Hinhören auf die Wünsche der Gemeinde

Freut sich auf das Predigen in der alten St.-Georgs-Kirche: Steinbachs neue Pfarrerin Tanja Sacher, die jetzt mit einer halben Stelle in die Gemeinde kommt und gemeinsam mit Pfarrer Herbert Lüdtke das Gemeindeleben bunt und vielfältig gestalten wird.Foto: HB

Hans-Jürgen Biedermann

Steinbach. Mit vielen Ideen konnte Pfarrerin Tanja Sacher in ihrer bisherigen Gemeinde überzeugen. Nun kommt sie nach Steinbach und möchte mit den Gemeindemitgliedern erst einmal Gespräche führen, um sie mitzunehmen auf den Weg in die Zukunft und herauszufinden, „auf was die Leute Lust haben“.

Sie ist von Oberursel herübergekommen, nimmt Platz auf einer der Holzbänke in der ehrwürdigen St.-Georgs-Kirche und spürt die besondere Aura: „Die Wände können Geschichten erzählen“, sinniert Tanja Sacher. Hier wird sie auf der wunderschönen Kanzel stehen und Inspirationen für die Predigt empfangen, in diesem 800 Jahre alten Gotteshaus auf dem Hügel in der Kirchgasse. Die 35-Jährige besetzt ab sofort die vakante halbe Pfar- rerstelle. Die Steinbacher Protestanten freuen sich über das weibliche Pendant zu dem alten Kämpen Herbert Lüdtke: Verheiratet und Mutter von drei Kindern im Alter zwischen zwei und sieben Jahren. Die Familie wohnt in Stierstadt, doch ein Umzug sei nicht ausgeschlossen.

Das Denkmal St. Georg ist etwas ganz anderes als die Heilig-Geist-Kirche in Oberursel, die 1970 fertig wurde. Diese war für Tanja Sacher seit 2019 Heimstatt. Mit dem Kirchenvorstand hat sie prima kooperiert. Womöglich wäre sie auf absehbare Zeit in der Oberurseler Gemeinde geblieben, aber ihre Stelle wird demnächst wegfallen, nachdem die Zahl der Gläubigen unter 2000 gesunken ist. Ein Phänomen, von dem die evangelische Kirche bundesweit geplagt wird. Die Bewerbung in Steinbach, wo es noch rund 2100 Gemeindemitglieder gibt, lag nahe, denn ihre beiden Jungen gehen in die Phormsschule, und die gemietete Doppelhaushälfte befindet sich gleichsam um die Ecke. Zum Vorstellungsgespräch empfing sie der Kirchenvorstand in St. Georg. Womöglich hat der Heilige Geist zum Happy End beigetragen: Man mag sich. „Super kompetent“, lobt Tanja Sacher das Gremium.

Die sympathische Frau hat einen ganz weiten Weg hinter sich. Nowosibirsk liegt weit hinter dem Ural. Touristen, die mit der transsibirischen Eisenbahn nach China unterwegs waren, können sich an den Halt auf dem Großstadtbahnhof erinnern. Bis zu ihrem neunten Lebensjahr hat Tanja Sacher hier gelebt. Dann folgte die Familie ihren Großeltern, die im Badischen bereits eine neue Heimat gefunden hatten, Helmut Kohl öffnete schon in den 80er-Jahren die Grenzen für Russlanddeutsche, und auch die Sachers folgten dem Ruf des Einheitskanzlers ins „gelobte Land“. Tanja machte in Bruchsal Abitur, begann in Berlin ein Theologiestudium. Aus reiner Neugierde, wie sie sich erinnert. Doch als sie zum Hauptstudium nach Heidelberg wechselte, war sie davon überzeugt, für den Pfarrberuf die Richtige zu sein. Das Vikariat absolvierte sie im Hofheimer Stadtteil Lorsbach, um danach ein „Sozialpraktikum“ in einer Kelkheimer Möbelschreinerei zu machen. Abends kam sie mit Muskelkater nach Hause, roch nach Leim und hatte vom „Rumrutschen“ wunde Knie. Aber der Ausflug in das Handwerk hat ihr gefallen. Jetzt wusste sie, was Maloche bedeutet.

Kreativ in der Pandemie

Nach dem Abstecher in die Arbeitswelt folgte ein Intermezzo in Heusenstamm, ehe sie im September 2019 in der Heilig-Geist-Gemeinde im Oberurseler Norden ankam und schon nach wenigen Monaten von der ganzen Wucht der Pandemie getroffen wurde. Singen war plötzlich untersagt, und sie habe die Distanz zu den Kirchgängern gespürt. Sie hat ihnen empfohlen, die Nähe zum Herrgott zu suchen. Es war eine wirklich schwierige Phase im Gemeindeleben. Der überaus beliebte Kirchenladen musste schließen, und nach 30 Jahren verabschiedete sich Pfarrerin Cornelia Synek in den Ruhestand. In der coronabedingten Predigtpause machte sie den Bücherschrank auf dem Gemeindecampus zum Briefkasten. Hier hinterlegte sie Umschläge mit trostreichen Worten, auch Predigttexte. Wenn sie gefragt wird, welche Impulse sie dem Gemeindeleben gegeben habe, erwähnt sie das „Feierabendmahl“, bei dem sich am Tisch des Herrn bis zu 40 Menschen bei Speis und Trank versammelten, Gespräche über Passagen aus der Bibel, die von der Pfarrerin als Tageslosung ausgegeben wurden, belebten die Tafel. Auch ein Buch mit Kinderbriefen an den Papst („Lieber Franziskus“) wurde besprochen. In Erinnerung bleibt ihr eine Entrümpelungsakion mit dem Kirchenvorstand, um im Keller Platz für das Gemeindeleben zu schaffen.

Ideen hat sie auch für die Arbeit in Steinbach, aber sie will die Gemeinde mitnehmen und ihr nichts überstülpen. Sie werde viele Gespräche führen und genau hinhören, „auf was die Leute Lust haben.“ Vergangenen Sonntag bot sich dazu bei der Verabschiedung von Pfarrer Werner Böck, ihrem Vorgänger, dazu bereits Gelegenheit, am 13. Juni beim Familiengottesdienst am Tag der Kirchenvorstandswahl gibt es die Fortsetzung. Dabei wird auffallen, wie wohltuend diese Pfarrerin lacht. Die Aufgabenteilung wird sie gemeinsam mit Pfarrer Lüdtke festlegen. Als eine ihrer letzten Amtshandlungen in Oberursel hat sie den Konfirmationsgottesdienst geleitet. Das könnte ein Fingerzeig auch für Steinbach gewesen sein

Man glaubt ihr gerne, dass sie mit ihren beiden Jungs und dem zwei Jahre alten Mädchen zu Hause ausgelassen herumtobt. Der Älteste ist schon ziemlich robust – er spielt beim SC 1880 Frankfurt Rugby und möchte natürlich Profi werden. Der Vater ist ebenfalls Theologe, stammt aus Königstein und macht gerade seinen Doktor in Leipzig. Ihn reizt die akademische Laufbahn und weniger die Gemeindearbeit.



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