Zwei Stunden Schlaf pro Hessen-Nacht

Mehr Zeit als bisher kann Udo Keidel-George in Zukunft mit seiner Frau Uta und mit seiner Gitarre verbringen. Fotos: js

Oberursel. Der Hessentag war seine größte Herausforderung und gleichzeitig das eindrucksvollste Erlebnis in Diensten der Stadt. Udo Keidel-George, Geschäftsbereichsleiter Kultur, Sport, Internationales und Marketing, sagt Ende Mai leise Servus zum Leben der vergangenen 15 Jahre. Zum Abschied sprach er mit der Oberurseler Woche über bewegte und bewegende Zeiten. Das Gespräch führte Jürgen Streicher.

 

Sie haben am 1. Mai 2008 bei der Stadt angefangen, am „Tag der Arbeit“. War das wegweisend für die folgenden 15 Jahre?

Udo Keidel-George: Kultur- und Sportevents finden häufig abends, an Wochenenden und Feiertagen statt. Es war ein guter Einstieg mit einem tollen Event, mit dem Radklassiker „Rund um den Henninger-Turm“ und dem Altstadt-Duathlon. Mit Überstunden muss man in diesem Metier immer rechnen.

15 Jahre Sport und Kultur, Internationales und Marketing: Was waren die Highlights?

Keidel-George: Ein absolutes Highlight war der Hessentag im Jahr 2011. Das beeindruckt mich bis heute.

Oberursel hat am großen Rad gedreht, die Vorbereitungen liefen schon, als Sie eingestiegen sind. War der Hessentag tatsächlich Auslöser für Ihre Bewerbung?

Keidel-George: Ja, ich hatte größere Kulturveranstaltungen organisiert, aber ein solches Event wie der Hessentag war eine neue Herausforderung.

Und wie war das so?

Keidel-George: Sehr spannend.

Wer hat dabei mehr die Strippen gezogen, die Stadt als Ausrichter oder das Land Hessen?

Keidel-George: Die Teamarbeit mit der Staatskanzlei war nicht immer einfach. Es dauerte einige Zeit, bis alle Projekte auf Augenhöhe, kooperativ und kollegial bearbeitet wurden. Wir waren da als Stadt bei vielen Themen schon sehr selbst- und kostenbewusst. Daran musste sich die Staatskanzlei erst gewöhnen. Am Ende wurde es ein absolut erfolgreicher Hessentag.

Mit dem Hessentag kamen Menschenmassen in die Stadt. Wie haben Sie die zehn Hessen-Tage plus Vor- und Nachspiel erlebt?

Keidel-George: Ein einmaliges Erlebnis! Mit wenig Schlaf!

Zwei Stunden Schlaf pro Nacht, das ist nicht viel. Hört sich nach Arbeit am Limit an.

Keidel-George: Es war Arbeit am absoluten Limit, es ist nicht einfach, so viel Verantwortung zu haben. Ich war immer froh, dass alles gut organisiert und ohne Zwischenfälle abgelaufen ist. Ausnahme war nur die „Just White Party“ mit Partner FFH und über 50 000 Besuchern in der Hessentags-Arena. Da waren wir alle froh, als die Veranstaltung in der Nacht zu Ende ging.

Wieviel Hessentag hält ein Mensch aus?

Keidel-George: Den Hessentag einmal im Leben zu organisieren! Ich habe sehr viel dabei gelernt.

Der Hessentag hat die Stadt und ihre Menschen verändert. Das wurde fast wie ein Mantra wiederholt. Ist das so?

Keidel-George: Ich glaube, sehr viele Oberurseler sind heute noch stolz darauf, einen so erfolgreichen Hessentag mit vereinten Kräften und vielen Ehrenamtlichen hinbekommen zu haben. Das hatten uns viele vorher nicht zugetraut. Es wird auch einmalig bleiben, dass Bands wie „Linkin Park“, „Brian Adams“, „Scorpions“, „Roxette“, „BAP“ und andere hier Station gemacht haben.

Was ist außer hohen Schulden geblieben vom verklärten Sommer 2011?

Keidel-George: Die Stadt hat sehr im Bereich Nachhaltigkeit und positiver Wahrnehmung in der Region profitiert. Die Themen gute ÖPNV-Anbindung, hohe Lebensqualität im „Tor zum Taunus“, attraktiver Wirtschaftsstandort und Internationalität wirken heute noch positiv.

Hat die Stadt also wirklich profitiert?

Keidel-George: Es sind viele Gelder durch den Hessentag nach Oberursel geflossen, dies hat einen starken Schub in der Stadtentwicklung ausgelöst.

