Eine Linde für den Frieden

Alle packen an: Mit vereinten Kräften bugsieren ordnungsgemäß maskierte Mitglieder verschiedener Gruppierungen des Friedensbündnisses den schweren Ballen mit der schon knapp fünf Meter hohen „Friedenslinde“ ins vorbereitete Pflanzloch. Geschmückt mit Kranich-Origamis soll sie das nebenstehende Kriegerdenkmal überdauern und 1000 Jahre in den Oberurseler Himmel wachsen. Foto: js

Von Jürgen Streicher

Oberursel. Tausend Jahre möge sie wachsen, blühen und gedeihen. Mit diesen guten Wünschen hat das Friedensbündnis Oberursel in einer gemeinsamen Aktion mit vielen Sympathisanten am Ostersamstag eine junge Sommerlinde in der Parkanlage an der Adenauerallee gepflanzt. „Der Baum ist ein Zeichen in die Zukunft hinein, er wird uns alle überleben“, sagte Dietrich Andernacht, einer der Sprecher des Bündnisses bei der fröhlich-heiteren Pflanzung trotz des ernsten Hintergrundes.

Wachsen wird die Friedenslinde zwischen Erinnerungen an vergangene Kriege. In direkter Nachbarschaft zum Kriegerdenkmal, das an die Gefallenen des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 erinnern soll, aber mehr Namen „siegreicher Kämpfer“ nennt als die von Opfern, so Dietrich Andernacht, der über den Ort der Pflanzung aus historischer Sicht berichtete. Als „Friedenseiche“ wurde nach jenem gewonnenen Krieg der mächtige Baum ein Stück weiter oben gepflanzt, wo bei ersten Frühlingssonnenstrahlen gerne Eis geschleckt wird. Schon bald aber wurde er nur noch „Kaisereiche“ genannt in Erinnerung an dessen ruhmreiche Taten, als Naturdenkmal ist er ausgezeichnet. „Im Vorgarten der Stadt“, so Andernacht, sei nun eine passende Stelle für die junge Friedenslinde gefunden worden. Gepflanzt am Karsamstag 2021, genau 76 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Oberursel an Ostern 1945.

Rund 250 Kriege haben seitdem Leid und Tod über die Welt gebracht, erinnerte Moderator Dirk Müller-Kästner. Die aktuelle Bundesregierung aber hat bisher den im Januar in Kraft getretenen UN-Atomwaffenverbotsvertrag nicht unterzeichnet. Auch dafür warb das Friedensbündnis, „Abrüsten statt Aufrüsten“ sei das Gebot der Stunde, so stand es groß auf einem Banner über der kleinen Bühne im Park, auf der Franz Gajdosch die bunte Veranstaltung mit bunt gekleideten Menschen mit Gitarrenmusik und Gesang begleitete. Viele Bündnispartner waren auch zwei Tage später beim traditionellen Ostermarsch für Frieden und Abrüstung mit Abschlusskundgebung auf dem Frankfurter Römerberg am Ostermontag dabei.

Bürgermeister Hans-Georg Brum hatte vor dem Setzen der Friedenslinde für die Wichtigkeit „aktiver Friedensarbeit in jeder Kommune“ geworben. Hatte in seiner Rede an die „lange Geschichte der Friedensbewegung“ in Oberursel erinnert, an Demonstrationen gegen Aufrüstung im Zusammenhang mit dem Nato-Doppelbeschluss und der Stationierung von Pershing-Raketen. „Global denken, lokal handeln“, dies sei der richtige Ansatz, zumal es ja derzeit reichlich „Schwierigkeiten mit dem Führungspersonal weltweit“ gebe, welches „deutlich an Format verloren habe“, wie der scheidende Bürgermeister in Anwesenheit seiner Nachfolgerin anmerkte. Mehr als 100 Städte in Deutschland seien bereits Teil der internationalen Kampagne ICAN zur Abschaffung von Atomwaffen, er könne sich das auch für Oberursel „gut vorstellen“ so Brum unter Beifall.

Trotz aller ernsten Töne, die Aktion in der Adernauerallee mit kleinen Sandhäufchen im frischen Frühlingsgras für jeden Teilnehmer als korrekte Abstandhalter in Coronazeiten, trug in der fast auf die Minute genauen „Feierstunde“ stets die lockere Handschrift des Vereins „Kunstgriff“ als Hauptveranstalter. Schon eine Woche zuvor hatte dessen Aktionskünstler Robert Kommraus die Attrappe einer B61-Bombe neben dem Kriegerdenkmal kopfüber in die Erde „gepflanzt“, eine Bombe mit der 15-fachen Sprengkraft derer, die einst Hiroshima hundertausendfachen Tod brachte. In gemeinsamer Aktion von großen und kleinen Menschen wurde die Bombenattrappe zu den Tönen des umgedichteten Kinderlieds „Die Rübe“ von Frederik Vahle aus der Erde gezogen, um Platz zu schaffen für die Friedenslinde. Um kurz vor 17 Uhr am Nachmittag war die Arbeit geschafft, ragte der knapp fünf Meter hohe junge Baum in Richtung strahlendblauen Himmel, geschmückt von Kinder- und Erwachsenenhand mit vielen im Wind flatternden Kranich-Origamis.

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