Mit dem Umfeld gerät auch die Musik in Unordnung

Rolf Kohlrausch ist ausgebildeter Konzertpianist. Foto rk

Oberursel (ba). Das kulturelle Leben in Bad Homburg, Oberursel und Friedrichsdorf mit seinem bislang sehr reichhaltigen Angebot an Konzerten, Theater, Kabarett, Lesungen, Vorträgen und Shows ist zum Erliegen gekommen. Viele Künstler, Kreative, Veranstalter, Autoren und andere Kulturschaffende können nicht mehr wie gewohnt arbeiten und stehen vor großen Herausforderungen. In dieser Reihe stellen wir einige von ihnen vor und suchen gemeinsam Lösungsansätze.

Rolf Kohlrausch ist ausgebildeter Konzertpianist und Musikpädagoge. Schon bald nach seinem Studienende begann er, Musiker-Kollegen zu vermitteln. Neben seiner weltweiten Konzerttätigkeit unterrichtete er lange an Musikhochschulen und erteilte privaten Klavierunterricht. 2017 ergab sich in seiner künstlerischen Tätigkeit eine Wende. Der Kulturkreis Oberursel bat ihn, die Beratung für klassische Konzerte zu übernehmen, und die Chopin-Gesellschaft übertrug ihm die Leitung. Daraufhin gab er seine Dozententätigkeit an den Universitäten auf, um sich dem zu widmen, was ihm immer schon große Freude bereitet hat: Konzerte zu veranstalten und Kollegen Auftritte zu ermöglichen. 

Herr Kohlrausch, wie beurteilen Sie die aktuelle Situation inmitten der Corona-Krise im Hinblick auf den Kulturbereich?

Rolf Kohlrausch: Die Live-Kultur ist völlig zusammengebrochen. Allerdings entwickeln viele Kollegen interessante Aktivitäten, um diese über das Internet aufrechtzuerhalten. Es ist ein Versuch, uns nicht völlig untergehen zu lassen. Ob es etwas bewirkt, und wie lange die Wirkung anhält, lässt sich nicht vorhersagen. Es ist wie das Anschließen an eine Herz-Lungen-Maschine, die das Leben eine Zeit lang erhalten kann. Aber eines Tages müssen wir wieder in der Lage sein, selbst zu atmen. Das Erlebnis von Live-Konzerten ist durch nichts zu ersetzen.

Welche besonderen Herausforderungen haben Sie jetzt als Konzertveranstalter zu bestehen und welche Lösungswege haben Sie für sich gefunden?

Kohlrausch: Im Augenblick bestehen meine Aufgaben leider erst einmal nur darin, Konzerte abzusagen oder den Versuch zu unternehmen, neue Termine zu finden in der Hoffnung, dass diese auch eingehalten werden können. Es sind ja nicht nur die behördlichen Anordnungen, die Konzerte verhindern, sondern auch die durchaus verständliche und sicher noch lange andauernde Angst der Zuhörer vor Ansteckungsgefahr bei Veranstaltungen, bei denen viele Menschen zusammenkommen. Vielleicht könnte ein Lösungsweg sein, in Konzertsälen, Opernhäusern und Theatern vorerst nur noch jeden zweiten Stuhl zu besetzen, um einen entsprechenden Sicherheitsabstand einzuhalten. 

Welche Hilfen wären aus Ihrer Sicht für Künstler und für Veranstalter wünschenswert?

Kohlrausch: Da Künstler auch wohnen, essen und trinken müssen, wie alle Menschen, benötigen sie natürlich eine finanzielle Soforthilfe. Das Wort „unbürokratisch“ betrachte ich in diesem Zusammenhang mit einer großen Skepsis. So, wie es aussieht, muss man ja doch einen Nachweis der finanziellen Not erbringen, was nicht einfach ist. Es sind ja nicht nur die entgangenen Einnahmen aus schon bestehenden Verträgen, sondern die wahrscheinlich gar nicht erst zustande kommenden Engagements, weil auch die Veranstalter viel vorsichtiger kalkulieren müssen. Wie soll man das berechnen? Das Sponsoring steht ja auch auf dem Prüfstand, weil die Sponsoren ebenfalls mit geringeren Einnahmen rechnen müssen.

Wie könnten sich Kreative, Künstler und Veranstalter im Taunus gegenseitig unterstützen?

Kohlrausch: Vielleicht hilft eine noch größere Flexibilität in Bezug auf Termine und Programmgestaltung als sie sowieso schon von uns verlangt wird. Ob Veranstalter mehr Konzerte anbieten können als zuvor, bezweifle ich, denn das Veranstalten ist das Eine, es muss auch das Publikum kommen. Künstler könnten sich auch gegenseitig informieren, wenn sie einen Termin zeitlich oder aus anderen Gründen nicht annehmen können. Wir kennen uns doch fast alle untereinander und wissen auch, wo die Stärken des jeweils anderen liegen. Eifersüchtiges Abschotten ist im Augenblick nicht angebracht.

Welche Möglichkeiten sehen Sie im Hinblick auf Vernetzung durch die Kultur-Konferenz, die über das Online-Magazin GesunddurchdieKrise.com organisiert wird?

Kohlrausch: Miteinander zu reden, ist immer gut. Es kann aber wahrscheinlich nur ein Versuch sein, im Gespräch zu bleiben oder ins Gespräch zu kommen. Wir sind alle keine digitale Profis und haben sicher keine Lösungen parat.

