„Kröten“ müssen nicht geschluckt werden

Geschafft: Der Koalitionsvertrag wird im Magistratssitzungssaal unterzeichnet. Lars Knobloch und Astrid Gemke von der FDP sind ebenso zufrieden wie Moritz Kletzka und Boris Tiemann von der SPD (v. l.). Foto: HB

Hans-Jürgen Biedermann

Steinbach. Aufgrund der bereits im Vorfeld sichtbaren großen Übereinstimmung der Parteien verliefen die Koalitionsverhandlungen reibungslos. Die Steigerung der Lebensqualität für die Steinbacher stand dabei auch im Fokus.

Die Spitzenleute der Parteien haben mehr als 26 Stunden die Köpfe zusammen gesteckt und einen Handlungsrahmen für die nächsten fünf Jahre der politischen Zusammenarbeit entworfen. Was bei den Gesprächen von FDP und SPD, den Siegern der Kommunalwahl, herausgekommen ist, steht auf 20 Seiten eines Koalitionsvertrags, der vergangene Woche im Rathaus unterschrieben wurde. Das Regierungsprogramm besteht aus einer Fülle von Absichtserklärungen, in denen die Stadt als Erlebnisraum für alle Generationen beschrieben wird.

Man saß zwar lange zusammen, aber der Vertrag war keine schwere Geburt. Die Partner stellten fest, dass 90 Prozent der jeweiligen Wahlprogramme identisch waren. Es mussten keine „Kröten“ geschluckt werden und nach der weitgehend geräuschlosen Kooperation in der vergangenen Legislaturperiode stimmt die Chemie. FDP-Protagonist Lars Knobloch, wieder für die Position des Ersten Stadtrats nominiert, und Parteifreundin Astrid Gemke, die Fraktionsvorsitzende bleibt, kommen mit SPD-Frontmann Moritz Kletzka und seinem Pressesprecher Boris Tiemann, der dem Vertrag den Feinschliff verpasste, gut aus. „Sehr ambitioniert,“ nennen sie unisono den Maßnahmenkatalog, der in ein Dutzend Sachgebiete eingebettet ist. Die Umsetzung hängt entscheidend von der finanziellen Lage der Stadt ab, die aufgrund der Corona-Pandemie nur schwer kalkulierbar ist.

Die Basis für die Handlungsfähigkeit bildet das Gewerbegebiet Am Brünnchen, dessen Flächen mit Hochdruck vermarktet werden sollen. Frei- und Sozialdemokraten regen an, den Runden Tisch wiederzubeleben, an dem sich Stadt und Gewerbe über Sachthemen austauschen können. Die innerstädtischen Marktplätze auf dem Freien Platz und am Bürgerhaus sollen durch Angebote von Vereinen und Kommune attraktiver werden. So steht ein Weinstand in Rede, aber auch eine Spezialisierung in Richtung Biomarkt haben die Fraktionen im Blick.

Der Stadtraum soll spannender werden und damit die Lebensqualität steigen. Der Stadtpark, den die SPD im Wahlkampf zum Hingucker gemacht hat, steht erwartungsgemäß im Koalitionspapier - im Sommer soll „ein geeignetes Bürgerbeteiligungsformat“ präsentiert werden. In diesen Kontext passt der Vorschlag, in der Steinbachaue eine „naturorientierte Parklandschaft mit Rundwegen zu schaffen“ und in dieses Konzept den Abschnitt zwischen Apfelweinbrücke und dem Eisenbahnviadukt einzubeziehen. Zur grünen Offensive passt auch die Baumallee, die entlang der Bahnstraße vom Europakreisel bis zur Einmündung Berliner Straße gepflanzt werden soll.

Besonderes Augenmerk widmen die Koalitionäre der Jugendpolitik. Dafür werde ein Sozialarbeiter mit Vollzeitstelle benötigt, der ein Betreuungsangebot entwickeln und auch als Streetworker unterwegs sein müsse. Bereits jetzt haben die Partner die Wiese des früheren Schwimmbades an der Phormsschule als geeignetes Terrain für „Aktionsflächen“ mit Rampen und Halfpipe und einem Kleinfeld für Fußballer im Fokus. Die jungen Leute sollen auch mit Filmvorführungen im Bürgerhaus sowie Open Air angesprochen und in der Stadt gehalten werden.

Das Stadtentwicklungsprogramm „Soziale Stadt“ läuft 2023 aus und wird von dem Förderprogramm „Lebendige Zentren“ abgelöst. In diesem Zusammenhang hat sich die Koalition auf die Gestaltung des „Heimathofes“ in der Kirchgasse geeinigt, den die stadteigene Bürgerstiftung geerbt hat. Im früheren Wohnhaus wird ein Museum eingerichtet, das der Geschichtsverein kuratieren wird. In der Alten Schmiede, einem sanierungsbedürftigen Backsteinbau, soll „ein multikultureller Raum“ entstehen, den Vereine und Kleinkunsttreibende füllen sollen.

Im Bündnisvertrag wird die „schrittweise Sanierung“ der Altkönighalle angekündigt. Der marode Funktionstrakt am Stadion soll abgerissen und neu errichtet werden. Senioren wird ein „Erzählcafe“ in Aussicht gestellt, bezahlbarer Wohnraum für den Mittelstand soll durch ein „Steinbacher Modell“ geschaffen werden. Die Mobilitätspolitik zielt grundsätzlich auf die Gleichberechtigung aller Ver- kehrsarten. Mit Unterstützung des ADFC soll sich Steinbach aber zur „Fahrradstadt“ entwickeln. Ein Bus mit umweltfreundlichem Antrieb ist für eine Rundtour auch durch beengte Wohnstraßen im Norden vorgesehen. Den Rahmen für die Verkehrswende soll ein Gesamtverkehrsplan liefern. Für die Neuausrichtung der Umweltpolitik möchte die Koalition einen Klimamanager beschäftigen, der den Kommunalpolitikern ein Konzept an die Hand gibt.

Die Koalitionspartner haben einvernehmliches Handeln vereinbart. Wechselnde Mehrheiten schließt der Vertrag aus. Bei gegensätzlichen Positionen wird über Anträge im Koalitionsausschuss entschieden.



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