Tagebuch einer geheilten Leprakranken berührt das Publikum

Evelyne Leandro (links) erzählte auf Einladung der Stadtbücherei und Juliane von Gordon (rechts), Geschäftsführerin des Vereins „Nepra“, von ihrem Kampf gegen Lepra, einer fast vergessenen Krankheit. Foto: privat

Kronberg (kb) – In der Stadtbücherei fand auf Einladung der Stadtbücherei und des Leprahilfevereins Nepra eine besondere Lesung statt. Die gebürtige Brasilianerin Evelyne Leandro, die seit 2010 in Berlin lebt, las aus ihrem Buch „Ausgesetzt. Oder der Kampf mit einer längst vergessen Krankheit“ und berührte mit ihrer sehr persönlichen Erzählung über ihre schwere Erkrankung die 25 Besucher, die sich in der Stadtbücherei eingefunden hatten.

Evelyne Leandro wurde in einer kleinen Stadt im Norden Brasiliens in mittelständischen Verhältnissen geboren. Nach ihrem Studium der BWL lernte sie ihren deutschen Mann, einen Entwicklungshelfer, kennen. Gemeinsam entschieden sie sich im Januar 2010 nach Deutschland überzusiedeln. Evelynes Mann fand schnell eine Stelle als Lehrer, während sie zunächst die deutsche Sprache lernte und sich mit der neuen Umgebung vertraut macht. Im März 2011 fand sie nach intensiver Suche auch eine Anstellung und das Paar hatte sich einen kleinen Freundeskreis aufgebaut. Evelyne begann sich wohlzufühlen und war gerade „angekommen“ in ihrer neuen Heimat, als sie Ende September 2011 Flecken auf ihrem Körper entdeckte. Die Ärzte wussten zunächst nicht, womit sie es zu tun hatten. Erst viele Untersuchungen später bekam Evelyne dann im Januar 2012 die erschreckende Diagnose: Sie hatte Lepra. Die Krankheit, die man hier wie die Pest ins Mittelalter oder in die unzivilisierte Welt verdrängt, traf die junge Frau knallhart und ohne Vorwarnung. Zunächst kämpfte Evelyne vor allem mit der Akzeptanz ihres Schicksals. Womit habe ich das verdient? Warum ausgerechnet eine solche Krankheit? Diese Fragen quälten sie sehr, insbesondere weil sie sich nicht erinnern konnte, je mit einem Leprakranken in Kontakt gekommen zu sein.

Evelyne Leandro hatte eine der stärksten Formen der Lepra. Die vielen Bakterien, die sich in ihrem Körper angesammelt hatten, wollten trotz massiver Antibiotika-Therapie nicht schnell weichen. Zu allem Übel bäumte sich ihr eigener Körper gegen die Heilung auf, eine Immunreaktion nach der anderen erschwerte die Therapie, berichtete sie. Nach einer langen Zeit mit massiven Schmerzen, dem Leben mit einem unschönen Äußeren, Ängsten und Sorgen, gelang es Evelyne Leandro schließlich, die Krankheit anzunehmen und neben der körperlichen Heilung auch die seelische voranzubringen. Das Buch sei ihr dabei eine große Hilfe gewesen, verrät sie dem berührt lauschenden Publikum. Es zu veröffentlichen sei kein einfacher Schritt gewesen, doch wollte sie, dass ihre Erkrankung einen „Sinn“ habe: nämlich auf die Betroffenen der stark vernachlässigten Krankheit aufmerksam zu machen. Evelyne musste ihr Leben für fast zwei Jahre „aussetzen“ und muss noch immer mit Folgen der Erkrankung leben und mit den weiteren Immunreaktionen rechnen. „Ausgesetzt“ im Sinn von diskriminiert wurde sie aber in Deutschland so gut wie nicht. Nur einmal, als sie nämlich bei der Rentenversicherung eine Reha beantragte, mit der Begründung abgelehnt wurde, dass sie ohnehin ein „verlorener Fall“ sei und doch lieber sofort in Rente gehen solle. Wohlgemerkt, ohne bereits Rentenansprüche in Deutschland erworben zu haben.

Das Thema der sozialen Ausgrenzung von Leprabetroffen war nichts desto trotz wichtiger Bestandteil der Diskussionsrunde, die Juliane von Gordon, Geschäftsführerin von Nepra, im Anschluss an die 30-minütige Lesung moderierte. Gordon berichtete von dem Schicksal der von Lepra betroffenen Menschen in Nepal und anderen Entwicklungsländern, die zusätzlich zu der schweren Erkrankung massive Diskriminierung aushalten müssen. Eine Problematik, der der Verein Nepra entgegenwirkt: Durch reintegrative Maßnahmen und Aufklärungsarbeit, vor Ort und hier in Deutschland, wo das Thema und somit die betroffenen Menschen nur wenig öffentliche Aufmerksamkeit bekommen. Insbesondere seitdem die Krankheit seit Anfang der 80er-Jahre heilbar ist.

Weltweit leben heute zirka 4 Millionen Menschen mit oder an den Folgen von Lepra. Diese verhältnismäßig geringe Anzahl an Menschen sowie die Tatsache, dass die Erkrankung vorrangig in armen Regionen der Welt auftritt, führen dazu, dass nur unzureichend finanzielle Mittel zur Erforschung und Behandlung der Krankheit sowie für Aufklärungsarbeit zur Verfügung gestellt werden. Dies birgt viele Risiken, wie auch eine erneute Ausbreitung der Krankheit, gegen die bis heute kein Impfstoff gefunden werden konnte. „In Brasilien, wie auch andernorts in der Welt, ist die Zahl der Erkrankten seit Anfang der 80er-Jahre stetig zurückgegangen und erreichte das WHO-Ziel von weniger als einen Erkrankten pro 10.000 Personen. Daraufhin vernachlässigte die Brasilianische Regierung das Thema und verzichtete auf weitere Aufklärung, was dazu führte, dass die Zahlen nun wieder angestiegen sind“, erklärte dazu Evelyne Leandro. Indem die WHO eine Liste sogenannter „vernachlässigter Krankheiten“ führt, zu denen auch Lepra gehört, möchte sie auf diese Problematik aufmerksam machen. Diese sollen auch Thema bei den kommenden G7 Gesprächen sein.

Weitere Infos zum Thema auch unter www.nepra.de und bei Juliane von Gordon als Ansprechpartnerin unter der Telefonnummer 0176-23150266.



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