Zwei „Orscheler Buben“ als Zeitzeugen im Studio Orschel

Manfred Kopp ist Ehrenbürger von Oberursel.

Oberursel (bg). Sie haben das Kriegsende in Oberursel erlebt. Manfred Kopp, Jahrgang 1933, und Helmut Lind, 1935 geboren. Und können einiges darüber berichten. Die Eindrücke sind fest gebrannt, unvergessen. Wer will kann die beiden am Montag, 10. Mai, um 20.15 Uhr im Studio Orschel live erleben.

Alljährlich zum 8. Mai erinnert die Oberurseler Initiative Opferdenkmal an das Ende des Zweiten Weltkriegs. Normalerweise legt sie am Opferdenkmal Blumen nieder und hält in der benachbarten Hospitalkirche eine Gedenkstunde ab. Wegen der Renovierungsarbeiten in und vor der Kirche ist das schon im zweiten Jahr nicht möglich. Die Initiative sieht darin nicht nur Nachteile. „Das ‚Studio Orschel‘ bietet uns die Möglichkeit, ein noch größeres Publikum als üblich zu erreichen,“ sagt die Vorsitzende Annette Andernacht. Zeitzeugen, die über die Befreiung berichten können und wollen, seien naturgemäß immer seltener zu finden. Das bereits gut etablierte Internetprogramm könnten Interessierte weltweit live sehen und zeitversetzt als Aufzeichnung abrufen. Während der Liveschaltung können über die Chatfunktion Fragen gestellt und Vorgänge kommentiert werden.

Michael Behrent vom Internationalen Verein „Windrose“ und Dirk Müller-Kästner vom Verein „Kunstgriff“ gehen mit ihrem Studio Orschel, seit 16. November 2020 regelmäßig auf Sendung. „Sie haben Spannendes zu berichten,“ kündigt die Vorsitzende der Initiative, Annette Andernacht den Auftritt der Zeitzeugen an. Daher sei es sehr schön, dass die Initiative den Kunstgriff und die Windrose gewinnen konnte, das einstündige Gespräch stattfinden zu lassen. Die Orscheler Buben von damals werden über ihre Erlebnisse und Eindrücke während des Krieges, des Kriegsendes in Oberursel und der Tage rund um den 8. Mai erzählen.

„Ich konnte die Bande nicht leiden“

Am 8. Mai 1945 schwiegen endlich die Waffen. Am Tag zuvor – am 7. Mai – hatte die Wehrmachtsführung die Kapitulation unterschrieben, durch die alle Kampfhandlungen eingestellt wurden. Da war Manfred Kopp, der Ehrenbürger der Stadt und „Mister Camp King“, zwölf Jahre alt, Helmut Lind noch nicht ganz zehn Jahre. Ihr ganzes junges Leben lang kannten sie nur die Herrschaft der Nationalsozialisten und allen voran als Heilsfigur den „Führer“. „Als kleiner Bub hab ich ihn sogar einmal in Mainz gesehen. Da standen die Menschen dicht gedrängt an der Straße und schrien begeistert ‚Sieg Heil, Sieg Heil‘, solche Erlebnisse vergisst man nicht“, erzählt der Theologe und Lokalhistoriker Manfred Kopp. Helmut Lind wurde, wenn er als Lausbub getadelt wurde, des öfteren damit gedroht: „Warte nur ab, bis du zum Jungvolk kommst“ – da mussten damals alle Jungs ab zehn Jahre hin. „Ich konnte die Bande daher nicht leiden“, sagt Helmut Lind, Mitglied im Verein „Initiative Opferdenkmal“ und viele Jahre aktiv in der AG „Nie wieder 1933“.

Dann war auf einmal der Krieg aus. „Für uns war das die Kapitulation, von Befreiung hörte ich nichts“, erinnert sich Manfred Kopp. Erst 40 Jahre nach Kriegsende setzte ein Paradigmenwechsel ein durch den damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. In seiner berühmten Rede vom 8. Mai 1985 sprach er als erstes deutsches Staatsoberhaupt vom Tag des Kriegsendes als „Tag der Befreiung“.

Ausschau nach dem Vater

In der Taunusstadt endete der Zweite Weltkrieg bereits am 30. März 1945. Es war der Karfreitag. Da zogen die Amerikaner von der Königsteiner Straße kommend in die Stadt ein. In der Nacht vor Karfreitag hörte Helmut Lind schon schweres Gerät auf den Straßen rasseln. Er wohnte als Kind in der Nassauer Straße 1. Im alten Eisenbahnerhaus zwischen den Gleisen der S- und U-Bahn gelegen, das erst im vorigen Jahr abgerissen wurde. Manfred Kopp blickte von seinem Beobachtungsposten, dem Fenster in seinem Elternhaus, auf die Feldbergstraße, da zogen viele Soldaten durch. Erst die einrückenden Amerikaner, dann die Kriegsgefangenen. Eigentlich hielt er immer nach seinem Vater Ausschau. Der war im Februar das letzte Mal auf Heimaturlaub in Oberursel. Es dauerte drei Jahre bis die Familie Kopp endlich erfuhr, dass ihr Vater bei den letzten Gefechten an der Elbe bei Tangermünde kurz vor Kriegsende ums Leben gekommen war.

Nach dem Einmarsch der Amerikaner hatten alle Menschen große Angst, erinnern sich beide. Was würde jetzt passieren? Häuser wurden beschlagnahmt, die Besitzer mussten sie ganz schnell für die Besatzer räumen, wie den Schützenhof und auch das Gymnasium. Helmut Lind konnte das gut beobachten, beim alten Bahnhof direkt vor seiner Haustür. Manfred Kopp erzählt: „Es gab Ausgangsperren, wer sich nicht daran hielt, dem drohte die Erschießung, es gab kaum Strom, wir konnten kein Radio hören, es gab keine Zeitungen. Wichtige Bekanntmachungen und Verordnungen wurden am Rathaus ausgehängt, das war die einzige Informationsquelle. Das öffentliche Leben kam nur langsam wieder in Gang. Es gab neue Lebensmittelkarten, aber die Versorgungslage war sehr schlecht, viele Menschen hungerten. Noch im Frühjahr 1945 hatten Tiefflieger die Menschen bei der Feldarbeit unter Beschuss genommen. Und als ich im Herbst 1945 mit meinen Verwandten im Bommersheimer Feld in der Nähe des AFN-Geländes Kartoffeln erntete, standen viele Menschen mit Hacken bereit, um anschließend über den abgeernteten Kartoffelacker stoppeln zu gehen“.

„Ich bin damals ein ein Dreivierleljahr überhaupt nicht zur Schule gegangen“, erinnert sich Helmut Lind. Die fing erst so langsam im Oktober wieder an. Ich musste damals in die alte Volksschule gehen, auch als ich dann ins Gymnasium wechselte. Die Klassen waren vollgestopft, wir hatten Wechselunterricht“.

Wer mitschauen möchte bei den lebhaften Erinnerungen der beiden Zeitzeugen, geht im Internet auf youtube.com und gibt in die Suchfunktion „Studio Orschel“ ein.

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