Spannung zwischen Musik und Text…

Schwalbach (sn). Die Erinnerungsarbeit und die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Hass und Antisemitismus gehören in der Evangelischen Limesgemeinde immer schon zur ständigen Arbeit, wie Pfarrerin Gengenbach betonte. Daher unterstützte die Kirchengemeinde gemeinsam mit der Gesellschaft Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Main-Taunus zum dritten Mal das Konzert des KulturNetzWerkes Cavallerotti. In diesem Jahr erhielt „Klassik gegen Rechts 2020“ eine tragische und traurige besondere Bedeutung. So begann das Konzert am 23. Februar mit einer Gedenkminute für die Opfer des Rechtsterroristen in Hanau.

Die von Rainer Hauptmann und Hans- Joachim Übelacker ausgesuchten und vorgetragenen Texte aus dem Leben und Wirken von Felix Mendelssohn Bartholdy haben leider nichts an Aktualität verloren. Ein Grund für die Taunus Sparkasse die Veranstaltung finanziell zu fördern.

Als der am 3. Februar 1809 in Hamburg geborene Jakob Ludwig Felix Mendelssohn Bartholdy überraschend am 4, November 1847 in Leipzig verstarb, erschütterte dies die Musikwelt. Der plötzliche, unzeitige Tod des großen zeitgenössischen Meisters der Romantik wurde als unersetzlicher Verlust empfunden.

Dieser positiven Bewertung folgte man in bestimmten gesellschaftlichen Kreisen nicht, wie Hauptmann und Übelacker akribisch nachwiesen.

Schon 1814 formulierte der Berliner Historiker des Preußischen Staates Friedrich Rühs: „Gelingt es nicht, die Juden zur Taufe zu bewegen, dann bleibt nur eins: sie gewaltsam auszurotten.“ Mendelssohn wurde evangelisch getauft, wie viele Juden damals und lebte als engagierter Protestant. Nur, es nutzte ihm nicht viel. Die Beispiele, die Hauptman und Übelacker vortrugen, waren bedrückend. Schon im Jahre 1833 formulierten die Gegner einer Wahl Mendelssohns zum Leiter der Berliner Singakademie: „Die Singakademie ist, durch ihre fast ausschließliche Beschäftigung mit geistlicher Musik, ein christliches Institut, es ist darum unerhört, dass man ihr einen Judenjungen zum Director aufreden wolle.“

So reihte sich Beispiel an Beispiel, wie Mendelssohns Musik mit antisemitischen Tönen, herabgesetzt wurde. Da nutzte es auch nichts, dass Friedrich Nietzsche ihn „als der schönste Zwischenfall der deutschen Musik“ charakterisierte. Pamphlet reihte sich an Pamphlet mit abfälligen Äußerungen über Mendelssohn und seine Musik. Ausländischen Journalisten blieb es vorbehalten darüber Unverständnis zu äußern und auf die wunderbare Musik hinzuweisen.

Die früheren antisemitischen Betrachtungen gipfelten dann nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in den vielen Versuchen, Mendelsohn aus der Musikgeschichte auszulöschen. Chöre durften ihn nicht mehr singen, seine Kompositionen wurden nicht mehr gespielt. Die Vertonung der Eichendorff-Zeilen „O Täler weit, o Höhen, o schöner grüner Wald, du meiner Lust und Wehen andächtiger Aufenthalt …“, wurden als Elaborat eines „vorderasiatisch-orientalischen Juden“ verboten. Intendanten, die Mendelssohn trotzdem spielten, wurden entlassen und mussten emigrieren.

Wie Rainer Hauptmann an einigen Beispielen nachweist, hat sich die Situation nach dem Krieg nicht gebessert, blieben viele Musikwissenschaftler und Musikkritiker in den relevanten Positionen. So konstatiert Rainer Hauptmann: „Durch das Verbot der Nazis, in dem Zeitraum von 1933 bis 1945 Mendelssohnsche Musik zu spielen, riss auch die wesentliche Tradition eines spezifischen Mendelssohn-Musizierens unweigerlich ab.“

Ein Otto Keller schrieb 1903 (Illustrierte Geschichte der Musik) über Mendelssohn: „Seine Klavierwerke gehen auch nicht tief, seine Lieder „Ohne Worte“ haben eine Ära seichter Salonmusik heraufbeschworen, die besser ungeschrieben geblieben wäre.“

Die vielfach ausgezeichnete Konzertpianistin Diana Sahakyan (in Armenien geboren und ausgebildet, lebt mittlerweile in Frankfurt am Main) machte zwischen den vorgetragenen Texten die Zuhörenden mit der Musik von Felix Mendelssohn Bartholdy bekannt. Einfühlsam spielte sie neun Stücke aus dem Werk „Lied ohne Worte“ und zeigte die Tiefe der Mendelssohnschen Musik. Zum Schluß spielte sie den September- Zyklus aus „Das Jahr“ von Fanny Mendelssohn-Hensel, der älteren Schwester von Felix. Deren Leben und musikalisches Wirken wären eine eigene Veranstaltung wert.

Mit einem lang anhaltenden Beifall dankte das Publikum Künstlerin und den Vortragenden für das wunderbare Spiel und die interessanten Texte.

„Eine Spannung zwischen Musik und Text, die kaum auszuhalten war“, wie Pfarrerin Christine Gengenbach resümierte.



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