Das Oberurseler Sommermärchen 2011

Symbol des 51. Hessentags in Oberursel und Treffpunkt gleich gegenüber vom Bahnhof zum Bummel über das Fest: das Riesenrad in der Adenauerallee, das den Fahrgästen einen unvergesslichen Blick über die Frankfurter Skyline, über die Stadt und in den Taunus bot. Foto: ach

Von Beppo Bachfischer

Oberursel. Das Bild vom Riesenrad vor der Skyline hat sich für immer ins Gedächtnis des Alleebewohners eingeprägt. Noch heute meint er, es zu sehen, wenn er von seinem Balkon in Richtung Frankfurt blickt. Nicht nur in dem gigantischen Fahrgeschäft, in ganz Orschel ging es zehn Tage lang rund. Eine unvergessliche Zeit, dieser Hessentag, für alle, die ihn miterleben durften, besonders für die, die Tag und Nacht mittendrin waren.

Jahrelang hatte die Stadt mit ihren Menschen auf dieses Fest hingefiebert. Mit Vorfreude, mit Skepsis, manche auch mit Ängsten. Klar, Oberursel ist eine Stadt, in der schon immer gern und ausgiebig gefeiert wurde. Aber das war nun doch eine ganz andere Hausnummer. Wer im Festgebiet wohnte, musste sich um eine Zufahrtsberechtigung oder einen Abstellplatz für sein Fahrzeug etwas außerhalb des Festgebiets kümmern, um wenigstens stundenweise mobil zu bleiben. Spätestens als Buden, Zelte, Fahrgeschäfte aufgebaut wurden, stellte sich die Frage, wo der Hund mit dem Herrchen noch Gassi gehen kann. Wauzl, der Vierbeiner des Alleebewohners, liebte das Spiel mit dem Tennisball. Nur dumm, dass ein Bällchen nach dem anderen unerreichbar unter den Holzböden der Pavillons verschwand, die in der Allee aufgebaut wurden.

Nachbarn im Hochhaus am oberen Ende der Allee hatten ein bis dahin völlig unbekanntes Problem, als der Kran mit der Aussichtsgondel vor dem Haus Gestalt annahm. Nicht nur Damen, die in jungen Jahren in den Neubau aus dem Jahr 1970 eingezogen waren und das herrliche Panorama über die Mainebene Jahrzehnte durch die blanken Fenster genossen haben, hatten plötzlich Zaungäste, die von der Gondel aus in Wohnzimmer, Küche und Schlafzimmer gucken konnten. Doch das Landesfest war es wert, für jedes Problemchen ohne Murren eine Lösung zu finden. Tennisbälle wurden nachgekauft und Vorhänge angeschafft.

Der Beginn des Hessentags nahte, die unglaubliche Spannung war überall zu spüren. Wer das Glück hatte, am Vorabend der Festeröffnung als Pre-Opening die Höhner-Roncalli-Show mit unglaublichen, bisher nie gesehenen Artistiknummern zu erleben, der wusste, dass zehn Tage auf ihn zukommen, die mit nichts zu vergleichen sein würden, was es bisher in der Stadt gegeben hatte. Geballte Prominenz bei der offiziellen Eröffnung am 10. Juni und dann – ja, dann konnte man sich einfach nur noch treiben lassen. Was für Fußball-Deutschland 2006 war, sollte für die Oberurseler und für Hunderttausende von Hessen das Landesfest im Taunusstädtchen 2011 werden: ein Sommermärchen!

Die Stadt war voll, aber selten hatten die Besucher das Gefühl, beengt zu sein. Es waren kurze Wege zwischen den Veranstaltungsorten, aber es waren viele, oft sehr weitläufige Plätze, auf denen Attraktionen geboten wurden, und im weitverzweigten Netz von Straßen, Wegen und Gassen verteilten sich die Menschenmassen. Freunde aus anderen Städten waren begeistert von der Hessentags-Arena mit eigener U-Bahn-Haltestelle im Bommersheimer Feld und insgesamt von der guten Erreichbarkeit aller Veranstaltungsorte mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Doch wo eine Bahn mitten durch die Stadt fährt, da gibt es auch Bahnübergänge für Fußgänger. Sorgenfalten zeigten sich auf mancher Stirn. Doch mit kreativen Lösungsansätzen, schrillen Fußwegmarkierungen und reichlich Sicherheitspersonal hatten die Verantwortlichen alles gut im Griff.

