Bürger erkämpfen ihren „allerwertvollsten Schatz“ zurück

700 000 Euro kostet die Sanierung der Hospitalkirche, die 50 Jahre nach der Auflösung des Fonds ohne Rückgriff auf den wertvollen Schatz gestemmt werden muss. Foto: js

Oberursel (js). Um 8 Uhr morgens an jenem 6. März des Jahres 1848 ertönte die große Sturmglocke. Ein Tag, an dem Oberursel die „Wiedergeburt des Bürgersinns“ feiern sollte. Um die 50 Bürger, beseelt von revolutionärem Geist, eilten zusammen, wie die Historikerin Angelika Baeumerth später schrieb, und „einten sich schnell zu einer Bürgertat“. Die gewaltübende Vormundschaft der Landesherren hatte die Papiere des „Hospitalfonds“ im Jahre 1830 gegen heftigen Widerspruch der Bürger nach Königstein bringen lassen und schaltete danach willkürlich mit dem Vermögen des Fonds.

Die Oberurseler wollten sich das nicht mehr gefallen lassen. Ein späterer Bürgermeister, Jacob Aumüller (1869 bis 1890), nannte den Hospitalfonds den „allerwertvollsten Schatz, den die Stadt besitzt“. Um 12 Uhr mittags ertönten die Glocken am 6. März des Revolutionsjahres ein zweites Mal, da hatte auch Oberursel seine Revolution. Die Nachricht „Sie kommen!“ wälzte sich „wie ein Feuerlärm durch die Stadt, und alles, wankende Greise und Weiber, Männer und Jünglinge, Frauen und Mädchen zog, Freudenlieder singend, den kräftigen Bürgern entgegen, Fahnen wehten, Musik erklang unter fortwährendem Glockengeläute. Und als die beiden Züge sich trafen, füllte ein donnerndes Hoch von beiden Seiten die Lüfte.“ Nach der Übergabe der Kiste mit den Papieren an den Stadtvorstand und einem letzten Hoch der Freiheit und dem Recht ging jeder wieder an seine Geschäfte, es war getan, was getan werden musste. Der Schatz war zurück in der Stadt.

Weniger prosaisch liest sich das Ende der Geschichte, die Amtliche Bekanntmachung über die Aufhebung der Stiftung „Hospitalfonds“, vor 50 Jahren unterschrieben vom Landrat des Obertaunuskreises, Werner Herr, am 25. Januar 1971. Verbunden mit der Maßgabe, dass das bei Aufhebung bestehende Stiftungsvermögen mit allen Rechten und Pflichten auf die Stadt Oberursel übergeht und zur Finanzierung von Einrichtungen der Altenhilfe zu verwenden ist. Wieviel drin war zu diesem Zeitpunkt im großen Topf, wird nicht bekanntgegeben. Dass in einem handschriftlichen „Nachlaß“ von Ferdinand Neuroth im Jahr 1900 der Vermögensstand (Gebäude, Activkapitalien, Grundstücke in Oberursel und Umgebung) auf 342 121 Mark taxiert wird, zeigt, dass der Fonds gut im Futter stand. Mehrfach wird er in alten Schriften als „in wirtschaftlicher Hinsicht wohlfundiert“ bezeichnet. So gut fundiert, dass 1794 der von den Franzosen besetzten Stadt Mainz auch mal 6000 Gulden geliehen werden konnten. Das Geld kam wohl nie zurück, auch die Stadt nährte sich immer wieder gerne zu geringem Zinssatz vom Guthaben des Hospitalfonds, etwa 1823, als sie eine neue Schule bauen wollte.

