Hölderlins Handschriften mit „Aha-Erlebnis“

Hochtaunus (bmi). Anlässlich des 10. Geschichtstags für Taunus und Main mit dem Thema „Hölderlins Zeit – Taunus und Main um 1800“ widmete sich Dr. Astrid Krüger in ihrem Vortrag der wechselhaften Geschichte der Homburger Hölderlin-Handschriften. Aufgrund coronabedingter Terminverschiebungen konnte die Leiterin des Bad Homburger Stadtarchivs ihren Vortrag nicht selbst zu Gehör bringen, diese Aufgabe übernahm Gregor Maier, Fachbereichsleiter Kultur des Hochtaunuskreises und Ausrichter des Geschichtstags, für sie.

Dass die Stadt Bad Homburg bis heute die zweitgrößte Sammlung von Hölderlin-Handschriften ihr Eigen nennen darf, ist Johann Georg Hameln zu verdanken. Um 1840 gründete er zunächst das Stadtarchiv, dann Stadtbibliothek und Stadtmuseum. Er befasste sich eingehend mit der Geschichte der Landgrafschaft Hessen-Homburg und den beiden Aufenthalten Friedrich Hölderlins in Homburg vor der Höhe. 1856 schließlich schrieb er an Hölderlins Schwester mit der Bitte um Unterstützung und Überlassung von Dokumenten. Da sie mittlerweile verstorben war, erreichte dieses Gesuch ihren Sohn Friedrich von Breunlin. Nur wenig später sandte dieser aus dem Nachlass seines Onkels zahlreiche Briefe und Manuskripte nach Homburg, die er Hameln wenig später dann ausdrücklich übereignete. Im Verlauf einer regen Korrespondenz erhielt Hameln noch im selben Jahr weitere Handschriftproben Hölderlins und Anfang 1857 eine letzte Sendung mit Briefen aus der Zeit von 1798 bis 1800 sowie von 1803 bis 1806. Obgleich ein späterer Brief belegt, dass Hölderlins Neffe dieses letzte Konvolut aufgrund seines familiären Bezuges zurück erbat, scheint Hameln dem nicht Folge geleistet zu haben. Bereits im März 1857 hatte er Hölderlins Handschriften in den Bestand der Stadtbibliothek eingegliedert.

Seine Nachfolger befassten sich ebenfalls mit Hölderlins Schriften, allen voran Ernst Georg Steinmetz, der 1924 die Leitung des Stadtarchivs übernahm. Im Rahmen seiner Hölderlin-Forschungen berichtete er über die weitere Verwendung und Nutzung der Handschriften. So wurden bereits 1880 die Manuskripte neu geordnet in das „Homburger Folioheft“, das „Homburger Quartheft“ und weitere Manuskripte und Briefe, die der damalige Stadtbibliothekar Wilhelm Rüdiger in fünf Mappen binden ließ. Durch rege Forschungen und Veröffentlichungen wurde die Hölderlin-Sammlung immer bekannter, was dazu führte, dass durch die häufige Benutzung die Hefte schon bald neu gebunden werden mussten. Nur wenige Jahre später wurden so aus den vormals fünf Mappen nun drei Bücher, das „Foliobuch“, das Quartheft“ und das „Briefheft“. Schon diese Umbindungen führten zu vielfacher Verwirrung und unzuverlässigen Quellenangaben. Doch damit nicht genug; 1939 wurden die Bücher aufgelöst, damit die Handschriften fotografiert werden konnten. Anschließend wurden sie dann in der noch heute vorliegenden Aufteilung auf neun Mappen A-J verteilt. Zur Ruhe kamen Hölderlins Handschriften dennoch nicht; sie lagerten zwar während des Zweiten Weltkriegs sicher in einem Tresor im Marstallgebäude des Schlosses. Doch Stadtarchivar Steinmetz wurde in den letzten Tagen des Krieges noch eingezogen und übergab den Schlüssel einer nur ihm bekannten Dame. Nach Ende des Weltkriegs verlangten die Amerikaner die Öffnung des Tresors vom nun zuständigen Stadtbibliothekar Horst Böning, der zuvor schon vergeblich nach dem Schlüssel gefahndet hatte. Erst als die Sprengung des Tresors angedroht wurde, hatte die Dame ein Einsehen und überreichte Böning den Schlüssel. In einer Nach-und-Nebel-Aktion leerte er daraufhin den Tresor und hielt die Handschriften monatelang versteckt. Erst 1957 entschloss sich Horst Böning aufgrund mehrfacher Einbrüche, die Handschriften der Sicherheit eines Safes bei der Kreissparkasse anzuvertrauen. Doch der unklimatisierte Tresor erschien dem Stadtbibliothekar ein zunehmend ungeeigneter Aufbewahrungsort für die Handschriften, deren Wert er 1973 mittlerweile auf sechs Millionen DM schätzte. So fanden auf seine Initiative hin die Homburger Hölderlin-Handschriften 1975 schließlich als vertraglich abgesicherte Leihgabe Aufnahme im Hölderlin-Archiv der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart, die 1970 neu erbaut worden war und die seitdem eine klimatisierte Lagerung und fachgerechte Betreuung durch Restauratoren sicher stellt.