Kuriosum am Rande: Der doppelte Bahnübergang Adenauerallee/Frankfurter Landstraße war vor dem Hessentag etwa 35 Minuten pro Stunde geschlossen. Da die Bahnfrequenz zum Fest verdoppelt wurde, hätte er während des Fests eigentlich etwa 70 Minuten pro Stunde geschlossen sein müssen. Im Interesse der Fußgänger – Autos konnten ohnehin nicht fahren – war er das zum Glück nicht.

Unvergesslich bleiben gewiss nicht nur die großen Show-Acts und Auftritte, jeder Oberurseler und Hessentagsbesucher hat gewiss auch seine ganz persönlichen magischen Momente, die sich unauslöschlich ins Gedächtnis eingebrannt haben. Die Traum-Kirche wird von vielen immer wieder genannt. Mancher denkt auch an den Nachmittag, als hunderte Menschen 20 Minuten lang nicht aufhören konnten, zusammen auf ihrer teils aus Zigarrenschachteln selbstgefertigten Ukulele „Somewhere Over The Rainbow“ zu spielen, obwohl für den Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde nur fünf Minuten nötig gewesen wären.

Musik war ja überall in der Stadt. An der Bärenkreuzung hatte eine Indio-Gruppe mit Panflöte unter dem Schlafzimmerfenster des Alleebewohners ihren Platz. Die Musiker waren fleißig, spielten zehn Tage lang von Mittag bis spät in die Nacht die vier Lieder, die sie beherrschten. Ab Hessentag-Mittwoch hörte der Orscheler die Lieder, auch wenn die Band keine Musik mehr machte – er träumte sie. Nacht für Nacht. Zehn Jahre später könnte er sich langsam vorstellen, beim Klang einer Panflöte nicht mehr die Fassung zu verlieren.

Sein Wauzl hat den Hessentag gegen alle Befürchtungen in vollen Zügen genossen, vor allem die Abendrunde durch die Allee. Gleich am ersten Abend kamen die beiden zufällig am Bad Homburger Genuss-Pavillon vorbei, als ein Küchenmitarbeiter auf den Boden gefallene Essensreste aus dem Zelt kehrte. Was für ein Festmahl für Wauzl. Daraufhin wartete der nette Koch jeden Abend mit dem Auskehren, bis die beiden vorbeikamen. Am letzten Tag brachte er einen Teller mit drei Reibekuchen mit und reichte ihn dem Herrchen mit den Worten: „Hier, du hast zehn Tage zugeguckt. Sollst auch mal was haben.“

Am nächsten Tag wurde abgebaut, die Böden der Pavillons wurden abtransportiert, und Wauzl freute sich über jeden Tennisball, den er wiederfand: 34 Stück konnte er nun sein Eigen nennen. Und im Hochhaus, in dem er wohnte, verschwanden nach und nach wieder die Vorhänge in den oberen Etagen. In der Tiefgarage stand ein Auto, das trotz Zufahrtsgenehmigung zehn Tage lang nicht gestartet worden war. In Oberursel war alles wieder wie zuvor. Nicht ganz! Auch wenn vieles so aussah, es war nicht mehr dasselbe Städtchen wie vor dem Fest. Denn der Hessentag war nicht nur eine super Party, er hat die Stadt und ihre Bürger nachhaltig beeinflusst, wunderbare Erinnerungen, eine aufgepeppte Infrastruktur und ganz neue Erkenntnisse hinterlassen.

(Lesen Sie zum Hessentags-Jubiläum auch Seite ?? und ??.)

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