Optimismus bei Handel und Handwerk

Vorsicht an den Schienen, die Dampfbahn kommt: Startpunkt für die Runden durch die Ackergasse und die Acker-Passage mit Geschäften und Café ist direkt am Roten Teppich, den der Einzelhandel für die werte Kundschaft in der Unteren Hainstraße ausgelegt hatte. Foto: js

Von Jürgen Streicher

Oberursel. Das Herbsttreiben ist zurück in der Stadt, die Welt für Handel und Handwerk zumindest äußerlich wieder in Ordnung. Erst recht für das geneigte Publikum, die potenzielle Kundschaft strömte bei fast durchgehend perfektem Frühherbstwetter in Massen in die Innenstadt. Endlich wieder, als wäre die Zeit einfach nur mal kurz angehalten worden seit dem letzten Herbsttreiben vor zwei Jahren. Aufgeblüht das „Oberurseler Leben“ für ein Wochenende, so hatten sich die Veranstalter vom fokus O., dem Forum der Selbständigen, das gewünscht.

Der Duft der Lavendelblüten in kleinen Säckchen ist schon morgens um 10 Uhr betörend. Rosa aus Agricento in Sizilien vom Blumenstand auf dem Wochenmarkt lässt sich da gerne für einen Moment vom eigenen duftenden Geschäft ablenken. Honig und Lavendel aus der Provence, Käse aus den Pyrenäen, Wurst aus der Auvergne und schräg gegenüber Wein und Öl aus Apulien mit wohlschmeckendem Primitivo aus der potenziellen neuen Partnerstadt Gioia del Colle. So international war der Wochenmarkt noch nie, weil sich die Gasthändler mit den üblichen Marktbeschickern den Raum zwischen Stadthalle und Rathaus teilen mussten. „Oberursel erleben“ sollte über allem stehen beim ersten Post-Corona-Herbsttreiben. Am Sonntag stand ein Impfteam in Weiß der Hochtaunus-Kliniken mittendrin im Treiben, warb für einen flotten Nadelstich in der Stadthalle. Klares Zeichen: Die Zeit hat ein anderes Gesicht bekommen, auch wenn die meisten wieder ohne Maske unterwegs waren.

Wir sind wieder da. Das demonstrierten eindrucksvoll die Handwerker auf dem Epinay-Platz, für die Obst, Gemüse, Käse und Wurst an diesem Wochenende Richtung Rathaus ausweichen mussten. Das gewohnte Bild, es sind die da, die immer da sind, ein knappes Dutzend Firmen etwa. Die wissen, das Klappern zum Handwerk gehört, wenn man sich das Jammern sparen will. Als wäre das Feuer am Stand der Metallmanufaktur von Dirk Velte nie ausgegangen, hätte Tim Fischer nur eine kurze Pause beim Kunstschmieden kleinerer Accessoires eingelegt. „Ich finde das wunderbar“, sagt Anke aus Friedrichsdorf, die jedes Jahr kommt, um den Handwerkern live bei der Arbeit zuzuschauen. Direkt gegenüber erklären Hartmut Blumenstein und seine Kollegen von der Firma Vogt & Sommer die Marderwelt und wie Schädlingsbekämpfung modern funktioniert, der Stoffmarder am Regenrohr zieht die Augen von Kindern auf sich. Das Pflanzenland Krammich aus Bommersheim ist wie immer dabei, eine aus Österreich „entführte“ Skigondel ersetzt im bunten Gartenland die Hollywoodschaukel.

Für Handel und Handwerk, Gastronomie und Dienstleister soll das traditionelle Herbsttreiben ein Schaufenster zur Kundschaft sein. „Wer es nutzt, um sich mit besonderen Aktionen und Angeboten zu präsentieren, spürt den Erfolg“, sagt der langjährige fokus O.-Vorsitzende Michael Reuter und Hobby-Imker an seinem Honigstand vor der Haustüre. Er habe Zufriedenheit allenthalben vernommen, vor allem weil endlich überhaupt wieder etwas passiert im Städtchen. Wer kann und will, der bietet Rabatt auf alles, die Ideenwerkstatt „i-Punkt“ etwa 15 Prozent, weil sie 15 Jahre alt geworden ist. Vor dem Schaufenster in der Unteren Hainstraße liegt der rote Teppich für die Kundschaft aus, das haben die Geschäftsleute gemeinsam organisiert. Eine kleine Glitzer-Oase der Laden von Juwelier Olaf Windecker an der Bären-Kreuzung, hier stehen zurzeit Opale aus Australien im Blickpunkt, in der heimischen Werkstatt werden Unikate auf Wunsch gefertigt.

Eine andere Oase erfreut vor allem Familien mit kleinen Kindern und Menschen, die es ernst meinen mit Klimainitiativen. Keine Fata Morgana, sie war wirklich, die „Oase am Urselbach“, spontan arrangiert auf einem kleinen Platz zwischen Stadthalle und Altstadt, der in der Kategorie öde Orte in der innersten City sonst ganz weit oben liegt. Zum Parkplatz degradiert, mit eingesperrten Urselbach, der daran vorbeifließt normalerweise, ein Ort zum Wohlfühlen am Wochenende. „So etwas braucht die Innenstadt dringend, da könnte Oberursel richtig punkten“, sagt Christoph Heidl, mit Frau und zwei kleinen Kindern und vielen anderen Familien am Ort. Leider nur eine Pop-up-Oase bisher, aber sie haben jede Menge Ideen gesammelt, wie man mehr aus der Stadt am Wasser machen könnte. Die neue Bürgermeisterin gehörte auch zu den interessierten Besuchern.

Nicht abgehängt, aber ein bisschen ruhiger der Marktplatz ohne die traditionelle „Apfelwein-Vertestigung“ mit der Kür des neuen Apfelweinkönigs und ohne landwirtschaftliche Ausstellung. Ein bisschen Brunnenfeststimmung, der Stand mit Fellen und Wollprodukten verwies schon auf den Weihnachtsmarkt. Zum „Big Äppel“ sollte der Marktplatz werden, ein paar Stände mehr hätte er bei der Wiederbelebung des Herbsttreibens nach der Zwangspause verkraftet. Bei Einbruch der Dunkelheit ist die Party auf dem Marktplatz aber noch lange nicht zu Ende, der letzte Äppler beim amtierenden Apfelweinkönig Jockel Döringer noch lange nicht getrunken. Mildes Licht fällt auf die Szenerie, die sich vor kurzem niemand so vorstellen konnte, das Partyvolk ohne Maske mag gar nicht nach Hause gehen. An den Hotspots in der City wurden bis zum späten Abend noch viele Drinks eingeschenkt.

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