Wenn die Raale ihre Stöcke schwingen, ist Stedter Fastnacht

Die Dreamdancer der TSG Neuenhain reißen mit ihrer tänzerischen Interpreation zu „Greatest Showman“ das Publikum zu Beifallsstürmen hin. Foto: bg

Oberursel (bg). Der besondere Stamm der Raale lebt an den grünen Hängen des Taunus in Stedte, und das ist bekanntlich das Herz von Orschel. Jeder Raal, so Willi Steffek der ungekrönte König des widerspenstigen Stammes, hat einen ordentlichen Stock mit Namen und Jahreszahl drauf. Damit wurde früher für Recht und Ordnung gesorgt. Heute kommt der Stock nur symbolisch zum Einsatz, wenn sich alle Raale auf der Bühne der Taunushalle versammeln und einen neuen Raal in ihre Mitte aufnehmen. Wie immer wusste der Auserkorene Michael Planer wirklich nichts von seinem Glück und nahm hoch erfreut seinen Stock entgegen. Damit stärkt er die Männerfraktion in diesem Kreis, der Frauenanteil unter den Raalen liegt bei fast 50 Prozent.

Zelebriert wurde dieses Ritual wie immer an Weiberfastnacht im Rahmen der Stedter Fastnachtssitzung, die von der im vergangenen Herbst gegründeten Bürgerstiftung Oberstedten auf die Beine gestellt wurde. An vorderster Front waren vor und hinter der Bühne Christine Förder, Kerstin Giger, Kerstin Kapa, Nicole Müller, Aline Schmalbach, Michael Planer und Christian Steffek im Einsatz. Das Team freute sich über eine volle Hütte.

Die Steder sind wirklich tolerant und weltoffen. Bei ihrer großen Sitzung durften Narren, Musiker und Tänzer aus dem benachbarten Ausland wie Bommersheim, Weißkirchen, Stierstadt und auch aus Orschel auftreten. Ein Bommersheimer, Thomas Poppitz, beim Bommersheimer Carneval Verein (BCV) zu Hause und als Stempelmacher bekannt, führte als Moderator durch den Abend. Als erstes übte er mit allen fröhlichen Narren ein, wie man eine Rakete steigen lässt. Die kam auch sofort zum Einsatz für die Swinging Mothers. Die Show-Tanz Gruppe vom Club Geselligkeit Humor (CluGeHu) Weißkirchen fetzte über die Bühne und sorgte gleich zum Auftakt des Abends für tolle Stimmung im Saal. Wie üblich schwang Thomas Poppitz als Protokoller seinen Stempel und teilte dabei kräftig aus. Es folgte der geballte Aufmarsch prinzlicher Hoheiten. In die Taunushalle zogen der Oberurseler Prinz Marcel I. mit seinem Gefolge, das Kinderprinzenpaar aus Bommersheim Marc I. und Lara I. sowie das Prinzenpaar Jasmin I. und Jan I. von der „Heiterkeit“ aus Bad Homburg samt Hofstaat.

Dieser optische Höhepunkt wurde locker übertroffen durch die fantastischen Dream-dancer der TSG Neuenhain. Top aktuell interpretierten sie zu den mitreißenden Klängen des Erfolgsfilms „Greatest Showman“, der erst im Januar 2018 in den deutschen Kinos angelaufen war, die Geschichte des Zirkuspioniers Barnum. Manches Mal wurde den Zuschauern richtig schwindlig bei ihrer atemberaubenden tänzerischeren Darbietung, gespickt mit perfekt akrobatischen Einlagen auf höchstem Niveau. Das Publikum war vor Begeisterung völlig aus dem Häuschen und ließ wieder eine Rakete steigen. Weitere Show-Tänze gab es – witzig, spritzig mit Regenschirm – von der Showtanz Gruppe „The Ravens“ aus Stierstadt, und als Kracher zu später Stunde präsentierte sich das Männerballett vom BCV. „Die Heartbreakers“ sorgten noch einmal für Hochstimmung und Kreischalarm. Als beinharte Rocker mit unnachahmlichem Hüftschwung heizten sie allen – besonders der Damenwelt – im Saal mächtig ein.

Königlich amüsierten sich die Narren im Saal beim Aufeinanderprallen von „Honks (Hauptschüler ohne nennenswerte Kenntnisse) und „OPSonEuBs“ (Offenbacher Prosecco-Schnecke ohne nennenswertes Einkommen und Besitztümer) in der Sauna. Bei dem Sketch nahmen sich die Damen des Kleinen Rates vom Karnevalverein Frohsinn, Sabine Kinkel und Doris Reuter als Edelsaunistinnen, während Betty Lauer und Tini Steden als Underdogs in Klamotten auf der Holzbank schwitzten, selbst gehörig auf die Schippe. Weitere Reden schwang Betty Marris als Teilnehmerin einer Kreuzfahrt mit Florian Silbereisen, und Alexander Ruppel, der Brezelbub vom Frohsinn, berichtete von den Schrecken des Hotels Mama getreu dem Motto: Solang du deine Füße…

Ob Orschler oder Stedter, alle sind ein reiselustige Völkchen. Fabian Vogt, Ex-Pfarrer von Oberstedten, Kabarettist, Entertainer, Musiker und Komponist, brannte ein Feuerwerk skurriler Einfälle zu Oberstedten, der intellektuellen Speerspitze und dem Beverly Hills von Orschel, ab, mit denen er die touristischen Höhepunkte vom wichtigsten Ort der Welt vorstellte. Auch das umliegende Ausland wie Bommersheim, wo mehr Pferde als Menschen leben, oder Weißkirchen bekam sein Fett ab. Dort herrsche gerade Aufbruchstimmung, mit Müllbergen versuche man auf ein aufsteigendes Niveau zu kommen. Stierstadt habe einen magischen Zauber, nach einem Besuch dort sei jeder Ort schön, so der Reiseleiter von Stedte Tours. Er wusste auch über die Straßenbeleuchtung mit den neuen LED-Lampen Bescheid: „LED leuchtet eher duster“, so seine Erklärung. Mit seinen Einfällen ritt er eine unglaubliche Attacke auf die Lachmuskeln und erntete begeisterten Applaus.

Der Auftritt der Frohsinn-Sänger war der krönende Abschluss der kurzweiligen, fröhlichen Sitzung mit Szenen, bei denen kein Auge trocken blieb. Per Bus bereisten die fast 40 Sänger, begleitet von ihrem musikalischen Leiter, Diplom-Kapellmeister Roland Fries, die Republik, schossen eifrig Selfies, entdeckten viele Merkwürdigkeiten und landeten im Taunus. Nach einem kritischen Blick durch die Glocke Maria Frieden auf Orschel – „Humba, Humba, bim, bam“ – wurde endlich der neue Wallfahrtsort erreicht, das Waldstadion der Frankfurter Eintracht. Inbrünstig sangen viele im Saal die Hymne auf die Diva am Main begeistert mit: „Eintracht vom Main, nur du sollst heute siegen“.

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