Oberursel (js). Es darf gefeiert werden, auch im ersten Jahr der „Neuen Zwanziger“. Natürlich muss man da auch ein gutes Stück zurückblicken. Denn ohne den „Freiheitsbrief“, den der Landesherr Eberhard von Eppstein mit flottem Schwung unterschrieb, würde Oberursel vielleicht immer noch als Marktflecken vor sich hindümpeln. Aus dem Jahr 1445 datiert der 575 Jahre alte Brief, der den Bürgern die Stadtrechte zusicherte und auch, dass sie „ewiglich freisitzen“ sollten. Das Jahr 2020 bietet wieder einmal viele Jubiläumsdaten, die „Orscheler“ werden mit Sicherheit das eine oder andere Fest daraus machen.
Frei zu sitzen war schon vor 575 Jahren teuer, zu den üblichen Abgaben erhob der Landesherr zusätzlich eine „stattliche Summe“, die Stadtarchivarin Andrea Bott diskret aber nicht beim Zahlennamen nennt. Man kennt das ja mit den Steuern, die nächsten zehn Jahre war diese leicht reduziert, damit die neue Stadt wenigstens eine ordentliche Stadtmauer und ein Rathaus bauen konnte, das damals noch „Spielhaus“ hieß und am Hollerberg stand. Zusätzlich zur Stadtmauer wurde der Kirch- und Wachtturm „Hohe Wacht“ gebaut, der erst 1937 in kirchlichen Besitz überging, damit die Nazis ihn nicht vereinnahmen konnten.
Wir überspringen 200 Jahre Zeitgeschichte und schon wieder tut sich so ein schräges Jubiläum auf, das dunkle Erinnerungen wach ruft und die Menschen vor 375 Jahren hart getroffen hat. Man schrieb das Jahr 1645, der Dreißigjährige Krieg tobte auch über die Stadtmauern hinweg, der Ort wurde in Schutt und Asche gelegt. In Chroniken ist zu lesen, dass nur drei Häuser vom großen Ungemach verschont blieben. Plünderungen, Einquartierungen, Sondersteuern taten ein Übriges, dazu die Pest, wahrlich harte Zeiten für den aufstrebenden Ort. Gute Zeiten, schlechte Zeiten sollten folgen, wie das im Film und im Leben eben so ist.
Also hinein in die berühmten „20er Jahre“, endlich mal ein wirklich rundes Jubiläum. Das Jahr stand noch unter den Folgen des Ersten Weltkriegs, der Versailler Friedensvertrag wurde im Januar 1920 ratifiziert. Nicht nur daran scheiterte die „Weimarer Republik“, und vom Berliner Babylon war im Taunus nur wenig zu spüren. Wer sich noch erinnert, das Umland mit den damals noch selbständigen Gemeinden Stierstadt und Weißkirchen war französisch und englisch besetzt, ein Hemmnis im Personen- und Warenverkehr mit dem „neutralen“ Oberursel. Das Baugewerbe – hört, hört – lag infolge allgemeiner Preissteigerungen darnieder, 100 Jahre später sucht die Stadt händeringend nach Baufirmen, die bei der Verwirklichung des Programms „1000 neue Wohnungen“ und anderen Projekten helfen. Damals, so heißt es in der Stadtchronik, gelang die Linderung der Wohnungsnot, im Norden wurden sieben Siedlungshäuser errichtet.
Apropos Jubiläumsfeste: Eine kleine Feier könnte dem 100. Jahrestag des Kaufs der alten evangelischen Kirche in der Schulstraße durch die Stadt am 16. August 1920 gewidmet werden. Immerhin wurde das schlanke Haus zwischen Grundschule und heutigem Vortaunusmuseum vorübergehend als „Stadthalle“ genutzt, nachdem das Kirchtürmchen abgebrochen war. Die Altkatholische Gemeinde nutzte es auch ohne Turm bis in die 50er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts für ihre Gottesdienste. Dann zog die Jugend ein, feierte, rauchte und diskutierte. Nach der Sanierung aufgrund eines Brands wurde die einstige Kirche zu Ehren eines Malers, der von 1906 bis 1910 Spuren in Oberursel hinterließ, in Ferdinand-Balzer-Haus umbenannt, und einer der größten Raucher vor dem Herrn zog ein, als der Vereinsring hier sein Hauptquartier aufschlug, in dem Stierstadts Altbürgermeister Heinrich Geibel, der Mann mit der Zigarre, die Fäden zog. Noch heute wird das Gebäude für kulturelle Zwecke genutzt.
Kinder, Kultur, Kirche, die drei großen „K“ bieten auch im Jahr 2020 Grundlagen für Jubiläumsfeste. So erinnert sich die Heilig-Geist-Gemeinde in der Dornbachstraße an die Gründung ihres Gemeindezentrums vor 50 Jahren. Auf den Bau einer Kirche hatte man aus finanziellen Gründen verzichtet. Das Zentrum war jedenfalls ein Quantensprung gegenüber der hölzernen Notkirche kaum 100 Meter entfernt, in der bis dahin die Gottesdienste abgehalten wurden. Auch die städtische Kindertagesstätte „Zauberwald“, man mag es kaum glauben, feiert schon 25. Geburtstag. Ehemalige Schloßdrachen, Nachteulen, Waschbären und Waldtrolle erinnern sich noch gut an die Anfangsjahre und werden bestimmt zum Jubiläumsumtrunk eingeladen.
… und 25 Jahre Unverständnis
Und sonst? Auch der Förderverein Krabbelstube Pfützenracker wird 25, der Grundschulförderverein Oberstedten ebenso und der für manch einen noch immer in seiner Struktur und Idee unverstandene Kultur- und Sportförderverein Oberursel, kurz KSfO. Alles begründet im Jahr, als die Oberurseler zum ersten Mal ihren Bürgermeister in Direktwahl ohne Umwege über parlamentarische Gremien bestimmen durften. Klare Kante hingegen in Bommersheim, dort existiert und blüht der Geflügelzuchtverein seit 125 Jahren. Nein, der große Wendepunkt der Geschichte in der Neuzeit ist natürlich nicht vergessen. Dem 75. Jahrestag des Einmarsches amerikanischer Soldaten in Oberursel, der für die Bevölkerung das Ende des Zweiten Weltkrieges markierte, gebührt eine eigene Geschichte.