Aus brauner Suppe wird flüssiges Gold

Vorfreude aufs „Stöffchen“: In der Lohnkelterei Burkard ist Handanlegen üblich. Beim Waschgang für die Äpfel und beim Beladen der Presse über ein Förderband hilft Stammkunde Wilfried Hollatz genauso wie beim Abfüllen in Glasballons und Kanister. Foto: Streicher

Von Jürgen Streicher

Oberursel. Erst regnen reife Äpfel von den Bäumen, dann fließt der Süße aus der Kelter. In Zeiten, da sich die Menschen früher auch auf die Kerb mit Rummel und Wirtshaus-Palaver gefreut haben, freuen sich Anhänger der ländlichen und dörflichen Kultur auch in diesem besonderen Corona-Jahr darauf, was diese Jahreszeit an kulinarischem Genuss mit sich bringt. Das Geschnatter der Gänse auf der Weide hinter der Christuskirche deutet es schon an, noch aber gilt die Aufmerksamkeit dem Apfel. Es ist Kelterzeit in Oberursel und der Umgebung.

Das Beste, was ein Apfel werden kann? Apfelwein natürlich, da muss man Freunde des hessischen Nationalgetränks nicht lange fragen. Es ist angerichtet, in den kleinen Kelte- reien laufen die Presswerke schon auf Hochtouren. Der heiße, trockene Sommer lässt viele Äpfel früh purzeln. Jetzt geht es darum, aus dem Apfel das zu machen, was das Herz erfreut. Wenn er verflüssigt, golden schimmernd in Glasballons zum Weine reift. Am besten im heimischen Keller, in dem man jeden Schritt des Apfels in die vom Menschen bestimmte Zukunft mitverfolgen kann. Mit der Nase täglich spüren kann, wie sich die Duft-Melange verändert. Und in den Kellern der Produzenten das Gärröhrchen leise blubbert. Manche nennen es den Applaus der Weinfässer nach der Arbeit.

Apfelweinträume

Bei der Oberurseler Lohnkelterei Burkard im Hof neben der Wiese mit den schnatternden Gänsen bei der Christuskirche ist Handarbeit gefragt. Hier bringen die Kunden den Rohstoff selbst mit. Der Süße wird aus dem Material gepresst, das der Lieferant ankarrt. Eins zu eins, ein klares Geschäft. 33 Liter pro Zentner waren früher mal so ein Standardmaß, je nach Qualität der Äpfel können es auch mal 35 Liter sein. Ob Boskop oder Schafsnase, Trierer Weinapfel oder Kaiser Wilhelm, Oldenburger, Bohnapfel oder sonstwas, es kommt flüssig raus, was feststofflich reingegeben wird. Da weiß man, was man hat. Die Äpfel wirft der Kunde selbst ins Wasserbad, Handanlegen wird in der Lohnkelterei erwartet. Der Lohn ist absolute Frischware, der Lohn für die Kelterei sind 25 Cent pro Liter flüssiges Gold, das aus der Presse fließt. Nun ja, am Anfang ist es eher braune Suppe, was da durch Wanne und Schlauch in die Ballons gepumpt wird. Das Versprechen vom späteren goldenen Glanz aber fließt mit. Zum „Bauer Burkard“, in „Orschel“ und Umgebung ein Begriff, kommen diejenigen, die ihre Apfelweinträume aus den eigenen Äpfeln formen wollen.

Die Keltersaison hat auch in der Oberurseler Altstadt begonnen. Bei Profis und in verschwiegenen Hinterhöfen. „Aus Liebe zum Apfel“ hat Jockel Döringer seine „Apfel- weinagentur“ gegründet, der nach eigenem Bekenntnis schon in seiner Jugend an Opas Seite mit Apfelwein experimentiert hat. Der noch amtierende „Orscheler Apfelweinkönig“ – in diesem Jahr wird es keine Kür geben – bietet auf Wunsch zusätzlich zu seinen Produkten „Saft aus eigenem Obst“. Gepresst wird auf der kleinen Kelter im Oberurseler Altstadthof zu Füßen von Sankt Ursula. Einen Apfelwurf entfernt läuft am Marktplatz die große Bandpresse der Kelterei Steden. Auch sie wirbt mit der Kombination der positiv besetzten Begriffe Heimat und Liebe für ihren Apfelwein, der in der Großkelter im Hof hinter dem „Marktweib“ produziert wird, wo auch die Straußwirtschaft „Alt Orschel“ beheimatet ist. Äpfel von „ausschließlich eigenen Wiesen und aus der näheren Umgebung“ werden hier verarbeitet, heißt es auf der Homepage der Familie Steden. Seit Mitte September ist auch Lohnkelterei wieder im Angebot der Stedens. Pro Zentner mitgebrachter Äpfel bekommt der Kunde hier 30 Liter Süßen.

Seit der vergangenen Woche wird auch beim Obst- und Gartenbauverein (OGV) Mammolshain gekeltert. Kunden kommen aus dem gesamten Umkreis auf die „Höhe“, die so schöne Äpfel produziert. Werner Plescher klingt nicht ganz so fröhlich wie sonst, der OGV-Vorsitzende beklagt fast 70 Prozent Ausfall bei der Ernte in diesem Jahr. Der dritte Sommer ohne Wasser bedeute „erhöhten Stress“ für die Bäume, auch späte Nachtfröste hätten viel zerstört. Bäume, die sonst fünf bis sechs Zentner Obst produzieren, seien heuer nahezu leer. Auch Mammolshain bietet Lohnkelterei. Süßer aus eigenen Äpfeln kostet 25 Cent pro Liter, wer ihn pasteurisieren lassen will, zahlt noch 30 Cent drauf für den fertigen Apfelsaft. Dieses Jahr fällt die Ernte an vielen Orten nicht so gut aus.

„Stöffsche“ gibt’s immer irgendwo

„Ja, es ist schon ein merkwürdiges Jahr“, sinniert Heide Burkard von der Oberurseler Lohnkelterei an der Oberhöchstadter Straße. An der einen Stelle Äpfel im Überfluss, dass sich die Äste biegen, an anderen Orten nur ein paar Kilometer entfernt tragen die Bäume indes Trauerflor. Aber irgendwie gleichen sich die Verluste an manchen Hotspots des Apfelweinkelterns in der Gesamtregion aus, „Stöffsche“ wird es auch in diesem Herbst immer irgendwo geben.

In der Lohnkelterei Burkard wird die Kelter bis tief in den Oktober arbeiten. Termine müssen angemeldet werden unter Telefon 06171-4744, per E-Mail an mail[at]bauer-burkard[dot]de oder im Hof in der Oberhöchstadter Straße. Jockel Döringers „Apfelweinagentur“ ist im Internet unter www.apfelweinagentur.de oder unter Telefon 0172-8984146 zu erreichen. Die Kelterei Steden am Marktplatz im Hof von Alt Orschel informiert im Internet unter www.kelterei-steden.de und nimmt Anmeldungen an unter Telefon 06171-57013.

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