Mit der Musik kommt die Erinnerung: „Klang und Leben“ im Kursana

Von links nach rechts: Die Musiker von „Klang und Leben“, Rainer Schumann, Oliver Perau Andreas Meyer und Graziano Zampolin sind mit viel Herzblut dabei und zaubern Lächeln in Gesichter, die vorher starr waren. Foto: Sura

Königstein (aks) – Noch herrscht Stille am Montagnachmittag im Seniorenheim Kur-sana. Statt knallender Sektkorken – wie ursprünglich angekündigt – duftet es anheimelnd nach Kaffee und Kuchen. Manche Bewohner rühren in ihren Tassen, andere harren in Rollstühlen der Dinge, die da kommen sollen. In den Gesichtern wenig Regung und Emotion.

Viele der Bewohner können ihre Freude nicht mehr zeigen, es fällt ihnen schwer zu kommunizieren, weil sie sich im „Tunnel der Demenz“ befinden. Die anderen zeigen Interesse, sind noch gut zu Fuß und freuen sich auf den Nachmittag. Besonders die Pfleger sind äußerst aufmerksam, haben alle im Blick und sind um einen liebevollen Ton und eine herzliche Berührung bemüht. Von draußen findet heute keiner den Weg in die behaglichen Räume, die den Flair eines Luxushotels haben, das bedauert Direktor Matthias Damaschke-Gallen, der für die Kursana Villa Königstein und deren 100 Bewohner verantwortlich ist und wirkt ein wenig enttäuscht ob der mangelnden Resonanz. Obwohl Bewohner hier auch vollstationär aufgenommen werden können, möchte er allen Senioren ein Lebensgefühl wie im Hotel vermitteln.

Die behäbige Nachmittagsruhe wird jäh unterbrochen, als Rainer Schumann strahlend und voller guter Laune den Raum betritt. Er kündigt sein Projekt „Klang und Leben“ an mit den Musikern Graziano Zampolin an der Gitarre, Andreas Meyer am Piano und dem Sänger Oliver Perau. An seiner Seite, allerdings nur als Zuschauer, sind heute auch die Fußballer Jan Rosenthal von Eintracht Frankfurt und Hanno Balitsch vom FSV Frankfurt gekommen, die als prominente Sportler gern ihre Zeit dem guten Zweck widmen.

Das Musikprogramm ist eine Reise in den Süden, nach Capri, „wo die rote Sonne im Meer versinkt“, mit einem alten VW-Käfer, dessen rotes Modell in Schumanns Händen an frühere Zeiten erinnert. Die 50er und 60er werden lebendig, als man mit dem eigenen Auto, dem Volkswagen, Italien entdeckte und zum ersten mal Spaghetti aß – und dann geht es immer wieder um die Liebe: die frivole wie bei „Bel Ami“ und dem Evergreen von Zarah Leander „Kann denn Liebe Sünde sein“, aber auch die schmachtende Liebe: „Bella Marie, vergiss mich nie“ oder gar die flehende: „Sag mir Quando, sag mir wann...“.

Wie auf Kommando sinkt Oliver Perau vor einer blonden Dame auf die Knie und sein Dackelblick trifft direkt ins Herz. Er kann auch Udo Lindenberg: „Ich brech‘ die Herzen der stolzesten Frauen“ im Lindenberg-Modus ist ein Lacher.

Mitsingen ist ausdrücklich erwünscht, Schumann ermuntert die älteren Menschen im Stuhlkreis zum Mitmachen: „Laut ist wichtig, richtig nicht so.“ Er grinst breit, springt dabei in die Luft und auch Sänger Oliver Perau gibt alles, wenn er singt und den „Moonwalk“ in atemberaubenden Tempo mehr joggt als tanzt. Und da passiert das Unglaubliche – es ist wie ein Wunder, dass Menschen, die vorher keine Regung zeigten, zu klatschen beginnen, anfangs noch unbeholfen, aber dann immer energischer. Menschen, die lange nicht gesprochen haben, fragen, woher die Musiker kommen, laut und deutlich. Und vielen huscht ein seliges Lächeln übers Gesicht.

Keiner von den Musikern hat Berührungsängste, sie gehen auf die Menschen zu, schütteln Hände, nehmen in den Arm, sogar ein Tänzchen mit einer Bewohnerin gehört zum Programm.

Als Zuschauer ist man gerührt und von dieser ungeheuren Lebenslust angesteckt. „Mit unserer Musik werden verschüttete Gedanken wieder lebendig“, die Freude der Kursana-Bewohner gibt Rainer Schumann Recht. Seit 2013 tourt der Ex-Schlagzeuger der Band „Fury in the Slaughterhouse“ mit seiner Band aus Hannover vor allem durch Einrichtungen der Kursana bundesweit. Er hat durch sein persönliches Netzwerk viele Prominente wie Jan-Josef Liefers und Wolfgang Niedecken für seine Initiative begeistern können, und viele Sponsoren. Ursula von der Leyen ist Schirmherrin.

Man glaubt den Künstlern ihr Engagement, sie brauchen „keine Millionen – nur Musik, Musik, Musik“ können sie auf ihren Tourneen reichlich ausleben und dabei die Herzen der vielen Demenzkranken berühren, die sich ihnen und ihrer musikalischen Zeitreise öffnen. Ganz behutsam geschieht das, und obwohl Schumann und seine Jungs echte Energiebündel sind, treffen sie genau den Ton. Es gelingt ihnen, in einer vertrauten Atmosphäre Pforten der Erinnerung aufzuschließen, sie holen die Menschen aus ihrer Isolation und Sprachlosigkeit. Schumann kann es selbst manchmal nicht glauben, dass man „mit all dem Schmonzes so gut rüberkommt“. Sein Lohn: Es kommt immer was zurück.

Am Sonntag, 29. März 2015, strahlt die ARD eine Dokumentation zu „Klang und Leben“ in der Serie „Gott und die Welt“ um 17.30 Uhr aus.

Geplant ist ebenfalls eine Klang-und-Leben-Akademie, die Betreuungskräfte und Musiker ausbilden soll. Mehr Informationen: www.klangundleben.org.



X