Selbstbewusstsein und Gemeinschaftsgefühl?

Keidel-George: Viele Menschen in der Stadt sind stolz auf das Erreichte. Dies wirkt bis heute fort, Oberursel wird als lebenswerte und lebendige Stadt mit viel Kulturangebot und intaktem Vereinsleben wahrgenommen. Und das Netzwerk Bürgerengagement (NBO) ist entstanden.

Es wurde am großen Rad gedreht, jetzt ist die Zeit des Jammerns gekommen. Wie steht es um Sport, Kultur und Gesellschaft in der Stadt?

Keidel-George: Wir müssen um Finanzmittel für Kultur als „freiwillige Leistung“ kämpfen. Eine Stadt ohne Kulturangebote ist eine leblose Stadt. Kultur ist wichtig für ein funktionierendes Gemeinwesen und stärkt die Identifikation. Vielfältige Kulturarbeit hilft bei Stärkung von Profil und Image der Stadt und erzeugt ein starkes Wir-Gefühl in der Stadtgesellschaft.

„Das Theater im Park pausiert 2023“. Die Überschrift auf der KSfO-Homepage verheißt nichts Gutes. Was weg ist, ist oft ganz weg.

Keidel-George: Nein, das sehe ich nicht so. Der TiP- Ausschuss hat sich diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Die Kosten im Bereich Logistik sind einfach zu stark angestiegen, es müssen neue Wege der Finanzierbarkeit gefunden werden. Ein immer weiter so konnte es nicht geben.

Sind die Kosten aus dem Ruder gelaufen? Bedeutet ein Defizit von 30 000 Euro in 2022 das Aus für das Open-Air-Theater?

Keidel-George: Wir versuchen, durch die Schaffung eines soliden Finanzierungskonzepts diese tolle Amateur-Bühne auch in Zukunft zu erhalten. Auch die Zusammenarbeit mit der Klinik Hohe Mark und den Vereinen soll fortgesetzt werden. Deshalb brauchen wir Sponsoren.

Neues Konzept, finanziell gesündere Füße, wie könnte das aussehen?

Keidel-George: Bessere Auslastung der Spielstätte und mehr Sponsoren. Eventuell Verkürzung der Spieldauer von sechs auf vier Wochen.

Was wäre ein „zeitgemäßes Konzept“?

Keidel-George: Klassiker und zeitgemäße Themen, die mehr jüngeres Publikum ansprechen. Deshalb pflegen wir die Zusammenarbeit mit der Hochtaunusschule bei Bühnenbild und Plakat. Und wir müssen Menschen aus der Region und den Theaterverein wieder aktiver in das Spielgeschehen integrieren.

Also in diesem Sommer Pop-up-Theater vor dem Rathaus statt TiP – Theater im Park?

Keidel-George: Unter dem Motto „Kultur für Alle“ und kostenfrei. Open-Air darf nicht fehlen.

Auf was dürfen sich Theaterfreunde hoffen?

Keidel-George: Auf eine spritzige Musical-Komödie.

Frau Runge hat bei Ihrem Abschied gesagt, Sie seien ein „unheimlicher Netzwerker, der Menschen mitnimmt“. Wie sehen Sie sich?

Keidel-George: Ich bin gerne unter Menschen und arbeite sehr gerne im Team mit anderen zusammen. Im Rathaus und beim Kultur- und Sportförderverein Oberursel (KSfO) arbeiten unglaublich engagierte und kreative Menschen. Das macht Spaß, und dies versuche ich auch gegenüber all unseren Partnern zu vermitteln und diese von unseren Kulturangeboten zu überzeugen.

Funktioniert das einst wegweisende Konstrukt von Kultur- und Sportförderung unter dem Dach eines Vereins noch wie erhofft?

Keidel-George: Ich weiß, dass uns viele andere Kommunen für das Konstrukt des KSfO beneiden. Wir fördern in jedem Jahr über unseren Wirtschaftsplan etwa 80 Sport- und Kulturveranstaltungen in der Stadt, dabei gilt der „Orscheler Sommer“ als eine Veranstaltung. Und wir veranstalten selbst. Ich finde, das kann sich mit dem kleinen städtischen Zuschuss sehen lassen.

Reichen dazu die städtischen Mittel?

Keidel-George: Es gelingt uns, mit einem sehr kleinen Budget ein ganzjähriges gutes Kulturprogramm in Kooperation mit vielen Vereinen und Institutionen zu gestalten. Jede finanzielle Kürzung würde uns sehr hart treffen.

