Der achtsame Blick auf die schönen Dinge

Tag für Tag ist Birgit Dettmar-Voerste mit ihrem Fahrrad unterwegs. Ob nur schnell zum Bäcker oder zur Uni nach Frankfurt, ein Leben ohne Rad ist für sie nicht vorstellbar. Daher beteiligt sie sich am Steinbacher Stadtradeln. Foto: csc

Von Christine Sarac

Steinbach. Lächelnd, mit einer frischen Bräune im Gesicht, öffnet Birgit Dettmar-Voerste die Haustür. Gerade erst sei sie von einer Radreise zurückgekommen, erzählt sie fröhlich. Gemeinsam mit ihrem Mann Rüdiger ist die 65-Jährige von Salzburg nach Wien geradelt. Fast eine Woche lang – da kamen viele Kilometer zusammen. Das freut das Paar doppelt, denn sie nehmen an der Aktion Stadtradeln teil, die noch bis Samstag läuft.

Beim Stadtradeln handelt es sich um einen bundesweiten Wettbewerb. 21 Tage lang sollen Alltagswege, die normalerweise mit dem Auto gemacht werden per Rad absolviert werden. Ziel ist es, bei den Bürgern das Bewusstsein für Klimaschutz und Radinfrastruktur zu schärfen. In diesem Jahr beteiligen sich deutschlandweit 2531 Kommunen an der Umweltaktion, darunter auch Steinbach, und etwa zeitgleich radelt auch die thüringische Partnerstadt Steinbach-Hallenberg fürs gute Klima. In der Taunusgemeinde haben sich 130 Fahrradfahrer angemeldet und sammeln in elf Teams jeden gefahrenen Kilometer, der online eingetragen wird. Steinbach macht zum dritten Mal beim Stadtradeln mit, so auch Birgit Dettmar-Voerste.

Fahrradfahren gehört für die quirlige Steinbacherin zum täglichen Leben dazu. Seit sie ein kleines Mädchen war, tritt sie in die Pedale und tut es noch. Aus Überzeugung, für die Umwelt, weil man unabhängig ist und vor allem, weil es ganz viel Spaß macht. „Ich bin schon als Kind gern Rad gefahren“, erinnert sie sich. Seit 30 Jahren lebt Birgit Dettmar-Voerste nun schon in Steinbach, aufgewachsen ist sie aber in Nordhessen, genauer gesagt in Baunatal. „Damals gab es dort nicht mal einen Stadtbus. Wenn ich zum Tennis wollte, dann musste ich mich einfach aufs Rad schwingen“, erzählt sie. Nach dem Abitur ging sie zum Jurastudium nach Göttingen. „Da habe ich außerhalb gewohnt. Ein Auto hatte ich nicht, und die Kosten für den öffentlichen Nahverkehr wollte ich sparen, also war auch hier mein Fahrrad mein ständiger Begleiter“, erzählt sie.

Beim anschließenden Referendariat in Kassel sah die Sache nicht viel anders aus. „Bei Gericht gab es kaum Parkplätze, aber mit dem Rad konnte ich direkt bis vor die Tür fahren. So war ich immer unabhängig und schnell unterwegs.“ Natürlich hat das Ehepaar Dettmar-Voerste inzwischen ein Auto, doch das steht meistens in der Garage. „Ich brauche es eigentlich nur, wenn ich meine pflegebedürftigen Eltern in Baunatal besuchen möchte. Alle anderen Fahrten erledige ich mit dem Rad“, berichtet sie. Die Infrastruktur hierfür sei in Steinbach gut, findet sie, allerdings sehe die Sache im Hintertaunus schon etwas anders aus. „Ganz klar ist da noch Luft nach oben. Deshalb kämpfe ich auch für die Verkehrswende und einen Radschnellweg vom Hintertaunus bis nach Frankfurt“, so Dettmar-Voerste, die seit etwa zehn Jahren beim Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) engagiert ist. Sie gehört der Ortsgruppe Oberursel/Steinbach an, die kürzlich ihr 1000tes Mitglied begrüßen konnte.

Ein typischer Tag im Leben von Birgit Dettmar-Voerste sieht ungefähr so aus: Morgens holt sie ihren Drahtesel aus der Garage und dann geht es los, rauf zum Sportstudio in der Waldstraße, zur Wirbelsäulengymnastik. „Ich bin inzwischen im Ruhestand, nehme aber gern an der Universität des dritten Lebensalters teil“, verrät sie. Wenn es eine spannende Vorlesung gibt wie zum Beispiel im Fachbereich Kunstgeschichte, dann schwingt sie sich wieder aufs Rad und fährt am Apfelweinbrückchen entlang durch den Niddapark bis ins Westend und zur Bockenheimer Warte.

„Mit dem Rad lernt man seine Stadt und die Umgebung ganz anders kennen“, ist sie überzeugt. „Man ist langsamer unterwegs, kann anhalten, wenn es etwas Schönes zu sehen gibt.“ Auf diese Weise werde man achtsamer und entdeckt Dinge, die einem auf einer Autofahrt verborgen geblieben wären, gibt Birgit Dettmar-Voerste zu bedenken. „An manchen Tagen kann es vorkommen, dass ich einen Arzttermin in der Frankfurter Innenstadt habe oder noch bei der Stadtbücherei vorbeischauen will“, so Dettmar-Voerste. Anschließend geht es zurück nach Hause.

Weitere Wege abgesehen von Besorgungen wie einkaufen oder ein Besuch bei der Postfiliale sind der Tennisplatz des TC oder auch ein Englischkurs in Bad Homburg. Hinzu kommt, dass Birgit Dettmar-Voerste beim ADFC Tages- und Feierabendtouren anbietet. So kommt sie gut und gerne auf durchschnittlich 30 gefahrene Kilometer pro Tag. Im Herbst möchte die passionierte Radfahrerin außerdem noch eine Zertifizierung zur ausgebildeten Tourenleiterin machen, die der ADFC anbietet. „Radfahren hält mich fit. Beweisen muss ich mir nichts, aber es tut mir einfach gut und belastet die Gelenke nicht“, sagt sie.

Auch, als sie noch fest im Berufsleben stand, als Mitarbeiterin der Deutschen Post AG in Frankfurt, ist Birgit Dettmar-Voerste immer mit dem Drahtesel ins Büro gekommen. „Mein damaliger Arbeitgeber hat das mit der Aktion ‚Mit dem Rad zur Arbeit‘ unterstützt“, erinnert sie sich. Die fleißigsten Radler konnten sich dann über kleine Geschenke freuen. Stolz zeigt Birgit Dettmar-Voerste auf ihre knallgelbe Postradklingel am Lenker ihres Fahrrads. „Ich bin auch der Meinung, dass es gut tut, auf der Heimfahrt von der Arbeit seine Gedanken schweifen lassen zu können. Ich kam immer entspannt zu Hause an.“



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