Frieden wird durch Taten erschaffen

Beim Friedensgottesdienst stehen die Menschen am Sonntag dicht gedrängt auf dem Freien Platz. Mit einer Schweigeminute wird der Menschen in der Ukraine gedacht. Foto:HB

Kirchen

Von Hans-Jürgen Biedermann

Steinbach. Die evangelische Kirchengemeinde rief zum Gottesdienst und viele waren am Sonntagmorgen auf den Freien Platz in Alt-Steinbach gekommen. Es ist nicht die Zeit für Humor von der Kanzel und deshalb wurde aus der angekündigten „Büttenpredigt“ zur Fastnacht der evangelischen Georgsgemeinde kurzerhand ein multi-religiöses Friedensgebet als Zeichen gegen den Ukraine-Krieg, zu dem sich ab 11 Uhr mehrere hundert Menschen versammelt hatten.

Ursprünglich wollte Pfarrer Herbert Lüdtke den „närrischen Querdenker“ geben, doch am vierten Tag des Ukraine-Krieges stand keinem der Sinn nach Jux und Dollerei. „Die Bütenpredigt war deftig, aber es war klar, das kann ma angesichts der politischen Situation nicht machen“, so Lüdtke. Daher wurde umgeplant und stattdessen kam eine „Patchworkgemeinde“ zusammen, wie der Pfarrer die Friedensbewegten aus unterschiedlichen Religionen nannte, um Beistand vom Himmel zu erbitten. „Ich hatte unterschiedliche Menschen aus der Gemeinde angesprochen, ob sie nicht Lust hätten, einen Beitrag zu der Veranstaltung zu leisten“, erinnert sich Lüdtke. Ein Vertreter der Bahá‘í, deren Tempel im Hofheimer Stadtteil Langenhain steht, wünschte den Mächtigen „Weisheit, Geduld und den Willen zum Frieden.“ Das Bahaitum ist auf der ganzen Welt verbreitet und eine sogenannte Universalreligion. Ihre Mitglieder glauben daran, das die Erde „nur ein Land und alle Menschen als seine Bürger“ anzusehen sind. Die islamische Amadijja-Gemeinde verlas einen Friedensappell ihres Kalifen, während ihr regionaler Vorsitzender, der Steinbacher Kashif Janua, die Konfessionen vor Ort zu „mehr Zusammenhalt“ ermahnte. In den dicht geschlossenen Reihen der Besucher wurde eine Fahne der Friedensbewegung hoch gehalten, auf dem Pflaster entfaltete sich kindliche Phantasie als Symbol für die „Buntheit des Friedens“, wie Herbert Lüdtke es nannte. Um 12 Uhr mittags schlug zum ersten Male die Friedensglocke im Turm der benachbarten St. -Georgs-Kirche. Auch die katholische Bonifatiusgemeinde beteiligt sich an der bundesweiten ökumenischen Aktion, die die Deutsche Bischofskonferenz gemeinsam mit der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ins Leben gerufen hat. Sie werden so lange immer zur Mittagsstunde läuten, bis in der Ukraine die Waffen schweigen. Am Klavier spielte die musikalische Leiterin der Georgsgemeinde, Ellen Breitsprecher, begleitet von der Klarinettistin Julia Kitzinger und der Cellistin Natalie Sick mehrere Stücke. Danach erklang die schöne Stimme von Opernsängerin Alexandra Timofeeva, deren Eltern in Moskau leben. Ihre Mutter stammt aus der Westukraine, der Vater ist Russe. Die junge Steinbacherin, die in der russischen Hauptstadt Gesang studierte und heute an der Musikschule in Bad Soden Unterricht gibt, schilderte spontan in ihren eigenen Worten, von der Zerissenheit, die viele Menschen in Russland gerade erleben und das es deshalb wohl nicht nur „die eine Wahrheit über diesen Krieg gibt“. Sie schloss mit dem Bonhoeffer-Zitat: „Herr, ich verstehe Deine Wege nicht, aber Du wirst sie mir zeigen.“

Bürgermeister Steffen Bonk war stolz, dass sich die Steinbacher so zahlreich zu diesem Friedensgebet versammelt hatten, um den Menschen in der Ukraine zeigen, „dass sie nicht alleine sind.“ Steffen Bonk sprach von einem „Staatsführer mit nazistischen Zügen,“ dessen Verhalten ihn an das Jahr 1938 erinnere. In Steinbach, so berichtete der Verwaltungschef, leben laut Melderegister 37 Menschen mit „ukrainischen Wurzeln“. Der CDU-Stadtverordnete Christian Breitsprecher bekannte: „Wir wollten die Bedrohung nicht wahrhaben und deshalb sind wir schuldig geworden. Gott möge uns vor dem Hass bewahren, der den Weg in den Frieden verbaut.“ Heinrich Schlomann, Vorsitzender des Kirchenvorstandes, sorgte sich „um die Grundlagen für unser Zusammenleben.“ Er hofft mit Gottes Hilfe „auf Einsicht auf beiden Seiten.“ Pfarrer Lüdtke betonte, der Wert des Friedens werde besonders deutlich, „wenn wir den Frieden nicht haben.“ Dann stimmte er das hebräische Friedenslied „Shalom Chaverim“ an. Über allen Fürbitten stand das Glaubensfundament der Christen, die biblische Bergpredigt, in der Jesu die Friedfertigen selig spricht.

„Dona Nobis Pacem“ mit diesem Lied, gesungen von Alexandra Timofeeva und mit dieser Sehnsucht nach Frieden verabschiedete sich Ellen Breitsprecher und gab zu bedenken. „Frieden wird uns nicht vom Himmel geschenkt, sondern täglich durch unsere Taten geschaffen“



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