Wie kriegen wir im Sport die Kurve?

Hochtaunus (js). Lockdown, ein furchtbares Wort auch für Sportler. Für Amateursportler im Breitensport und in jenen Bereichen, in denen sportliche Betätigung unter dem Label Gesundheitssport firmiert. Vom Kleinkind bis hin zu Menschen im hohen Alter treiben Tausende in den Kommunen des Hochtaunuskreises Sport für die Erhaltung ihrer Gesundheit und nicht zuletzt für die Stärkung des Gemeinwesens. Allein in den beiden Großvereinen, der Homburger Turngemeinde (HTG) und der Turn- und Sportgemeinde Oberursel (TSGO) sind es jeweils etwa 4500 Männer, Frauen, Jugendliche und Kinder. Mit ihren Präsidenten Ralph Gotta (HTG) und Carsten Trumpp (TSGO) sprach Jürgen Streicher.

Keine Spiele, keine Wettkämpfe, kein Trainingsbetrieb. Der Amateur- und Freizeitsport ist seit Beginn der Woche nahezu eingestellt. Was bedeutet das für Ihre Vereine?

Ralph Gotta: Wir sind traurig! Leider ist es so, dass nur noch unsere Profis der ersten Mannschaft unserer Basketballerinnen trainieren und am Ligabetrieb teilnehmen dürfen. Gleiches gilt für unsere Spitzenathleten aus dem Bereich Judo. Und Individualsportler dürfen indoor und outdoor Sport treiben. Dass unsere rund 2300 Kinder und Jugendlichen nicht mehr trainieren dürfen, schmerzt am allermeisten, zumal in einigen Schulen weiterhin Sport im Klassenverband auch in Hallen angeboten werden darf.

Carsten Trumpp: Der Amateur- und Freizeitsport ist seit Beginn der Woche komplett eingestellt. Dass wir unsere Sportangebote wieder einstellen müssen, trifft uns schwer. Wir tragen diese Entscheidung mit und hoffen, dass die Maßnahmen die erhoffte Wirkung erzielen und wir im Dezember wieder den Sportbetrieb hochfahren dürfen.

Es gab gute, nahezu perfekt ausgefeilte Hygienekonzepte, die gut funktioniert haben. Und jetzt doch wieder der Lockdown, Spiel- und Sportverbot in einer Zeit, in der sich alles um das Thema Gesundheit bewegt. Fühlen Sie sich jetzt bestraft von der Politik?

Ralph Gotta: Nicht bestraft, sondern enttäuscht. Die Politik macht ihre Hausaufgaben aus meiner Sicht nicht. Wieso werden Schulen und Kitas anders behandelt als Sportvereine. Hier sind die Argumentationsketten nicht nachzuvollziehen.

Carsten Trumpp: Nein. Die Politik handelt nur aufgrund der stark gestiegenen Infektionszahlen. Auch wenn es für uns schwer ist und wir uns nicht als die Verursacher der erhöhten Infektionszahlen sehen, trifft es andere Bereiche wie die Veranstaltungs-, Hotel- und Kulturbranche, die Gastronomie oder Taxibetreiber härter als uns. Dort sind Existenzen bedroht. 

Trainingskonzepte wurden an die jeweils aktuelle Situation angepasst und neu entwickelt, binnen eines halben Jahres musste sich der Sport mit Erfolg zum Teil neu erfinden. Alles richtig gemacht also und doch die Rote Karte von höherer Instanz?

Ralph Gotta: So scheint es, allein die Argumentation ist brüchig. Ja, das Virus ist gefährlich und ja, die Inzidenzen steigen. Aber im Sport, wie auch in den Schulen, sind die Ansteckungen gering bis kaum erkennbar. Die Konzepte der Vereine, der Schulen und der Gastronomen zeigen Wirkung.

Carsten Trumpp: Wir spüren schon,  dass sich unser Einsatz gelohnt hat. Wir bekommen viel Lob für unsere individuellen Lösungswege. Es steckt viel Arbeit in den Konzepten und wir haben im Verein die letzten Monate ehrenamtlich Außerordentliches geleistet. Aber die Situation jetzt im Herbst hat wieder neue Probleme aufgeworfen. Ein großer Teil des Gesundheitssports hat im Freien stattgefunden, was in der kalten und dunklen Jahreszeit nicht mehr möglich ist. Auch die Lüftungsmöglichkeiten der Hallen sind sehr unterschiedlich, die Kapazitäten aufgrund der Quadratmeter beschränkt. Nun wurde uns die Rote Karte gezeigt, wie Sie es formulieren, obwohl wir kein Foul gespielt haben. Aber in Anbetracht der Infektionszahlen wäre es eine Frage der Zeit gewesen, wann auch von uns Gruppen in Quarantäne gemusst hätten.  

Gab es denn nachweislich Coronafälle im Verein oder dessen Umfeld, die ursächlich mit der Ausübung des Sports zusammenhingen?

Ralph Gotta: Ich kenne keine. Eine Volleyballmannschaft mussten wir aus dem Spielbetrieb nehmen, weil sich ein Mitglied irgendwo angesteckt hatte, Vorsicht und Rücksicht waren geboten.

Carsten Trumpp: Nein, mir sind keine bekannt.

Wie geht es nun weiter mit der HTG und der TSGO? Frust pur oder haben Sie schon wieder neue Ideen und Konzepte, um den Sport und das Vereinsleben aufrecht zu erhalten?

