Ein großes Vorbild für die Gesellschaft

Schwalbach (tl). Wer die Adresse Steinweg 7 aufsucht, der sieht sich schnell einem schmucken Mehrfamilienhaus mit Erker früherer Jahrzehnte gegenüber. Drei Namen stehen derzeit an den Klingeln. Doch keiner verweist mehr auf einen der berühmtesten Namen, der einst unter dieser Adresse seinen letzten Wohnsitz hatte, sondern eine Gedenktafel: James Elmer Spyglass.

Der am 1. November 1877 in Ohio geborene Sänger und Dolmetscher, wuchs zunächst in den Staaten auf. Historiker, die sich mit ihm beschäftigten, gehen davon aus, dass der afroamerikanische Spyglass bei Zieheltern groß wurde. Die Freude an der Musik und dem Gesang, die Achtung vor den Menschen waren für Spyglass Zeit seines Lebens wichtige Wetrte nach denen er handelte. Sein Ziehvater war Augustus Spyglass, ein Schmied und im Nebenberuf in seiner Kirchengemeinde Organist. Schon mit vier Jahren erlernte James Elmer das Orgelspielen und investierte auch als Schüler und später auch als Arbeiter seinen Lohn für Musikunterricht und die Musik.

Früh war James Elmer Spyglass als Sänger und Chorleiter unterwegs und studierte 1905 in Toledo/Ohio Musik. Als er ein Jahr später nach England reiste, um seine Studien zu vervollkommnen, ging ihm das Geld aus.

Mit Auftritten bei denen er sich selbst am Klavier als Sänger begleitete, finanzierte er sein Leben. In Frankfurt am Main gastierte er 1907 das erste Mal im Café von Dyk, das sich zu diesem Zeitpunkt unter der Adresse „Neue Zeil 21“ befand. Vieles sprach aber dafür, wie aus einem Bericht von Hans Pehl aus dem Franfurter Personenlexikon hervorgeht, dass Spyglass womöglich schon früher zu Gast in der Mainmetropole war.

Sicherlich ebenfalls eine Besonderheit des Schwalbacher Ehrenbürgers war, dass er durch viele Länder Europas tourte und in Englisch, Französisch, Deutsch, Italienisch, Holländisch, Dänisch und den Dialekten der Hessen, Bayern, Sachsen, Berliner und Rheinländer sang. „Dazu kamen Gastspielreisen ins heutige Tschechien, nach Ungarn, Skandinavien und möglicherweise nach Russland“, heißt es im Personenlexikon.

Und weiter: „Während seiner seltenen Heimatbesuche in den USA stand anlässlich einer Konzertankündigung in der New York Age vom 5.9.1912, er sei ‚vielleicht der beste lyrische Bariton der Afroamerikaner“.

Mit populären Liedern sang er sich in die Herzen des Publikums, wohnte zeitweise auch in Holland, dann wieder in der Frankfurter Goethestraße 10. Mit seiner Pensionswirtin Helene Patt begann er eine Beziehung, von seiner Ehefrau Mary Alice lebte er bereits getrennt. Nach den Bombenangriffen im März 1944 zog Spyglass zu Freunden nach Schwalbach um. Seine erste Adresse dort war in der Schulstraße 1, bei Peter Hildmann, später zog es ihn in den Steinweg 7.

Berichten zufolge sei das Erstaunen groß gewesen, als 1945 die US-Armee nach Schwalbach kam und bemerkte, dass ein Farbiger die Herrschaft der Nationalsozialisten unbeschadet überstanden hat. Und mehr noch, er sich auch zugleich noch für die Bürger einsetzte. Die wirtschaftliche Not in der Stadt war groß. Dennoch gab Spyglass für die Kinder kostenlosen Englischunterricht, für die Bedürftigen unter ihnen sammelte er außerdem Geld. Als Teile der Stadt von Bomben zerstört wurden, habe er geholfen die Trümmer zu beseitigen und die Toten zu bergen. Das schrieb Heimat- historiker Richard Peters aus Schwalbach, der 2009 im Alter von 83 Jahren verstarb, Spyglass aber noch persönlich kannte. Damals habe auch er seine Englischkenntnisse bei Spyglass aufgefrischt.

Dass sich der Schwalbacher für seine Mitmenschen einsetzte, das zeigte auch das Engagement 1945, als die amerikanische Militärpolizei alle Männer verhaftete. Der damalige Bürgermeister Hans Rühl und Spyglass begaben sich nach Hofheim, um dort für die Freilassung der Männer zu kämpfen. Dass diese überhaupt verhaftet worden waren, begründeten die Kommandeure mit den fehlenden Entlassungspapieren oder Registrierscheinen, die als eine Art Ausweisdokument galten. Letztere waren bis dahin noch nicht ausgegeben worden. Die Männer kamen frei und nur eine Woche später erhielten sie ihre Papiere. Von 1946 bis zu seinem Ruhestand 1953, arbeitete Spyglass als Empfangschef beim US-amerikanischen Konsulat in Frankfurt, „wobei ihm seine Sprachkenntnisse, das Frankfurterische eingeschlossen, wieder gute Dienste leisteten“, heißt es bei Pehl.

Nicht zuletzt wegen seiner Ausgeglichenheit und seiner Freundlichkeit galt er als geschätzter Mann. Zu seinem 75. Geburtstag sang er noch einmal im Radio des Hessischen Rundfunks und dem amerikanischen Sender AFN.

In den 40er Jahren schrieb er bereits an seinen Memoiren, die aber nicht mehr veröffentlicht wurden. Die Ehrenbürgerschaft der Stadt Schwalbach erhielt Spyglass 1954, knapp drei Jahre später verstarb der musikalische Ehrenmann in seiner Wohnung an einem Herzversagen. Die Urne wurde in Yellow Springs beigesetzt. Doch sein Andenken lebt weiter. Denn schon seit 1975 vergibt die Stadt für multikulturelle Verdienste den James Elmer Spyglass-Ehrenpreis an engagierte Bürger, die einem großen Vorbild nacheifern.



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