Weniger Sitzplätze in der Kelterei, der Widerstand schrumpft

Durchfahrt verboten, landwirtschaftlicher Verkehr frei: So soll es an dieser Stelle bleiben, knapp 150 Meter unterhalb des Plangebietes. Am Abzweig links zu den Kleingärten sind Pkw-Parkplätze vorgesehen.Foto: js

Oberursel (js). Die Stadt hat ihre Hausaufgaben gemacht. Auf einem Tisch neben den Stellwänden für die Planskizzen liegen fünf Schnellhefter zur Einsicht. Verkehrsuntersuchung, Gutachten zum Imissionsschutz, Artenschutzprüfung, Archäologisch-Physikalische Prospektion, Schallimmissionsprognose, viel Arbeit für viele Fachleute. Die Stadt ist bereit für die Offenlage des Bebauungsplans Nr. 249 „Aussiedlung Kelterei“. Das geplante Projekt einer Oberurseler Landwirtsfamilie sorgt seit mehr als einem Jahr für Diskussionen, Bürgermeister Hans-Georg Brum spricht bei der jüngsten „Bürgerinformation“ zum wiederholten Mal von einem „klassischen Zielkonflikt“. Die eine Seite sehe in der Idee der ins Feld ausgelagerten Kelterei eine „Bereicherung“, die andere, vornehmlich die Anlieger an der Zufahrtsstraße, fürchteten eine „Belastung“. Durch Mehrverkehr und für die Natur. Der Bürgermeister lässt keinen Zweifel, auf welcher Seite er steht, Streuobstwiesen, Obstbaum-Plantagen, die Verwertungskette vom Apfel bis zum Apfelwein sei eine „Bereicherung der hessischen Kultur und Kulturlandschaft“.

Rund 120 Menschen hat es zum zweiten Bürgerdialog in der Sache Kelterei-Aussiedlung in den Rathaussaal gezogen, etwa die Hälfte weisen sich als Bewohner der Freiligrathstraße und des direkten Umfelds aus. Dort ist die Befürchtung groß, dass Kelterei plus Gastronomie plus Raum für Schaukeltern plus Verkaufsfläche für Selbstvermarktung plus Wohnhaus eine erhebliche Mehrbelastung durch Verkehr im noch beschaulichen Stadtrandgebiet auslösen wird. Die Veranstaltung soll dazu beitragen, diese Sorgen zu entkräften. Die erste Stunde gehört daher Stadt- und Verkehrsplanern, um mögliche aufsteigende Wogen zu glätten, hat die Stadt sogar eine externe Moderatorin für den Abend engagiert. Anja Littig von der Stadtplanung erläutert die wesentlichen Festsetzungen für das Sondergebiet, Verkehrsplaner Moritz Albrecht präsentiert verschiedene Szenarien, wie sich die Verkehrsentwicklung in der Freiligrathstraße darstellen könnte. Der wichtige Durchführungsvertrag, den Stadt und Investoren abschließen müssen, bevor das Stadtparlament den Bebauungsplan wie vorgesehen im April 2020 beschließen kann, wird nur gestreift. Dem Publikum bleiben bis zum Schluss zu viele Fragen offen. Aber das Murren hält sich in Grenzen, es ist leiser im Saal als beim ersten „Dialog“ vor Jahresfrist.

Entgegenkommen zeigen Stadt und Investor beim kritischen Punkt Größe des Projekts. Zum Vorentwurf des Bebauungsplans waren insgesamt 142 Stellungnahmen eingegangen, meist ging es um die daraus folgende Mehrbelastung durch Verkehr im Feld am Stadtrand. Ursprünglich waren im Innen- und im Außenbereich der Gastronomie jeweils 120 Sitzplätze geplant, nun sind es noch 80 im Innenraum und 85 auf der Terrasse mit Blick in die Obstbäume. Auch der „Schulungsraum“ wird kleiner, statt 60 wird es nur noch 25 Sitzplätze geben. Der B-Plan setzt Regeln fest für eine Fläche von etwa 5000 Quadratmeter, davon können 2200 bebaut werden, unter anderem auch mit einem Wohngebäude mit maximal zwei Vollgeschossen auf 200 Quadratmetern. Für die Schankwirtschaft sind 420 Quadratmeter vorgesehen. „Die Verkleinerung der Gastronomie wird sich deutlich positiv auf den Verkehr auswirken“, glaubt Brum.