Walpurga stiftet 100 Gulden

Die erste urkundliche Erwähnung des Hospitals in der Hintergasse, die erst später zur Hospitalgasse wurde, findet sich in einem Rentenverzeichnis des Grafen Ludwig von Stolberg Königstein 1542, also in evangelischer Zeit. Walpurga, die Gemahlin des Grafen, dotierte das Hospital „zur Vermehrung der Stiftsmittel“ 1545 mit der für die damalige Zeit ansehnlichen Summe von 100 Gulden. Der Bürger Henchen hat wohl das Gelände zur Verfügung gestellt, nach ihm ist die Henchenstraße benannt. „Acht oder zehn Personen mögen über Jahr erhalten und ernähret werden“, heißt es in einer sogenannten Konfirmationsurkunde aus dem Jahr 1545. Für die Folgejahre sind stets reiche Einkünfte verbucht, aus Zahlungen, mit denen sich zahlreiche Bürger in das Hospital eingekauft haben, auch aus Frankfurt und der Umgebung. In Zeiten ohne Altersheime und mangelnder Altersfürsorge bei Armen wie bei Reichen war der Ort eine Zufluchtsstätte. Auch die Hälfte des von der Kirche gesammelten Opfergelds fiel dem Hospital bis ins 18. Jahrhundert zu.

Eine mehr als 400 Jahre währende wechselvolle Geschichte erlebte das Hospital, zu dem sich 1728 die benachbarte Hospitalkirche gesellte. Unter Kunsthistorikern gilt sie als barockes Kleinod, geweiht der Heiligen Barbara. Klein und bescheiden steht sie am Rand der Altstadt, die Bürgerhäuser nur wenig überragend, kaum 100 Gottesdienstbesuchern bietet sie Platz. Mehr war Anfang des 18. Jahrhunderts nicht möglich in den beengten städtebaulichen Verhältnissen, immerhin konnte die neue Kirche größer gebaut werden als die alte zum Hospital gehörende Kapelle. Finanziert wurde sie aus Mitteln des Hospitalfonds und mittels „Beyhülf christlicher Gutthäter“, wie der Rat der Stadt angab, als er 1719 beim Oberamt ein Gesuch um die Genehmigung zum Neubau einer Kapelle einreichte. In Rom hatte Papst Clemens XI. das Sagen, Kaiser Karl VI. dominierte das weltliche Geschehen, in Mainz regierte Kurfürst Lothar Franz von Schönborn, als die Oberurseler mit dem Bau der Kirche begannen. Die Stadt ist heute noch Eigentümerin des Gotteshauses.

Beim Kirchenbau wurde vornehmlich die heimische Wirtschaft gefördert, dies belegen originale Baurechnungen. So wollten sie es auch in der Neuzeit halten. Die sozialen Einrichtungen des 20. Jahrhunderts machten das Hospital allmählich überflüssig, 1958 wurde das „Städtische Altersheim“ darin geschlossen, die letzten Bewohner zogen ins Haus Emmaus. Danach diente das Haus noch einige Zeit als Unterkunft für „Sozialfälle“, wie es damals hieß, mit der Auflösung des Fonds wurde das Kapitel vor einem halben Jahrhundert geschlossen. Ein Abriss des Gebäudes stand im Raum, der Verein für Geschichte und Heimatkunde stand als erster potenzieller Retter auf dem Plan, „Erhalten als bester Weg der Sanierung“, so seine Devise. Mit dem Beginn der großen Altstadtsanierung Mitte der 70er-Jahre floss reichlich Landesgeld nach Oberursel, 1976 wurde das hübsch von hauptsächlich Oberurseler Firmen sanierte „Alte Hospital“ der Öffentlichkeit übergeben. Neue Heimat für Altentagesstätte und Sozialstation, vor allem aber Räume für kulturelle Zwecke wie Volkshochschule, Kulturkreis, Verein für Geschichte und Heimatkunde, Mütterberatung und später Elternberatung. Der Seniorentreff musste schon vor Jahren aufgrund von Mängeln beim Brandschutz geschlossen werden, inzwischen wird mit 1,5 Millionen Euro für Modernisierung und Sanierung im Bestand samt Anbau kalkuliert. Eine Stiftung nach dem Muster des Hospitalfonds gibt es dafür nicht.



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