Experiment: Neues Leben für junge Kastanien am Tropf

Kunstwerk von Verhüllungskünstler Christo im Sparformat? Nein, die darbenden Rosskastanien entlang des Fuß- und Radwegs in der Adenauerallee sollen auch in dürren Zeiten regelmäßig und im richtigen Maß mit Wasser „gefüttert“ werden. Foto: js

Oberursel (js). Na gut, eine der jungen Kastanien an der Adenauerallee etwa in Höhe der Eisdiele sieht wirklich nicht gut aus. Ein wenig mager, auch der Blattbewuchs, nicht gar so üppig, wie es um diese Jahreszeit sein sollte. Die anderen neun immer noch jungen, weißblühenden Rosskastanien rechts und links des Fuß- und Radwegs in Richtung Innenstadt, die auch dem Würgegriff der Miniermotte widerstehen sollen, machen einen recht properen Eindruck. Und sehen irgendwie lustig aus mit ihren Trinkhilfen am jeweiligen Fuß des Stammes. Wassersäcke, je nach gelöschtem Durst prall drapiert ums Baumgerüst oder ein bisschen schlapp dümpelnd, auf neue Befüllung wartend. Nach zwei Dürresommern und einem drohenden dritten in Folge brauchen die rechtzeitig vor dem Hessentag 2011 in der runderneuerten Adenauerallee gepflanzten Kastanien regelmäßige, konstante Bewässerung.

Das sollen die vom Menschen gesteuerten Trinkhilfen nun bieten. In einer aufregenden Sitzung des Stadtparlaments kurz vor Beginn der Corona-Krise wurde die neue alte Kastanienallee schon fast totgesagt, der Magistrat in einer „Sternstunde der Gärtnerei“, so Stadtverordnetenvorsteher Gerd Krämer schalkhaft, beauftragt, ein „Konzept zur Rettung der Alleebäume“ zu erstellen. Die grünen Säcke aus stabilem, reißfestem Kunststoffmaterial könnten ein Anfang sein. Aufgeklebte Zettel weisen den städtischen Bau & Service (BSO) als Urheber der bodennahen Anreicherung aus. BSO steht drauf, aber „Treegator“ heißt die Wassersack-Erfindung, auf dem angehefteten Werbezettel des Unternehmens aus den USA lehnt ein freundlicher Alligator stehend am Baum. Hochgradige Bewässerungseffizienz wird versprochen, professionelles Wässern, einfaches Installieren ohne Werkzeug und Graben. Ganz wichtig: „Vor allem in dürren Zeiten günstig.“ Maßnahmen zur Bodenverbesserung mit einem Spezial-Substrat, das eine höhere Wasserspeicherkapazität aufweist, sind laut BSO bereits vorgenommen worden.

Die Säcke oder auch Taschen gibt es als Einzelstücke für Babybäumchen oder als Doppelpack, wenn der Stamm schon einen gewissen Durchmesser aufweist. In der Allee hat sich der BSO für den Dreierpack entschieden, die einzelnen Säcke werden mit Reißverschlüssen verbunden und in eine Art Ring mit Luft zum Stamm eingehängt. Die Einfach-Tasche fasst rund 55 Liter Wasser, der Doppelpack ungefähr 90 Liter. Spart Zeit und Manpower, der Wassertransporter des BSO muss nur noch alle fünf bis sieben Tage vorfahren und in einem einfachen Verfahren Wasser nachfüllen. Die Leerung dauert fünf bis neun Stunden, das hängt ein bisschen auch vom Wetter, vom Baumtyp und der Größe des Baums ab. Wichtig ist, dass der Wasserfluss im passenden Maß auch das Wurzelsystem erreicht.

Die Rettung für die Allee?

Der „Boulevard“, wie das Stück Kastanienallee zwischen Bahnhof und Innenstadt auch gerne mal genannt wird, soll auf jeden Fall in zweiter Generation unbedingt überleben. Vor zehn Jahren waren fast alle Kastanien entlang der Straße geschädigt, Experten gaben den meisten nur wenige Jahre Überlebenszeit. Die Entscheidung für eine Rosskur fiel schnell, Ausriss und Neupflanzung war die Devise. Kahlschlag, Großhäcksler, Wurzelstockfräse. Und dann nächster Versuch mit Spezialzüchtungen. Das sind diejenigen, die jetzt gerettet werden müssen. Die zehn im oberen Teil sind das Experimentierfeld.



X