Tod der Mutter informierte: „Ihre Mutter, Bertha Sara Röder, geb. Cahn, geb. am 16.10.1888, ist am 19.10.1943 an den Folgen von allgemeiner Körperschwäche im hiesigen Krankenhaus gestorben. Die Leiche wurde im staatlichen Krematorium eingeäschert. Die Sterbeurkunden sind anliegend beigefügt. Der Lagerkommandant.“

„Meine Mutter hat es gewusst. Sie hat sich für uns geopfert.“ So empfand es Richard Röder. Die Trauer über den sinnlosen Tod saß tief. Fotos erinnerten die Brüder an die Mutter und an ihr Schicksal und hielten sie „in gutem Gedenken“. Heute erinnert das Denkmal am Hospitalplatz an Bertha Röder und weitere mit Oberursel verbundene Opfer des Nationalsozialismus, angeregt von ihrem Sohn Ernst Röder. Demnächst wird ein Stolperstein in der Siemensstraße auf das Schicksal von Bertha Röder aufmerksam machen.



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