Die drohenden Verkehrsbelastungen und die Verkehrsführung waren erneut Hauptthema in meist sachlich entspannter Atmosphäre. Erste „klare Erkenntnis“, so Moritz Albrecht, der drei verschiedene Szenarien präsentiert: „Die Anfahrt zur Kelterei vom Gewerbegebiet Drei Hasen aus ist keine Alternative.“ Diese Andeutung hatte bei der ersten Bürgerversammlung für reichlich Aufregung gesorgt. Die verlängerte Freiligrathstraße wird einziger Anfahrtsweg für den motorisierten Verkehr. Die für die Prognosen durchgeführten komplizierten Rechnungen mit nicht immer verständlichen Annahmen können nicht wirklich überzeugen, auch die Antworten auf die Fragen dazu nicht. Es bleibt Unbehagen auf den Besucherplätzen. Bei geschlossener Gastronomie kommt der Verkehrsplaner auf 40 zusätzliche Fahrten pro Tag im kritischen Bereich, an einem „guten sommerlichen Werktag“ auf etwa 320 zusätzliche Fahrten, an einem „sonnigen Wochenende“ mit noch größerer Auslastung auf 290 zusätzliche Fahrten, weil dann mehr Leute mit dem Fahrrad oder zu Fuß kommen würden. Alle Berechnungen beruhen auf fiktiven Annahmen, die Sorgen der Zweifler können auch Aussagen von Chef-Verkehrsplaner Uli Molter nicht beruhigen.

Es gehe nicht um einen Ausbau der Freiligrathstraße, betont Molter, sondern lediglich um das Anlegen von Ausweichbuchten für den Begegnungsverkehr. Der bisher schon asphaltierte Feldweg soll nicht verbreitert werden, es bleibe bei 3,50 Meter Breite, so die Verkehrsplaner. Zielrichtung, das betont auch der Bürgermeister immer wieder, sei es, die Gäste der Gastronomie aufs Fahrrad oder die Füße zu ziehen. Der Begriff „Fahrradstraße“ wird erwähnt, mit Autofahrern und Fahrradfahren als gleichberechtigten Verkehrsteilnehmern. An Radlern sollen sich Zusatzangebote wie bis zu 50 Fahrrad-Parkplätze und E-Bike-Auflade-Station orientieren. Für Besucher mit Auto sind 26 Parkplätze etwa 150 Meter von der Kelterei entfernt vorgesehen. Ein zweiter Stellplatz daneben soll den Kleingärtnern zugute kommen, die möglicherweise aus den bisher improvisierten Parkbuchten am Wegesrand verdrängt werden.

Friedliche Koexistenz

Viel Beifall für einen Bürger, der nach eineinhalb Stunden endlich die Frage stellt, warum das enge Straßenstück hinter der Wohnbebauung an der Freiligrathstraße eigentlich nicht ganz für den Pkw-Verkehr dicht gemacht werden könne. „Theoretisch ja, praktisch schlecht“, lautet Molters knappe Antwort, diesen Konflikt will keiner aus der Planungsoffensive heraufbeschwören. Poller oder Schranken etwa, eine grausige Vorstellung für Landwirte, Zulieferer, Kleingartenfreunde im Umfeld. Dann doch lieber die Hoffnung auf Fußgänger, Radler und Autofahrer in friedlicher Koexistenz.

Wer Bedenken und Anregungen zum Bebauungsplan „Aussiedlung Kelterei“ hat, kann diese noch bis zum 20. Dezember vorbringen. So lange liegen die Pläne im Infocenter Stadtentwicklung im Rathaus, viertes Obergeschoss, aus. Sie sind auch im Internet unter www.oberursel.de einsehbar.

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