Besonderes Augenmerk legte Dr. Krüger auf das „Homburger Folioheft“, zweifellos das bedeutendste Konvolut an Manuskripten des berühmten Dichters. Es handelt sich um 32 lose Doppelseiten, die ineinander gelegt wurden. Hölderlin beschrieb sie zwischen 1802 und 1807 auch in Homburg. Hier finden sich bekannte Gedichte wie „Heimkunft“, „Die Heimath“ oder „Brod und Wein“, sowie die Hymne „Patmos“.

Dr. Krüger führte aus, dass sie gerade dieses Konvolut besonders faszinierend findet, „lässt es uns doch einen direkten Blick auf den arbeitenden Dichter in den unterschiedlichsten, manchmal auch bedrückenden Lebenssituationen werfen. Es ist eben nicht die sorgfältig in Schönschrift gehaltene Abschrift“. Hölderlins Arbeitsweise lässt sich hieran anschaulich nachvollziehen. Von Hölderlin selbst zusammengestellt, ordnete er es mehrfach um, ergänzte Blätter oder drehte Doppelseiten so um, dass sich neue Reihenfolgen ergaben. Außerdem bearbeitete er die Texte mehrfach, ergänzte einzelne Worte oder fügte ganze Absätze hinzu, teilweise noch Jahre später. Mitunter sind seine Manuskripte nur noch schwer zu entziffern, so viele Überarbeitungen drängen sich auf engem Raum. Stellvertretend für Dr. Krüger demonstrierte Gregor Maier dies abschließend: Ein Klick am Laptop und auf der Leinwand erschien das Foto einer dunkel getönten Manuskriptseite mit schwarzer Handschrift. Beim nächsten Klick legen sich darüber einzelne weiße Worte, mit jedem Klick dann mehr und mehr neben und übereinander. Zugrunde liegt dieser Darstellung eine original Handschrift Friedrich Hölderlins, bearbeitet in einer Online-Edition von Professor Dr. Hans Gerhard Steimer. Mit diesem Projekt gelingt es ihm 2017, den zugrunde liegenden Text und die Hinzufügungen in ihrer zeitlichen Dimension darzustellen. Diese Online-Edition nannte Dr. Krüger ein besonderes „Aha-Erlebnis“, das ihr bewusst machte, „wie lang anhaltend Dichter wie Hölderlin ein Gedicht am Blatt selbst weiterentwickelt haben. Papier war ein wertvolles Gut, und man hat Notizen nicht einfach weggeworfen, wenn man Gedanken weiterentwickelt hat, sondern man hat dies direkt auf dem Blatt getan, mit dem man angefangen hat.“

Der 11. Geschichtstag für Taunus und Main wird 2021 turnusmäßig im Main-Taunus-Kreis stattfinden. Gregor Maier verriet gegenüber der Bad Homburger Woche sogar schon das Thema, es wird die Eisenbahngeschichte der Region sein.



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