Stehender Applaus beim Abschied

Das Steuerruder wechselt in weibliche Hand. Nun soll Antje Runge das Stadt-Schiff durch stürmische Zeiten navigieren, Hans-Georg Brum hat ihr bei seinem Abschied aus dem Bürgermeisteramt symbolisch das hölzerne Steuerrad eines Segelschiffs unter Aufsicht des Shanty-Chores übergeben. Foto: js

Von Jürgen Streicher

Oberursel. Hans-Georg Brum ist nach 18 Jahren im Amt als Bürgermeister in den Ruhestand verabschiedet worden. Politische Wegbegleiter, Menschen aus Wirtschaft, Schulen und Kirchen, aus Kultur und Vereinen, aus der gesamten Stadtgesellschaft und auch aus den Nachbarkommunen bescherten dem über die Stadtgrenzen hinaus anerkannten Rathauschef einen Abschied mit vielen positiven Worten und guten Wünschen. Und ein „Nachspiel“ im Foyer der Stadthalle, das bis nach Mitternacht andauerte, als Brum schon Bürgermeister a.D. war.

Eine Ära geht zu Ende, aber „HGB“ wird bleiben. In den Spuren, die er in der Stadt hinterlassen hat, in der positiven und bisweilen auch negativen Erinnerung der Menschen in der Stadt und bestimmt auch in einigen Herzen. Eine Ära geht zu Ende, anders kann man das nach 18 Jahren als Bürgermeister auf der Kommandobrücke des Rathauses nicht sagen. So sahen das alle Redner in der großen Abschiedsrunde, die auch per Livestream im Internet zu verfolgen war. Ein gutes Zeichen, dass es ein einvernehmlicher Abschied zur rechten Zeit geworden ist. Er übergebe das Ruder an gute Hände, sagte Brum unter Beifall von etwa 200 geladenen Gästen in der Stadthalle bei der symbolischen Übergabe des hölzernen Steuerrads eines Segelbootes unter Aufsicht des Shanty-Chores. „Antje Runge ist eine absolut hervorragende Nachfolgerin und für die Herausforderungen der Zukunft bestens gerüstet“, so Brum. „Ich bin hoffnungsfroh und positiv gestimmt.“ Dies gelte auch für seine persönliche Zukunft.

Kaum einer im Saal erinnerte sich an eine kürzere Rede von Hans-Georg Brum in seiner langen Amtszeit. Sieben Minuten nur, das war ein absoluter Rekord, das Reden überließ er den anderen an diesem Abend, genoss aber sichtlich die Laudatio seines SPD-Partei- freundes und langjährigen politischen Weggefährten Eggert Winter und die freundlichen Worte von Landrat Ulrich Krebs (CDU), IHK-Hauptgeschäftsführer Matthias Gräßle und Städtetag-Direktor Jürgen Dieter. Brum selbst beließ es dabei, sein Empfinden in diesem Moment als „zwiespältig und wehmütig“ zu benennen, sprach aber auch von den „Chancen, die jede Veränderung bringt“, und vergaß nicht, seinen Nachfolgern und anderen Akteuren in der Stadt ins Gewissen zu reden. Er forderte alle auf, „eng zusammenzuarbeiten und die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen“. Alle müssten daran arbeiten, dass es weitergehe in der Stadt.

Wer ist dieser HGB, wie er gerne genannt wird? Wer war er als Bürgermeister? Um diese Fragen kreiselten die versuchten Antworten derer, die dazu berufen waren, ein wenig aus der Vergangenheit der vergangenen 18 Jahre zu erzählen. Und noch aus der Zeit zuvor, wie etwa der langjährige SPD-Fraktionsvorsitzende Eggert Winter, der von Stadtverordnetenvorsteher Lothar Köhler als „Freund und Wegbegleiter“ eingeführt wurde. Winter erinnerte an das politische Schicksalsjahr 1995, als Hans-Georg Brum „zutiefst frustriert“ das Handtuch warf und den Fraktionsvorsitz bei der SPD aufgab, weil die Mehrheit der Fraktion im Streit um die Ansiedlung von Fresenius anderer Meinung war als er. Die „Hoffnung auf eine politische Karriere“ habe Brum da aufgegeben, so Winter. Sie lebte erst wieder auf, als Bürgermeister Gerd Krämer (CDU) vorzeitig abdankte und 2003 eine Neuwahl anstand. Es war die Zeit, als Brum „die SPD elektrisiert hat“, so Winter, der gar von einem „politischen Erdbeben“ sprach, als dieser dann die Wahl gewann. Völlig überraschend, wie manche Beobachter sagten, für die anderen eine einfache Folge der inneren Zerrissenheit der CDU, die plötzlich zwei Kandidaten im Rennen hatte. Und Brum der jubilierende Dritte sein durfte.

Was 18 Jahre lang folgte, ist Geschichte, die aus vielen Geschichten besteht. Mit dem Slogan „Mit Herz, Verstand und Leidenschaft“ habe Brum die Oberurseler erobert, sagte Winter. Brum, der „Orscheler Bub, engagiert, ein bodenständiger Mann, mit verbindlicher Art und angenehmer, leiser Stimme, Durchsetzungsfähigkeit, Hartnäckigkeit, Zielstrebigkeit und Argumentationskraft“. Den Anspruch, Bürgermeister für alle zu sein, was eigentlich selbstverständlich sein sollte, habe er „in Wort und Tat erfüllt“. Musste da noch mehr gesagt werden? Der Landrat lobte die „gute, fruchtbare Zusammenarbeit“ mit dem Hochtaunuskreis, Brum sei „eine wichtige Stimme von Oberursel“, Jürgen Dieter nannte dessen „klare Linie ohne Selbstbeweihräucherung, Wissen und Verstand, aber auch Gefühl und Bescheidenheit“ herausragend. „Ein Mann der lauten Töne war er nicht, aber ein starker Bürgermeister“, so der Direktor des Hessischen Städtetages. „Ich werde Sie vermissen“, bekannte IHK-Mann Gräßle, selbst Oberurseler Bürger seit 50 Jahren.

Im Stadtparlament sprachen sie früher von der „dritten Halbzeit“, wenn es nach dem politischen Kampf noch zum gemeinsamen Umtrunk in friedlicher Eintracht in die Rathaus-Kantine ging. Die Nachspielzeit begann mit den Einlagen des von Frankfurt bis Los Angeles bekannten Oberurseler Künstlers Raimund Schui, mit der fröhlichen Verabschiedung des Erfinders der „Killer-Applikation“ durch wichtige Rathaus-Mitarbeiter und der Integration von „HGB“ in den Shanty-Chor der alten weisen Seemänner. Sie dauerte dem Vernehmen nach länger als der offizielle Akt und wird demnach bedeutend länger in Erinnerung bleiben. Eine Legende verlässt das Gelände, ohne Widerspruch, mit viel Beifall im Rücken.

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