Rudolf Scharpings China – ein Land auf dem Weg des Fortschritts

Schönberg (pf) – Erst am Montagmorgen war Rudolf Scharping, aus China kommend, in München gelandet, hatte tagsüber zwei Termine absolviert und war am Abend Referent beim Schönberger Forum in der evangelischen Markus-Gemeinde, um über China zu berichten. Seit der Öffnung des Landes durch Deng Xiaoping 1978/79 hat er China regelmäßig besucht, zunächst in seiner Funktion als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, später als Bundesverteidigungsminister und seitdem als Geschäftsführer einer Unternehmensberatung mit Schwerpunkt China, die er vor über zehn Jahren gründete und bis heute leitet.

„Kein Land hat in den letzten Jahren in Gesellschaft und Volkswirtschaft so gewaltige Fortschritte gemacht wie China“, betonte Scharping. „Aber kein Land hat auch einen so hohen Preis dafür bezahlt.“ In 18 von 20 Jahrhunderten sei China die stärkste Wirtschaftsmacht der Erde gewesen, sagte er. Jetzt versuche das Land die Rückkehr zu dieser Position, die es verloren hatte. Scharping erinnerte daran, dass noch Mitte des 19. Jahrhunderts in China so große Armut herrschte, dass Millionen Chinesen verhungerten. Demütigungen dieser und ähnlicher Art wolle es nie mehr erleben.

Deng Xiaoping sei es gewesen, der mit seiner Aussage, Sozialismus sei nicht dazu da, Armut gemeinsam zu verwalten, sondern gemeinsam reich zu werden, und seinem berühmten Zitat zum Thema Kapitalismus und Kommunismus: „Es spielt keine Rolle, ob die Katze schwarz oder weiß ist, Hauptsache sie fängt Mäuse“ seine Wende vom kommunistischen Hardliner zum marktorientierten Pragmatiker bewies.

Mit großer Eloquenz und anhand vieler Beispiele schilderte Scharping China, 28 mal größer als die Bundesrepublik und mit 1,4 Milliarden Menschen, als Land mit völlig anderen Gegebenheiten. Kommunale Selbstverwaltung beispielsweise gebe es in China sehr viel länger als bei uns. Andererseits sei China keine Demokratie und auch kein Rechtsstaat, die bürgerlichten Freiheiten der Menschen eingeschränkt.

Aber die Grenzen seien fließend, sagte Scharping. Überall werde fröhlich demonstriert. Alleine 2013 habe es im Land, wie er eine Statistik entnehmen konnte, über 140 000 Demonstrationen gegeben. Tausende von Menschen gingen auf die Straße und protestierten, vor allem gegen Machtmissbrauch, Korruption und Umweltsünden.

Vor allem das Thema Umweltschutz treibe die Menschen um. So hätten sich trotz Verbots Millionen Chinesen im Internet die Dokumentation einer Journalistin über dieses Thema angesehen, in dem Unternehmer offen bekannten, sie hätten zwar die Verpflichtung zum Umweltschutz, aber niemand habe das Recht, dies bei ihnen auch durchzusetzen.

Scharping nannte beängstigende Zahlen. So seien 25 bis 30 Prozent der Flüsse in China derartig verunreinigt, dass ihr Wasser nicht einmal mehr zum Bewässern von Feldern zu gebrauchen sei. Auch das Grundwasser und die Seen seien massiv verseucht. Und reiche Chinesen verließen während der Wintermonate das Land, weil wegen des Heizens dann die Luft am schlimmsten verunreinigt sei.

Er erinnerte aber auch daran, dass es bei uns noch vor einigen Jahrzehnten nicht viel anders aussah. Blauen Himmel über dem Ruhrgebiet gab es damals nicht und Bodensee und Rhein waren so verseucht, dass es keine Fische mehr im Wasser gab. „Erinnern Sie sich noch an den Umweltminister, der damals mit einem Neoprenanzug in den Rhein stieg, um zu demonstrieren, dass man in dem Fluss wieder baden könne?“, fragte er. „Da waren wir da, wo die Chinesen jetzt sind“, meinte er und zeigte sich überzeugt, dass auch China diese Probleme bald in den Griff bekommen werde.

Ähnliche Tendenzen sieht er bei den Themen Machtmissbrauch und Korruption. So gebe es inzwischen in vielen Teilen des riesigen Landes Bürgerbeiräte, die Beamten Noten erteilten. Bei schlechten Beurteilungen würden diese nicht mehr befördert. Und entgegen dem lange gelebten Grundsatz, wer oben ist, wird nicht belangt, würden in letzter Zeit überall in China immer häufiger Machthaber wie hohe Militärs und politische Führungskräfte verhaftet und ins Gefängnis geworfen, weil sie korrupt waren und ihre Macht missbrauchten. Ihm sei immer wieder von Chinesen in verantwortlichen Positionen gesagt worden: „Wir sind noch kein Rechtsstaat, aber wir wollen einer werden – helft uns dabei!“

Die Entwicklung in China, betonte er, müsse uns schon allein deswegen interessieren, weil sich das Land in den letzten 30 Jahren vom mehr oder weniger rückständigen Entwicklungsland zum nach Kaufkraft größten Land der Erde entwickelt hat. Es sei heute nicht nur einer der größten Handelspartner unserer DAX-Konzerne, sondern auch stark in internationalen Friedenstruppen engagiert.

China, so ist er überzeugt, sei ein „lernendes System“, so drückte er es aus, das entweder stabil modernisiert oder im Chaos versinkt – was er für unwahrscheinlich hält. In der anschließenden Diskussion ging es auch um Themen wie Kriegsgefahr, die der frühere Verteidigungsminister nicht sieht, und die demografische Entwicklung in China. Dazu berichtete er, dass die Ein-Kind-Politik in vielen Regionen des Landes bereits abgeschafft sei.

Insgesamt gesehen war es ein Abend mit einem Referenten, der nicht nur spannend zu erzählen und seine Zuhörer mit seiner ausgefeilten Rhetorik zu fesseln wusste, sondern sich obendrein als profunder Kenner des Landes erwies. Er überraschte mit vielen Fakten, die bei uns weitgehend unbekannt sind, weil sie in den Medien gar nicht auftauchen und machte in unterhaltsamen Anekdoten von seinen Erfahrungen mit chinesischen und deutschen Politikern deutlich, wie unterschiedlich die Mentalitäten in den Ländern Europas und Asiens sind.



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