Zehn Jahre Kultur bis Mitternacht

Das „GlasBlasSingQuintett“ spielt auf Flaschen, statt auf herkömmlichen Instrumenten – wohlklingend und im Takt!Fotos: Westenberger

Kronberg (mw) – Fast hätte man meinen können, die „Lange Kronberger Genusstafel“ vom Gewerbemarkt, an der sich 200 Personen unter den Marktarkaden von Kronberger Gastronomen verwöhnen ließen, sei zurück: Ein großer gedeckter Tisch lenkte in der zehnten Kulturnacht die Blicke der Gäste auf sich. Besteck und Teller waren in Papier eingepackt, Stühle gab es nicht, dafür aber Stifte, die einluden, eine Botschaft auf einen der Teller zu schreiben. Johannes Volkmann vom „Papiertheater“ ist mit diesem Projekt seit 2009 auf der ganzen Welt unterwegs, um zum Innehalten einzuladen und den Fokus von der oftmals stark materiell ausgerichteten Welt mit der Frage „Was ist unbezahlbar?“ umzulenken auf die Dinge, die wirklich wertvoll sind. Je später der Abend, desto vielfältiger die Antworten an der langen Tafel: „Meine Mama und mein Papa“, „angstfrei sterben“, „Friede“,  „Empathie“ waren Worte, die den Tellern und dem Tisch anvertraut wurden, und die, teilweise sehr persönlich, die nachfolgenden Gäste anregten, selbst über unbezahlbare Werte nachzudenken. Nach diesem selbst zusammengestellten Wortmenü rüttelte die Kabarettistin Anny Hartmann im Recepturkeller endgültig wach: Es ist ein mitunter gnadenloser Hammerschlag, den sie ausführt, um die großen Ungerechtigkeiten in unserer Klassengesellschaft zu benennen. Sie erklärte schwierige politische und wirtschaftliche Zusammenhänge, bei denen sie keine Angst vor Zahlen zeigte, so scharfsinnig und glasklar, dass alles völlig logisch vor den Gästen ausgebreitet lag. Dabei war die Erkenntnis über die Sachverhalte äußerst schmerzhaft. Eigentlich zum Weinen. Doch der klugen wie scharfzüngigen Kölnerin gelang es trotzdem, die Zuschauer zum Lachen zu bringen, selbst wenn die Wahrheit wehtat. Wären die Briefmarken mit den aktuellen Politikern bedruckt, würden sie auf den Briefen nicht haften bleiben. „Nicht etwa, weil der Kleber schlecht wäre, sondern weil die Menschen auf die falsche Seite spucken“, meinte die Volkswirtin Hartmann lakonisch. Dem Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelskammertages Eric Schweitzer gab sie eine bitterböse Lehrstunde in eben diesem Fach, das sie studiert hat: Sie entlarvte seine Verschleierungstechniken mit klaren Rechnungen und widerlegte seine Behauptung, die Vermögenssteuer koste Arbeitsplätze. Auch dass die Kirche, das Recht auf einen Betriebsrat oder zu streiken als „konfessionelle Einrichtung“ schlicht verbietet, nahm sie schonungslos unter die Lupe. Nach dieser bitterbösen Einlage wurde das vielfältige Kulturmenü leichter und beschwingter: In der Zehntscheune und im Hellhof stand der Klamauk und die Zauberkunst ganz oben auf der Karte. „Gilbert & Oleg“ boten in der Zehntscheune eine äußerst komische Varietéshow, die neben den Zauberkunststücken oder Feuerspucken von der Situationskomik und dem unterhaltsamen Gauklerduo lebte. Nicht bei allen Kunststücken auf die Schliche kamen die Gäste auch Alexander Merk im Hellhof, der sich unter Einbeziehung seines Publikums als charmanter und leichtfüßiger Gedankenleser entpuppte. Neben seinen Zahlen- und Kartentricks wusste er geschickt, in die Welt der Illusion zu entführen. Von dem Leben, den Befindlichkeiten, aber auch den Pleiten der Varietékünstler sang auf der Burg Jo van Nelsen anlässlich seines 25-jährigen Bühnenjubiläums. Musikalisch entführt wurden die Gäste in der katholischen Kirchen St. Peter