Was hat sich für Sie persönlich durch die Krise verändert?

Kohlrausch: Die Krise dauert ja noch nicht so lange. Insofern hat mich bisher nur das ereilt, was auch andere Kollegen erlebt haben, nämlich Ausfälle und Verschiebungen. Ich fürchte allerdings, dass diese Maßnahmen ihre Auswirkungen erst noch entfalten werden, und da geht es auch bei mir um die nackte Existenz. Den April wird man sicher irgendwie noch überstehen. Wenn ich aber ab Mai immer noch keinen Unterricht geben darf und die sicher geschrumpfte Kulturarbeit erst sehr viel später wiedereinsetzen kann, sehe ich bedrohliche Engpässe auf mich zukommen, von denen ich noch nicht weiß, wie ich sie bewältigen kann. Ein bekannter Kollege hat vorige Woche die Befürchtung ausgesprochen, dass die Kultur nach der Krise am Boden liegen wird. Das möchte ich jetzt einfach noch nicht glauben wollen. Persönlich habe ich mit Kollegen jetzt öfter telefonischen Kontakt, was einem zumindest für einen kurzen Moment das Gefühl gibt, nicht allein zu sein.

Wie nutzen Sie die eventuelle zusätzliche freie Zeit, und welchen Hobbies widmen Sie jetzt mehr Zeit als sonst?

Kohlrausch: Die zusätzlich freie Zeit muss erst einmal neu eingeteilt werden. Man ist ja völlig aus seinem bisherigen Rhythmus herausgerissen worden. Die Äußerung, dass man dann doch endlich dazu käme, wieder mehr selber zu üben, kann ich nicht bestätigen. Ja, ich übe wieder etwas mehr, aber es ist schwerer, sich zu konzentrieren, da die Gedanken ja verstärkt um Dinge kreisen, mit denen man sich vorher nicht oder nicht so viel beschäftigen musste. Ansonsten versuche ich, meinen bisherigen Tagesrhythmus so weit wie möglich beizubehalten, um einen gewissen Halt zu haben. Die Musik ist ja auch mein Hobby. Also beschäftige ich mich weiter damit. Es bleibt trotzdem schwierig, weil Musik Emotion ist und ein passendes emotionales Umfeld braucht. Wenn dieses in Unordnung geraten ist, gerät auch die Musik in Unordnung. 

Welche Anregungen haben Sie, um in dieser herausfordernden Zeit gesund, fit und glücklich zu bleiben?

Kohlrausch: Das kann nur jeder für sich selber herausfinden. Ich persönlich versuche mich an die behördlich verordneten oder empfohlenen Vorgaben zu halten: Noch öfter Hände waschen als sonst, Abstand halten, tatsächlich auch wieder öfter an der frischen Luft spazieren gehen und wie schon gesagt, mit Freunden und Kollegen öfter als sonst einen Gedankenaustausch pflegen und einfach die Hoffnung nicht aufgeben. Ich weiß, das klingt jetzt wie ein Allgemeinplatz, aber ich glaube nicht, dass zusätzliche Yoga-Übungen etwas bringen, wenn diese nicht auch schon vorher im eigenen Alltag integriert waren. Die meisten von uns haben den Ernst der Lage noch nicht ganz verinnerlicht. Wir Menschen haben ja so ein reflexartiges seelisches Abwehrsystem, um nicht überfordert zu werden. Je mehr uns die Situation aber bewusst wird, umso stärker müssen wir uns dagegen stemmen, um nicht in eine lähmende Depression zu geraten. 

Welche Chancen sehen Sie in der aktuellen Krise? Für sich persönlich, für den Taunus, für die Welt?

Kohlrausch: Vielleicht habe ich die Möglichkeit, herauszufinden, welche Äußerlichkeiten, die bisher unabdingbar schienen, entbehrlich werden, und vielleicht kann man eine Grundzufriedenheit entwickeln, die die Kraft gibt, sein Leben so anzunehmen, wie es nun einmal ist. Ich weiß es nicht. Für den Taunus hoffe ich, dass die Menschen, die hier leben, dieses auch so sehen können, und für die Welt, dass die Verfechter des „immer weiter, immer schneller und immer höher“ ein wenig innehalten, um ihr Verhalten zu hinterfragen.

Haben Sie einen abschließenden Rat oder eine Inspiration?

Kohlrausch: Da auch ich den „Stein der Weisen“ noch nicht gefunden habe, maße ich mir nicht an, meinen Mitmenschen einen Rat geben zu können. Vielleicht nur so viel: Versuchen Sie, neben den vorhandenen Problemen, Aufgaben, vielleicht sogar Bedrohungen, das eine oder andere Schöne oder Zufriedenstellende zu sehen, was es sicher auch in Ihrem Leben gibt. Jeder kennt Selbstzweifel und Verzagtheit in seinem Leben. Aber manchmal habe ich gestaunt, wozu ich im Bedarfsfall doch in der Lage war. Eine im doppelten Sinne alte Freundin zitiert in solchen Fällen gern Hermann Hesse, der meinte, dass man „durch das Leid und die Verzweiflung hindurchgehen muss, um wieder ans Licht zu gelangen“.

Weitere Artikelbilder



X