Biotop ermöglicht durch Verzicht von Kleingärtnern

Der Garten von Vereinschronist Manfred Englert ist jetzt beträchtlich geschrumpft, einen zehn Meter breiten Streifen musste auch er abgeben. Foto: HB

Steinbach (HB). Der Verein erlebt den größten Umbruch in seiner bald 60-jährigen Geschichte. In der Steinbachaue läuft die Renaturierung auf Hochtouren, es wird ausgebaggert, planiert und gepflanzt, damit aus dem langweiligen Bach ein spannendes Biotop wird. Die Öko-Offensive verlangt den Mitgliedern des Kleingartenvereins „Im Wingert“ beträchtliche Opfer ab. Im ersten Bauabschnitt blieb von acht Gärten nichts mehr übrig. Nunmehr wird die Aue bis zur Vereinsgrenze umgemodelt und diesmal müssen acht Kleingärtner beträchtliche Flächen abtreten. Der Vorstand sagt, man habe sich mit der unabwendbaren Maßnahme arrangiert.

Im Vereinsheim hängt ein Gemälde von einer idyllischen Steinbachaue, in der es noch keine asphaltierten Wege gab, das Heu noch mit dem Leiterwagen davongekarrt wurde. Der Altkönig sah damals so aus wie heute, aber vom Kleingartenverein war noch nicht zu sehen. Das änderte sich 1965, als sich sechzehn Gründungsmitglieder im alten Bürgerhaus trafen und beschlossen am Bachlauf Obst und Gemüse anzubauen. Heutzutage umfasst das Vereinsgelände 3500 Quadratmeter, auf denen 54 Parzellen liegen, die sich bis hinauf zur Bebauungsgrenze in der Stettiner Straße ziehen. Zu den Pionieren gehört Manfred Englert, seit 1975 im Verein, momentan Beisitzer im Vorstand und Vereinschronist. Der 82-Jährige staunt über die Erdbewegungen am Steinbach und versucht sich die Dimensionen beim Bau des Suez- und des Panamakanals auszumalen. Vorsitzender Andeas Solich und sein „Vize“ Bernhard Bradel schauen zufrieden auf die gepflegte Anlage, die in vorbildlicher Weise den Bestimmungen des Kleingartengesetzes entspricht.

Die Parzellen sind begehrt

Den Hobbygärtnern wird seit den zwanziger Jahren vorgeschrieben, wie ein Garten auszusehen hat. Der soll ein gesundes Verhältnis aus Grabland, Rasenfläche und Gartenlaube aufweisen. Nadelbäume sind tabu. Die aus den Hungerjahren nach dem Ersten Weltkrieg stammenden Statuten werden in der Kolonie befolgt, andernfalls steht eine Abmahnung ins Haus, die als Diziplinierungsinstrument in aller Regel ausreicht. Vor die Tür wurde noch niemand gesetzt, weshalb freie Parzellen eine Rarität sind und die Liste mit den Bewerbungen 30 Namen umfasst. Anfragen sind daher zwecklos. Wer als Anwärter ganz oben steht, wartet schon seit zehn Jahren auf den Platz im Grünen. Beim Besitzerwechsel entscheidet ein Wertgutachten über die Höhe der Ablösesumme. Die liegt im Normalfall bei rund 1000 Euro.

Der Spaß am Kleingarten steht und fällt mit dem Wetter. Letzte Woche gab es wieder mal ein Wechselbad der Gefühle, als am Freitag in kurzen Ärmeln gegraben wurde, die Anlage tags darauf im Nieselregen aber wie ausgestorben wirkte. Vom Wohl und Wehe eines Gartenbesitzers kann auch Ex-Bürgermeister Stefan Naas berichten, der auf der anderen Seite der Aue ein ziemlich großes Grundstück sein eigen nennt. Während seiner Amtszeit war er es, der den Vereinsoberen die Renaturierungspläne der Stadt erläuterte. Auf stadteigenem Gelände, das an den Verein verpachtet wurde.

Viel Verzicht zugunsten der Natur

„Wir waren erst mal dagegen,“ erinnert sich Manfred Englert. Man sorgte sich um die acht Mitglieder, die ihre kompletten Parzellen für Fauna und Flora in der Aue hergeben mussten. Einige hörten aus Altersgründen auf, die anderen konnten zum Glück auf dem Gelände umgesiedelt werden. Vom zweiten Bauabschnitt sind aktuell wiederum acht Pächter betroffen, die – wie auch Manfred Englert – einen zehn Meter breiten Streifen abgeben mussten.

Von einem belebten Spazierweg ist es zur Baustelle nicht weit. Gelegentlich biegen Neugierige ab und sehen sich auf der Baustelle um. Doch die Annäherung an den Steinbach wird möglicherweise durch einen Zaun unterbunden, der dem Kleingartenverein zu Pass käme. Man hat nämlich noch unangenehm in Erinnerung, dass während der ersten Bauphase der ausgetrocknete Steinbach als Parcours für Motorräder zweckentfremdet wurde. Überdies werde ein offenes Vereinsgelände Diebstählen aus den Lauben und auch Vandalismus begünstigen, meint Andreas Solich.

Beim traditionellen Sommerfest des Vereins, zu dem alle Steinbacher eingeladen werden – von dem man aber nicht weiß, wann es wieder stattfinden wird – kann die Renaturierung in jedem Falle besichtigt werden. Möglicherweise lädt der Verein auch zu einem Tag der offenen Tür ein.

Die Aussicht erst nach zehn Jahren einen Kleingarten pachten zu können, hat das Stadtparlament beschäftigt. Der Magistrat ist gehalten nach Erweiterungflächen zu suchen, die in der Steinbachaue zwar nicht, aber womöglich jenseits des Nicolaiwegs zu finden sind.

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