Ralph Gotta: Natürlich geht es auch in der HTG weiter. Wir sind bereits dabei, die virtuellen Sport-Angebote vom Frühjahr dieses Jahres wieder zu installieren. Wir unterstützen die Individual- und Gesundheitssportler bei ihren Trainings und wir werden unsere Spitzensportler sich auch weiterhin auf ihre Wettkämpfe, Meisterschaften und Turniere vorbereiten lassen.

Carsten Trumpp: Zuerst erfolgt die Information der Mitglieder. Gleichzeitig sind wir aber schon dabei, das fortzuführen, was im ersten Lockdown angeboten wurde und gleichzeitig neue Ideen zu entwickeln.

Wie kann man denn die Mitglieder in so einer Extremsituation noch bei der Stange halten?

Ralph Gotta: Die Toleranz und Akzeptanz der Mitglieder gegenüber den seitens der Regierungen getroffenen Maßnahmen ist erstaunlicherweise immer noch sehr hoch. Die Treue zum Verein und die Aussicht auf ein Wiederaufleben des Sportbetriebes in nicht allzu ferner Zeit tut ein Übriges.

Carsten Trumpp: Über persönlichen Kontakt, Online-Angebote, den Youtube-Kanal der TSGO. Jetzt sind verstärkt Bewegungsaufgaben für Kinder geplant.

Ich denke da insbesondere auch an die Jugendarbeit. Wie schätzen Sie die Frusttoleranz der jungen Sportler ein?

Ralph Gotta: Die Jugendlichen werden geschoben und gebogen, um den unterschiedlichen Vorgaben in Schule, Leistungssport und Verein gerecht zu werden. Dennoch ist auch hier keine Entrüstung, vielmehr großes Verständnis zu spüren.

Carsten Trumpp: Die jungen Sportler sind aus der Schule die Einschränkungen gewohnt und gehen damit entspannt um. Sie wissen auch, dass die Zeit kommen wird, da wir wieder normal miteinander Sport treiben können.

Fürchten Sie eine Austrittswelle oder ist die Solidarität mit dem Verein größer als die Enttäuschung über den erneuten Lockdown?

Ralph Gotta: Nein, wir befürchten keine Austrittswelle. Die Solidarität ist riesig!

Carsten Trumpp: Wir setzen wie im Frühjahr auf die Solidarität unserer Mitglieder. Wir hatten nur wenige Austritte. Was uns gefehlt hat, waren die Neueintritte. Diese konnten ohne Angebot nicht generiert werden. Wir haben unser Angebot unter großer Kraftanstrengung aller Beteiligten aufrechterhalten. Das sehen unsere Mitglieder.

Was hatte die Pandemie bisher für finanzielle Folgen für den Verein und wie schätzen Sie das für die Zukunft ein?

Ralph Gotta: Die monetären Beeinträchtigungen sind überschaubar und Dank der vielen Spenden auch tragbar. Die zwei Monate im Frühjahr haben uns einen mittleren fünfstelligen Betrag gekostet. Die Aufwendungen oder besser Nichteinnahmen beim zweiten „Mini-Lockdown“ werden nicht ganz so hoch ausfallen. Letztendlich wird die Dauer der erneuten Schließung entscheidend dafür sein, wie viele Rücklagen aufgefressen werden.

Carsten Trumpp: Wir werden seit Jahren mal wieder einen Rückgang an Mitgliedern zu verkraften haben. Das liegt aber nicht an den Austritten, die zwar leicht erhöht aber noch im Rahmen sind, sondern an den fehlenden Neuaufnahmen aus dem April und Mai und jetzt aus dem November. Das merken wir besonders im vereinseigenen Fitnessstudio. Auch fehlen uns die Einnahmen aus Veranstaltungen wie dem Feldberg- und Brunnenfestlauf.

Wie lautet Ihre Alternative zum Lockdown als Tipp an die Entscheider in der Politik und in den Sportverbänden?

Ralph Gotta: Mehr, bessere und akribischere Analysen über die Ansteckungswege, um damit sinnvolle und zielgerichtete Maßnahmen in die Wege leiten zu können. Die große Gießkanne positiv wie negativ hat noch nie funktioniert.

Carsten Trumpp: Wenn der befristete eingeschränkte Lockdown die gewünschte Wirkung erzielt, ist die Vorgehensweise in Ordnung. Sollte dies aber nicht die Zahl unter 50 drücken, muss individueller geschaut werden. Es gibt Kontaktsport, der sicherlich ein größeres Risiko in sich birgt. Bei Angeboten im Freien wie Walking ist dies anders. Hier wäre dann eine Abwägung wünschenswert.

Das Virus und der Sport – wie bekommen wir die Kurve?

Ralph Gotta: Selbstverständlich bekommen wir die Kurve. Die Sportler sind schon heute die am wenigsten Betroffenen. Ich erwarte aus dieser Krise heraus einen Sportboom, wie wir ihn noch nie erlebt haben. Vielleicht nicht überwiegend in den traditionellen Sportarten und auch nicht unbedingt im organisierten Sport. Aber die Erkenntnis, dass ein trainierter Körper auch ein gesünderer ist, wird sich weiter durchsetzen.

Carsten Trumpp: Wir hoffen, dass unsere Mitglieder gesund bleiben und sich in der Zwischenzeit viel an der Luft bewegen, so dass wir uns auf ein Wiedersehen freuen können.

„Wir setzen wie im Frühjahr auf die Solidarität unserer Mitglieder“, sagt Carsten Trumpp, der 51-jährige TSGO-Präsident. Foto: js

„Wir kriegen die Kurve“, davon ist Ralph Gotta überzeugt. Der 62-jährige HTG-Präsident ist auch hauptamtlicher Geschäftsführer des Vereins. Foto: js

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