Gemeinsames Hinschauen und Hinhören

Symbol für die doppelte Sehnsucht der Christen in Pandemie-Zeiten nach einer gemeinsamen und konfessionenübergreifenden Abendmahlsfeier: Pfarrerin Johanna Fröhlich (links) bittet an den „Tisch des Herrn“ vor dem Pfarrheim von St Bonifatius. Foto: HB

Hans-Jürgen Biedermann

Steinbach (HB). Der ökumenische Kirchentag bot in dieser von Corona dominierten Zeit vielfältige Herausforderungen, denen mit viel Kreativität und Gestaltungswillen begegnet wurde. So gelingt interkonfessionelle Gemeinschaft.

Vor der Heimstatt von St. Bonifatius wehte die blaue Fahne des Kirchentages. Vor der Tür stand der „Tisch des Herrn“, Symbol für die Sehnsucht der Christen nach einer gemeinsamen Abendmahlsfeier. In der St.-Georgs-Kirche auf dem Kirchgassenhügel und vor dem Gemeindehaus von St. Georg wurde gesungen und musiziert. Der Ökumenische Kirchentag in Frankfurt führte die Konfessionen auch in Steinbach zusammen. An Christi Himmelfahrt lud der Stationenweg zum Hinschauen und Hinhören ein.

Im ältesten Bauwerk der Stadt, das seit 800 Jahren unerschütterlich die christliche Tradition verkörpert, trat Kirchenvorstand Uwe Eilers vor den Altar und las aus dem Buch Mose. Hansjörg Reick, Sprecher des Ökumeneausschusses, der sich den Stationenweg ausgedacht hatte, trug eine moderne Form des „Vater Unser“ vor. Ellen Breitsprecher begleitete das Gesangsduo, bestehend aus Mutter Sabine und Tochter Annika Baumgart, am Klavier. Das alles entsprach den Erwartungen der Zuhörer, von denen ein gutes Dutzend mit coronakonformem Anstand auf den Bänken Platz nehmen konnte. Doch mit der Klang-Collage, die Pfarrer Herbert Lüdtke getreu dem Tagesmotto „Schaut hin und hört hin“, zusammengestellt hatte, war dagegen nicht zu rechnen. Zwölf Minuten lang wurden Geräusche abgespielt, die gegensätzlicher nicht sein konnten, die aber nicht fremd klangen. „Hören ist Erinnerung,“ hatte der Pfarrer eingangs festgestellt. Mit geschlossenen Augen ließen sich die Töne am besten identifizieren.

Die Mixtur war keine Wohltat für die Ohren, denn zu hören waren Maschinengewehrfeuer, tieffliegende Kampfjets, fauchende Raubtiere, schreiende Babys und sogar eine Klospülung. In den Erholungsphasen von der Lärm-Kakophonie tickte die Uhr, es schlug die Glocke, man hörte Klaviermusik und einen feierlichen Choral. Danach sollte das Publikum sein „schönstes Hörerlebnis“ aufschreiben und an die blauen Stellwände pinnen. Die Antworten reichten von einem Pink-Floyd-Konzert in der Kirche, über den ersten Schrei des neugebornen Kindes bis zu „den Rufen der Menschen nach dem Fall der Maurer“. Beethovens Neunte und Ravels Bolero, zwei wunderschöne Klassiker, waren nicht dabei.

Am evangelischen Gemeindehaus in der Untergasse fragte Harald Schwalbe, Mitglied in der ökumenischen Musikgruppe, die Zuhörer, wann sie das Gefühl tiefster Zufriedenheit empfunden, wann sie sich seelig gefühlt hätten. Die Antworten verdeutlichten die emotionale Bedeutung der Familie, die Glücksgefühle etwa beim Besuch der Großeltern, die überwältigende Freude bei der ersten Tuchfühlung mit dem Neugeborenen, aber auch die Erleichterung, wenn am PC endlich der Knoten geplatzt war.

Zwei Stunden lang trommelte Kerstin Schmitt auf dem Cajou, griff Urtu Seiler in die Saiten der Gitarre, zupfte Livia Sold den Bass und sang Christoph Sold, derweil Professor Schwalbe in der Halle am Piano saß. „Musik ist Verkündung“, predigte Herbert Lütke und verwies auf Martin Luther, für den diese in ihrer Bedeutung gleich nach dem Wort aus der Schrift kommt.

Die Schöpfung bewahren

Zwischen den peripheren Stationen lag das Zentrum des spirituellen Spaziergangs im Pfarrheim von St. Bonifatius. Auf der Terrasse widmete sich die Hobby-Botanikerin Caroline Bechtold dem vor zwei Jahren unter ihrer profunden Anleitung gestalteten Steingarten. Hier blühen heimische Wildpflanzen, die sich auf nährstoffarmem Boden nachhaltig entwickelt haben und für Bienen geradezu paradiesische Verhältnisse bieten. Bechtold hat als Initiatorin der AG „Steinbach blüht“ ihre ökologische Visitenkarte auf Pflanzflächen an der Grundschule, am Weiher und am Grünen Weg hinterlassen. Seit kurzer Zeit auch zwischen Kirchenbau und Wohnanlage. Auf einem Faltblatt nennt die Großgemeinde St. Ursula „kleine Schritte zur Bewahrung der Schöpfung“, die in Steinbach bereits vollzogen wurden. Über die „Sorge für das gemeinsame Haus“ hat sich Papst Franziskus vor sechs Jahren in der Enzyklika „Laudato Si“ geschrieben. Die 170 Seiten starke Denkschrift hatte die Gemeinde ausgelegt.

Am Eingang in der Untergasse versammelte Pfarrerin Johanna Fröhlich evangelische und katholische Christen an einer Tafel zu Gesprächen über die bislang vergebliche Liebesmühe, die Konfessionen beim gemeinsamen Abendmahl zu vereinen. Pastoralreferent Christof Reusch ist sich ziemlich sicher, das dies zu seinen Lebzeiten nicht gelingen wird. Ist Jesus Christus bei der Eucharistie physisch anwesend, wie es die katholische Kirche lehrt, oder beim Abendmahl nur symbolisch dabei? Darüber wird, Gott sei es geklagt, seit mehr als einem Jahrtausend gestritten.



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