Mittelalter mit EC-Karte und Internet

Fröhliches Gelage mit Beats aus dem Mittelalter. Beim Spiel der Jungs von „Viesematente“ werden die Mädels nicht ins Haus gesperrt, wie böse Zungen behaupten. Sie sind mittendrin dabei, aus der „Feyerey“ wird ein Festival auf Steppengras. Foto: js

Von Jürgen Streicher

waren sie gezwungen, ihr geliebtes Mittelalter-Leben in aller Heimlichkeit zu leben. Zurückgezogen auf dem heimischen Sofa am PC oder nur in kleiner, trauter Runde ohne große „Feyerey“ und all das, was erst richtig Spaß macht, wenn man ein Faible für diese Zeit hat. Umso stärker und freudiger sind sie jetzt wieder in alter Pracht – die Moden ihrer Zeit haben sich ja nicht geändert – zurückgekommen, die Mittelalter-Freaks und ihre große Fangemeinde. Haben das Dutzend der „Oberurseler Feyerey“ am angestammten Platz vollgemacht, mit allerlei Kurzweil, Spektakel und Gaumenschmaus.

Was für ein Andrang vor dem Festplatz, vor allem am Samstag war Geduld angesagt, bis man endlich seinen Stempel und sein Bändchen bekam, um bei der Neuauflage des Festivals dabei sein zu können. Wo auch immer sie hergekommen sind, das hübsche junge Paar mit Wolfsfellmützen, Kettenhemd er und engem Leder-Outfit sie, viel Schmuck und sonstiger Körperkunst beide, sie hatten wie so viele einen langen Weg von der Straße bis zum Festplatz am oberen Bachpfädchen mit der „Wegelagerey“ am Zugang. Aus einer fernen, längst vergangenen Welt scheinen sie zu kommen, wie so viele andere hier auch, bis der Mann unter der Wolfsfellmütze die Wegelagerer fragt, ob er auch „mit Karte“ bezahlen könne. „Natürlich“, lacht der Gefragte, „wir sind doch nicht im Mittelalter“. Deswegen konnte man sich fürs Dabeisein bei der lang ersehnten Wiederauflage der großen „Feyerey“ draußen vor der alten Stadtmauer hinter der Bleiche im bewaldeten Wiesengrund vor der Kulisse von St. Ursula zumindest im unteren Teil erstmals auch vorab im Internet mit Tickets versorgen.

Die Neuzeit ist längst angekommen im Mittelalter. Es wirbt sogar im Vorspiel auf vielen medialen Ebenen damit, dass es einen Schulterschluss gibt, in organisatorischer und hygienischer Hinsicht auf jeden Fall. Ob die Schlange länger gewesen wäre, wenn man alles beim Alten gelassen hätte, sei dahingestellt. Sowohl diejenige vor der Kasse an der Eintrittspforte zum Mittelalter oder die vor den engen Dixie-Klos, in die man mit Kettenhemd einfach nicht so gut reinkommt. Da ist auf jeden Fall nur Bares Wahres, bezahlt wird in Münzen. Wie an den Versorgungsständen für feste und flüssige Nahrung nach Mittelalter-Rezepten auch. Der Einfachheit halber wird nach modernem Standard in Euro abgerechnet. Warteschlangen überall, in Massen strömen die Männer und Frauen aus dem Mittelalter zum Festgelände zwischen Alt- und Neustadt, der „Oberurseler Feyerey“ hat die Spielpause am 3D-Computer nicht geschadet, in Massen strömen die Menschen herbei, ob als Darsteller oder Zuschauer.

In welcher Zeit bewegen wir uns eigentlich hier? Die Menschen mit Affinität zum Mittelalter sprechen von Pestilenz, die anderen von Corona. Auf jeden Fall hat beides zu drei Jahren Pause gezwungen. Ein paar laufen noch mit Masken durchs Lager, aber die Feyerlust ist groß. Junge Mädchen in alter Mode tanzen barfuß in wallenden Kleidern zur Musik von „Viesematente“ mit den Beats des Mittelalters, ein bisschen geht es hier auch zu wie bei den Hippies zu Woodstock-Zeiten, nur halt zum Sound der alten Tage und nicht im Matsch, sondern in der Steppe zwischen den zwei Urselbächen. Da brennt im Schatten vor der schützenden Baumreihe schon um viertel nach fünf am Nachmittag die Hütte auf der Bühne und im Publikum. Die Feuerwehr hat sicherheitshalber ein paar Schläuche verlegt, falls die Funken von den Grills und der traditionellen Feuershow zu weit fliegen.

Oh ja, sie können heftig und lang „feyern“, die Männer und Frauen aus dem Mittelalter. Untereinander, miteinander, mit den Gästen, die bei der „Wegelagerey“ ihren Eintritt gezahlt haben und dafür ein ordentliches Programm von Gauklern und Spielleuten, Kämpfenden und Spielenden, tanzenden Elfen und „Hübschlerinnen“ geboten bekommen, den Freudenmädchen früherer Tage, die auch nettes Spielzeug zum Kauf anbieten. Neben dem Tragetuch- und Tragehilfenverleih ein paar Schritte weiter schießen kleine Buben mit Ganzkörper-Armbrust und Tennisbälle auf eine Wand mit roten Kreuzen. „Ja, wir sind Templer“, sagt einer stolz und zeigt auf sein Hemd mit Kreuz. Der Vater mit Kopfbedeckung und ungefähr 17 Kilogramm Kettenhemd auf dem Oberkörper schwitzt wie ein Berserker. „Das hier sind Flachringe, die gehen noch. Bei Rundringen wiegt das Hemd auch mal 19 Kilo“, verrät er. Hier die Templer, da die „Falkner des Grafen“ und dort Edelmann und Edeldame, jeder ist hier irgendwas, das Mittelalter mit seinen vagen Zeitgrenzen bietet viele Spielmöglichkeiten. Da finden sich auch mit einem herrlichen Schiff gestrandete Wikinger-Piraten, Tuchhändler, Silberschmiede, Bogenbauer und Kerzenzieher, die als Händler und Hökerer unterwegs sind, man kann ordentlich bluten im Festgeviert, ob man mit Karte oder bar bezahlt. Mit dem Handy werden die nächsten Treffen bei anderen Festen vereinbart, am Abreisetag warten auch viele aufgeheizte Wohnmobile auf dem Parkplatz.

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