und Paul von der Wegbereiterin der heutigen Orgel-Renaissance im Jazz, von Barbara Dennerlein. Ungewöhnlich die Klänge, die von ihrer Hammondorgel durch die Kirche schallten. Entzückt als auch verwundert lauschten die Kulturnachtgäste Dennerleins innovativem Spiel, ihrer von technischer Brillanz zeugenden Spielfreude, mit der sie sogar eine ganz eigene Form des Boogie-Woogie (die irrsinnig schnelle Melodie wird hier mit dem linken Fuß gespielt) für die Hammond-Orgel komponiert hat. Wer es klassisch mochte, war beim „Neuen Orchester Kronberg“ in der Johanniskirche an der richtigen Adresse, die über den Abend verteilt Antonio Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ spielten.
Auch die zehnte Kulturnacht offerierte Kunst, Theater, Musik, Malerei sowie kulinarische Genüsse in all ihren Facetten bis tief in die Nacht hinein, sodass jeder Besucher auf seine Kosten kam. Während die einen sich bei einem Gläschen Wein treiben ließen, hatten sich die anderen einen genauen Plan gemacht, um möglichst viele der Kleinkunsthäppchen serviert zu bekommen. Wer dabei allzu sehr in Hetze geriet, der entspannte sich spätestens in der Ausstellung des interdisziplinären Künstlers und Dozenten an der Kronberger Kunstschule, Winfried Skrobek in der Receptur: Seine digital bearbeiteten Fotos aus der Serie „Spiegelungen“, seine Aktion von Fußabdrücken im Sand „Wir ziehen unsere Kreise“ und seine Malerei, die Farbräume mit meditativem Charakter entstehen lässt, regten zum Loslassen von Zeit und Raum ein. Und da das bunte Kleinkunstprogramm, bei dem Anita Bertolini in der Stadtbücherei ihren eigenen Körper als Spielfläche für gleich mehrere Spielfiguren entdeckte, bis Mitternacht weiterging, blieb trotz kulinarischer und kommunikativer Pausen genügend Zeit, das „GlasBlasSingQuintett“ in der Stadthalle zu besuchen, die der eine oder andere vielleicht schon im Fernsehen gesehen hatte. Ob a capella, aktueller Pop-Hit oder Elvis-Legende, die fünf Jungs sangen und spielten auf nicht herkömmlichen Instrumenten, sondern auf unterschiedlich mit Wasser gefülltem Leergut, auf Bierflaschen und Plastikflaschen. Einfallsreich und vielseitig erklangen stimmige Harmonien, ein frecher „Flaschenplopp-Song“ oder ein packender Rockbeat auf dem Wasserspender-Schlagzeug. Dabei versteht es sich fast von selbst, dass es richtig gut klang, was das Quintett den Flaschenhälsen entlockte und kein Auge trocken blieb, wenn sie mit der „Drucksprühflasche“ vor sich, „I need a bottle, a bottle is all I need“, in Adaption von „I need a dollar“ von Aloe Blacc trällerten. Nach Mitternacht traten die Besucher müde, aber sichtlich beglückt von vielen einfallsreichen Gags, scharfsinnigem Humor und vielfältigen Musikklängen, zu denen auch die „Twiolins“ die Profi-Geiger-Geschwister Marie-Luise und Christoph Dingler, – mit ihren erfrischenden pulsierenden Rhythmen dazu beitrugen, den Heimweg an.
Die Geschäftsführerin des Kulturkreises, Dorothée Arden, ist äußerst zufrieden mit der Besucherresonanz. 20 Euro Eintrittspreis (Schüler, Studenten und Auszubildende und Mitglieder der Kulturloge Hochtaunus zahlen nichts) sei auf jeden Fall vertretbar für die Kulturnacht und gut für die Haushaltskasse, so Arden. Grundsätzlich habe der Eintrittspreis, den es in den ersten Jahren der Kulturnacht nicht gab, natürlich dazu geführt, dass „einfach nur Neugierige“ ausblieben, die vorbeigeschaut hätten, um zu sehen, „wie es denn in Kronberg so ist“. So kommen in erster Linie die Kulturbegeisterten.



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