Als der Pakt mit dem Teufel real wurde

ORT:

Schwalbach (cl). Mit der Bühnenfassung von „Mephisto“ gastierte das „Neue Globe Theater“ aus Potsdam am Samstag im Schwalbacher Bürgerhaus. Erst als Roman, dann als Oscar-prämierter Spielfilm – und nun auch noch als Theaterstück: Klaus Manns „Mephisto“ passt genauso gut auf „die Bretter, die die Welt bedeuten“ wie auf gedrucktes Papier oder die Kino-Leinwand.

Für die Aufführung bearbeitete Regisseur Kai Frederic Schrickel die Fassung, die Till und Chris Weinheimer vor vier Jahren für das Berliner Ensemble geschrieben hatten. Schrickels Ensemble besteht aus acht Personen, die sich mehrere Rollen und die intensive musikalische Begleitung teilen. Für Letztere sorgten Pianistin Bettina Koch und Toni Nissl, zuständig für Schlagzeug und akustische Effekte. Nicht nur für sie waren die fast zweieinhalb Stunden ein Kraftakt. Auch die beiden Schauspielerinnen und vier Schauspieler hatten viel zu tun. Mit Ausnahme der Titelrolle wurde ein gutes Dutzend - zum Teil queerer - Figuren auf nur fünf Schultern verteilt. Wie so oft bei Tournee-Theatern schlüpften die Darsteller ständig und rasant in andere Rollen. Und das gelang hervorragend. Zu Recht mit dem lautesten Applaus bedacht wurde Martin Radecke, der neben dem Conférencier auch die langjährige Schauspieler-Geliebte Juliette spielte.

Abrechnung mit Gustav Gründgens

Ja, um einen Schauspieler geht es nämlich in Klaus Manns „Roman einer Karriere“, den der Spross der berühmten Schriftstellerfamilie 1939 im Exil verfasste. Im Mittelpunkt steht Klaus Manns Ex-Schwager, der legendäre Gustaf Gründgens, einer der genialsten Schauspieler seiner Zeit, der während der Weimarer Republik drei Jahre lang mit Erika Mann, der ältesten Tochter des Literatur-Nobelpreisträgers Thomas Mann, verheiratet war.

In seinem Schlüsselroman findet sich Klaus‘ Schwester in der Figur der Barbara Bruckner wieder, auf der Bühne überzeugend und schwungvoll dargestellt von Jessica von Wehner. Manns Hauptfigur, ein Mime, der vor allme durch seine Hamlet- und Mephisto-Rollen berühmt und bewundert wurde, nennt Klaus Mann Hendrik Höfgen. Dessen Zerrissenheit zwischen Abscheu und Anpassung wird von Laurenz Wiegand überzeugend auf die Bühne gebracht.

Als Schauspieler, so lamentiert Höfgen-Gründgens in Roman und Verfilmung, könne man nicht ins Exil gehen, als Schauspieler sei man auf die Sprache angewiesen, anders als Schriftsteller, Malerinnen oder Wissenschaftler. Und so bleibt er im Land, während die Familie Mann einschließlich Erika alias Barbara sowie viele andere Schauspieler, Kabarettistinnen und Künstler nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 verfolgt wurden und ins Exil gingen. Doch – und das ist der Vorwurf von Roman und Theaterstück – Gründgens blieb nicht nur, er hofierte darüber hinaus die neuen Machthaber und machte unter der schützenden harten Hand von Hermann Göring, im Text nicht besonders verschlüsselt als „der Dicke“ bezeichnet und hervorragend von Andreas Erfurth dargestellt, eine beispiellose Karriere, die ihn bis ins Amt eines General-Intendanten katapultierte; trotz Homosexualität und kritisch-kabarettistischer Vergangenheit. Dieser mephistophelische Pakt mit dem Teufel ist es, den ihm seine früheren Gefährten und Kolleginnen nicht verzeihen mochten und der Manns Idee für den Titel seiner literarischen Abrechnung so genial macht.

Am Samstagabend glänzte das gesamte Ensemble des „Neuen Globe Theaters“ im sehr gut gefüllten, aber nicht ausverkauften großen Saal des Bürgerhauses. Erwähnt sei noch Anja Lemmermann, die unter anderem die eher mäßig begabte Schauspielerin Lotte Lindenthal darstellte, mit der der Autor die zweite Ehefrau „des Dicken“, Emmy Göring, karikierte. Sehr überzeugend war die Leistung von Marco Litta, der sowohl einen verblendeten SA-Anhänger als auch einen gefolterten und ermordeten Kommunisten so darstellte, dass eine große Betroffenheit seitens des Publikums zu bemerken war.

Fazit: Ein Sujet, das gerade in der heutigen Zeit aktueller denn je ist, ein großartiges Ensemble, das nicht nur schauspielern, sondern auch perfekt singen und tanzen kann. Was die Potsdamer Bühnenfassung, die im Mai 2023 Premiere hatte, angeht, so empfand ich den Anfang mit seiner Mischung aus Babylon-Berlin-Atmosphäre und altbekannter Rocky-Horror-Picture-Szenerie etwas langatmig. Erst nach einer ganzen Weile ging die eigentliche und wirklich spannende Geschichte so richtig los und steigerte sich vor allem nach der Pause immer mehr. Wie schön, dass uns in Schwalbach unsere Theateraufführungen erst einmal erhalten bleiben.

Die Schauspieler mussten während der zweieinhalbstündigen Aufführung von „Mephisto“ in viele, teils queere Rollen schlüpfen.Foto: Neues Globe Theater

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