Ist die Finanzierung der wichtigen Projekte im Zeichen klammer Kassen gesichert?

Keidel-George: Nein. Es werden sicher viele Veranstaltungen auf dem Prüfstand sein.

„Sein Steckenpferd waren und sind sicher auch zukünftig die Städterpartnerschaften“, hat die Bürgermeisterin auch gesagt. Braucht man das noch außer für nette Dienstreisen?

Keidel-George: Durch den Krieg in der Ukraine und die vielen Diskussionen in einer oft uneinigen EU wird doch deutlich, wie wichtig und bedeutsam internationale Arbeit und damit auch städtepartnerschaftliche Arbeit ist. Frieden ist nur durch ein gegenseitiges verständnisvolles internationales Miteinander möglich. Dies gilt es zu pflegen und sich mit gegenseitiger Achtung und Respekt zu begegnen. Hierfür müssen wir junge Menschen begeistern.

Welches ist Ihre Lieblingspartnerstadt?

Keidel-George: Ich war gerade in Epinay und habe mich von langjährigen Kooperationspartnern verabschiedet. Das war sehr emotional und bewegend. Im Laufe der Jahre sind intensive Freundschaften entstanden, mit Epinay arbeiten wir als Stadt fachlich am intensivsten zusammen. Ich bin auch sehr stolz darauf, dass es in der Vergangenheit gelungen war, in Lomonossow eine Tagesstätte für behinderte Menschen aufzubauen. Das gab es dort vorher nicht, und die Tagesstätte hat bis heute viel zur Integration von Menschen mit Behinderung in Lomonossow beigetragen.

Was wird aus den Kontakten nach Gioia del Colle? Da scheint Funkstille zu herrschen, seit die neue Bürgermeisterin im Amt ist.

Keidel-George: Gioia del Colle hat nach wie vor Interesse an einer Partnerschaft. Das weitere Vorgehen sollte daher politisch abgestimmt und entschieden werden. Neue Partnerschaften machen nur Sinn, wenn diese durch alle politischen Parteien getragen werden.

Der IB war lange Ihre berufliche Heimat. Dort haben Sie Musik mit den Klienten gemacht. Was ist aus dem speziellen Projekt und dem Musiker Udo Keidel-George geworden?

Keidel-George: Die Band „Satisfactory“ hat über 20 Jahre zusammengespielt. Als integrative Band waren wir auch international sehr erfolgreich. Die Band war ein guter Imageträger für das Thema Inklusion und ist dafür auch mit der Bürgermedaille der Stadt Oberursel ausgezeichnet worden. Meine Gitarre werde ich jetzt auf jeden Fall wieder mehr in die Hand nehmen können. Dazu hatte ich in den vergangenen Jahren einfach zu wenig Zeit.

Noch mal zum Thema Geld. Kein TiP mehr, die sehr gut angekommenen Bildhauer-Symposien waren nach dem Hessentag schnell am Ende. Hat man sich da übernommen?

Keidel-George: Wir könnten noch einige verlässliche Sponsoren gut gebrauchen. Dann sind auch solche Veranstaltungen wieder durchführbar.

Dafür gibt’s jetzt ein Kulturcafé Windrose, der KSfO gehört dem Trägerverein an. Ein schöner Abschluss für Ihre Arbeit in der Kulturarbeit?

Keidel-George: Ja, an diesem Projekt haben wir sehr intensiv gearbeitet und sind stolz darauf, dass dies mit den anderen Partnern im Trägerverein so erfolgreich gelungen ist. Ich freue mich jeden Tag über dieses Kulturprojekt und werde mich zukünftig dort sicher ehrenamtlich engagieren.

Was wäre ein Traumprojekt für Sie?

Keidel-George: Der Aufbau eines überregional bekannten Open-Air-Rockwochenendes in Oberursel mit europaweit bekannten Bands und guten finanzkräftigen Sponsoren und guten und professionellen Medienpartnern.

Gab es auch Albtraumprojekte?

Keidel-George: Nein, zum Glück nicht, aber schon einige schlaflose Nächte.

Ihre größte Herausforderung?

Keidel-George: War sicher als Veranstaltung die Planung und Durchführung des Hessentages.

Und, gehen Sie mit Zufriedenheit?

Keidel-George: Ich gehe sehr zufrieden und freue mich auf die neue Lebensphase mit drei Enkeln. Ich werde jetzt Zeit haben, mit meiner Frau zu reisen und freie Zeit mit ihr gemeinsam zu genießen. Und ich werde bestimmt im Oberurseler Kulturleben ehrenamtlich sichtbar bleiben.

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