Für Helgard Kündiger kommt jetzt die Zeit zum Atemholen

Hochtaunus (a.ber). Wenn Pfarrerin Helgard Kündiger am Bett eines kranken oder sterbenden Menschen sitzt, erspürt sie Krisengedanken und Ängste, und bringt viele davon zur Sprache. „Oft aber sitze ich auch nur da, halte dem Menschen die Hand und zeige ihm so: Du bist ein Mensch, von Gott geliebt.“ Denn die evangelische Seelsorgerin und Krankenhauspfarrerin an den Hochtaunus-Kliniken weiß aus Erfahrung, dass der Kranke in seiner Situation die Nähe eines anderen Menschen braucht, um seine Verzweiflung und die auftauchenden Urfragen nach dem Sinn des Lebens und der Krankheit auszuhalten. „Da geht es nicht darum zu missionieren, doch manchmal hilft ein gesungenes Abendlied oder ein gesprochenes Vaterunser mit seinem uralten Gebetsrhythmus auch“, sagt Helgard Kündiger nachdenklich. Dass sich durch menschliche Teilnahme oft auch die Fixierung des Kranken auf die eigene Schuld – an der jetzigen Situation und an Vorkommnissen im Leben – löst, die Verantwortungslast genommen wird, empfindet die Pfarrerin als ein Geschenk.

Fragen nach dem Sinn des Lebens und nach dem Glauben trieben die junge Helgard Kündiger schon um, als sie noch Schülerin am Ursulinen-Gymnasium in Königstein war. Aus einem glaubensfernen und liberalen Elternhaus stammend, beeindruckte sie die Begegnung mit den Ursulinen-Nonnen in der Schulzeit: „Diese Begegnungen haben mir eine Menge an spirituellem Bewusstsein gegeben – und auch mein Frauen-Bewusstsein geprägt, denn im Ursulinen-Gymnasium verwalteten und leiteten Frauen selbstverständlich eine große Schule.“

Am Tropenkrankenhaus

Medizin wollte die junge Frau zuerst studieren. Aus dem Wunsch wurde dann erst eine Krankenpflegeausbildung am Frankfurter Markus-Krankenhaus, bei der Helgard Kündiger schon erfuhr, dass sich die Begeisterung, Menschen helfen zu wollen, mit dem Interesse an Lebenssinn-Fragen verband. „Sorge für die Seele“ war fortan ein Leitfaden ihres Lebens. 1977 begann Helgard Kündiger ein Studium der evangelischen Theologie in Tübingen, das sie später in Hamburg fortsetzte. Bei ihrem studienbegleitenden Krankenpflege-Job am Tübinger Tropenkrankenhaus kam sie erstmals mit Hospizarbeit, der Begleitung sterbenskranker Menschen bis zum Tod, in Berührung. Auch als sie nach dem Examen eine Spezialausbildung in Seelsorge absolvierte und als Vikarin in einer Gemeinde in Gladenbach bei Marburg arbeitete, ließ sie der Gedanke der Hospizarbeit nicht los. „Sechs Jahre war ich dann noch Pfarrerin in Haiger – aber ich wäre am liebsten gleich in die Krankenhausseelsorge gegangen“, sagt Helgard Kündiger. 1993 war es dann soweit: Die evangelische Pfarrerin wechselte in die Krankenhausseelsorge – am Bad Homburger Kreiskrankenhaus als Nachfolgerin von Pfarrer Debus, der hier bereits viel Pionierarbeit geleistet hatte. „Wir Pfarrer sind im Krankenhaus Gäste und Fremdgänger und müssen uns das Vertrauen des Personals und der Kranken erwerben“, berichtet Kündiger. „Wir begegnen den Kranken als Menschen mit pastoralpsychologischer Kompetenz, sind auf Krisensituationen eingestellt und folgen einem lebensbejahenden Ansatz.“

Eine Kunst wie Geige-Spielen

Was hier so nüchtern klingt, ist für Helgard Kündiger immer eine menschenzugewandte und einfühlsame Arbeit gewesen. Schwerkranke und Sterbende hatte sie dabei immer besonders im Blick. „Sterben ist keine Krankheit, sondern ein natürlicher Lebensvorgang, der oft mit Krankheit einhergeht.“ Helgard Kündiger machte die Erfahrung, dass „Sterbebegleitung eine Kunst ist, die eingeübt werden muss wie Geige-Spielen“. 1995 hielt sie in der Krankenhaus-Kapelle dazu einen Vortrag – daraus entwickelte sich bald eine Gruppe zur Begleitung Schwerkranker und Sterbender, Helgard Kündiger arbeitete hier mit Ehrenamtlichen zusammen.

Der Gedanke der Hospizarbeit lag bundesweit damals in der Luft, meint sie; und so gründete die Pfarrerin 2003 schließlich den Bad Homburger Hospizdienst. Zwei Jahre später folgte die Gründung des Arbeitskreises Hospiz im Hochtaunuskreis. Helgard Kündiger behielt eine halbe Stelle als Krankenhauspfarrerin und bekam die Pfarrstelle Alten-, Kranken- und Hospizseelsorge der evangelischen Landeskirche. Inzwischen sind 38 qualifizierte ehrenamtliche Hospizhelfer im Hochtaunuskreis für den Hospizdienst tätig. Angehörige können in Bad Homburg, Oberursel, Kronberg und Königstein, in Friedrichsdorf und im Usinger Land auf die Hilfe bei der Begleitung sterbender Menschen zurückgreifen. Die Hospizhelfer gehen ambulant in die Häuser und in Heime.

Für Helgard Kündiger, die mit 64 Jahren nun ihre Arbeit als Vorsitzende für den Hospizdienst niederlegt, ist das nicht etwa ein Grund, stolz zu sein, sondern „eher dankbar“. An diesem Donnerstag wird die evangelische Theologin von ihrem Dienst verabschiedet, im August wird sie auch ihre Pfarrstelle am Bad Homburger Krankenhaus niederlegen. Auch ihre Tätigkeit als Synodale in der evangelischen Landessynode beendet sie. „Alles hat seine Zeit“, sagt Helgard Kündiger mit einem Lächeln. Sie brauche nun Zeit zum Atemholen. Und die Hospizarbeit sei aus der Nische der Bedeutungslosigkeit herausgetreten – „da braucht es dann auch mal neue Impulsgeber“.



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