„Eine Runde Demokratie“ gegen deren Verlust – Vier Menschen aus Kronberg entdecken die Kommunalpolitik

Vier Menschen aus Kronberg, die bis Ende Mai Einblicke in die Kommunalpolitik erhalten werden: Thekla Ratz-Keuneke, Michael Gübert, Corinna Gübert, Nina Wolf Fotos: Göllner

Mechthild Schwetje, Bettina Trittmann, Thekla Ratz-Keuneke, Anja Weinhold, Corinna Gübert, Elke Eller oben v.l.n.r., Mechthild Schwetje. Michael Gübert, Nina Wolf, Petra Fischer-Thöns, Rolf Appuhn unten v.r.n.l.

Kronberg (mg) – Es ist nicht allzu lange her, dass Demokratiebekundungen und dazugehörige Kundgebungen und Demonstrationen für mehrere Wochen in zahlreichen Städten und Gemeinden bundesweit stattfanden. Grund hierfür war und ist nach wie vor eine nicht mehr zu verdrängende Atmosphäre, die ein Großteil der Gesellschaft inklusive der meisten politischen Lager als demokratiegefährdend und teilweise bereits als beängstigend wahrnimmt. Antidemokratische Parteien, Organisationen und Tendenzen anderer Art versuchen, die Deutungshoheit zahlreicher Themen zu kapern und den Begriff, den sie tatsächlich gar nicht leben, mit Schwarz-Weiß-Malerei auszuhöhlen. Dagegen aufzustehen und Stellung zu beziehen, letztlich für dieses wertvolle Gut Demokratie „Flagge zu zeigen“, war und ist notwendig und hilfreich, denn ohne Demokratinnen und Demokraten auf der Handlungsebene wäre diese Staatsform nun einmal nicht existent. Das Gefühl des Gemeinschaftlichen verstärkt die individuelle Überzeugung und liefert positive Dynamiken. Nun ist es das eine, sich auf Veranstaltungen und im Privaten zur Demokratie zu bekennen, vermutlich dann auch zur Wahl zu gehen und seine Stimme in die Waagschale zu werfen. Das andere ist, sich selbst in einer durch Gesetze und Verfassung legitimierten Demokratie politisch zu engagieren. Politisch bedeutet nicht zwangsläufig parteipolitisch. Gesellschaftspolitik wird an unzählbar vielen Stellen betrieben – beispielsweise in Verbänden, Vereinen und privaten Organisationen –, oftmals in Ausübung von Ehrenämtern. Möchte man jedoch in einem föderalen demokratischen Politiksystem wie dem der Bundesrepublik Deutschland in öffentlichen Strukturen arbeiten und gestalten, Satzungen, Beschlüsse und Gesetze formulieren, wird es mit der Auswahl des möglichen Engagements bereits enger. Der kleinste und vermutlich überschaubarste Kosmos des Menschen in einem organisierten Gemeinschaftsgefüge ist trotz des Geflechts aus Kommunen, Bundesländern und Bund wahrscheinlich die eigene Heimatgemeinde. Hier kennt man sich vermutlich am besten aus, glaubt zu wissen, was zu gestalten wäre und ist innerhalb der Gemeinde oder Stadt zwischenmenschlich und sozial vernetzt.

„Demokratie erleben“

Die Kronberger Grünen machen sich aus der Natur der Sache ihrer Partei heraus, in der insbesondere Basisdemokratie seit ihrer Gründung im Jahr 1980 zur parteiimmanenten DNA gehört, stets Gedanken um Bürgernähe und Nahbarkeit. Im Zuge der zuvor genannten Diskussionen, wie es um die Demokratie hierzulande bestellt ist, intensivierte der Ortsverband Kronberg – wie einige andere in der Parteienlandschaft der Stadt im Taunus auch – die Bemühungen, wie man Demokratie und dazugehöriges politisches Geschehen den Bürgerinnen und Bürgern näherbringen, ein Angebot machen könnte. So soll mehr Transparenz und Verständnis entstehen. Zuvor hatte die CDU vor Ort im Straßenbild mit einer Plakataktion für demokratische Teilhabe geworben; die SPD wiederum war federführend bei der Organisation der „Pro-Demokratie“-Demonstration auf dem Berliner Platz in der Kernstadt, der sich auf politischer Ebene FDP und Grüne anschlossen. „Demokratie erleben“ heißt nun das aktuelle Projekt, das die Kronberger Grünen den Menschen der Stadt Kronberg anbieten.

Programm

Die Aktion wird sich über einen Zeitraum von beinahe zwei Monaten erstrecken. Am 17. April trafen sich die vier Interessenten aus den Stadtteilen Kronbergs zum ersten Mal im Rahmen einer dafür gedachten Fraktionssitzung zum sogenannten „Kick-Off-Meeting“. Am 30. April ging es dann mit einer regulären Fraktionssitzung weiter. An diesem Tag lagen die Anträge aller sechs Fraktionen der aktuellen Kronberger Stadtverordnetenversammlung für die kommende Sitzungsrunde aus Sitzungen der Ortsbeiräte, der Ausschüsse und der Stadtverordneten vor.

Es konnte diskutiert, gefragt und hinterfragt werden. Das „Übliche“ musste besprochen werden wie beispielsweise, ob es noch mehr fachliche Informationen zum internen Verständnis der Sachverhalte braucht. Wie ist die mehrheitliche Position innerhalb der Fraktion, auf was einigt man sich intern? Sollen sogenannte Änderungsanträge formuliert und anschließend gestellt werden, wie steht man zu Anträgen anderer Parteien, die eingebracht wurden – das klassische „Frage-und-Antwort-Spiel“ kommunalpolitisch tätiger Menschen. Am 7. und 8. Mai können die „Demokratie -erleben“-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer dann gemeinsam mit Grünen-Fraktionsmitgliedern die Sitzungen der drei verschiedenen Ortsbeiräte besuchen und diese Institutionen kennenlernen, strukturell wie atmosphärisch. Vom 14. bis 16. Mai stehen dann die Ausschusssitzungen der drei verschiedenen Fachausschüsse an. Dort werden die Inhalte der Anträge und anderes intensiver und ausführlicher diskutiert. Oftmals geht es nicht ganz so „plakativ“ wie in Parlamentssitzungen zu, die Themen und möglichen Lösungen stehen ein ganzes Stück mehr im Vordergrund. Besuchen können die vier Freiwilligen gemeinsam mit Grünen-Ausschussmitgliedern den Ausschuss für Stadtentwicklung und Umwelt, den Kultur- und Sozialausschuss und den Haupt- und Finanzausschuss. Bevor es dann zum Treffen der Parlamentarier der Stadt Kronberg in die Stadtverordnetenversammlung in die Kronberger Stadthalle am 23. Mai geht, können die vier Menschen aus Kronberg nun mit doch einigem mehr an Erlebtem und Erfahrenem an einer weiteren Fraktionssitzung der Grünen am 21. Mai teilnehmen. Am 5. Juni treffen sich dann noch einmal Fraktion und Teilnehmende zum „Abschluss-Meeting“. Während des gesamten Zeitraums besteht die Möglichkeit, bei Wunsch und Interesse der vier Menschen aus Kronberg, in einer digitalen Messengerdienst-Gruppe mit der Grünen-Fraktion regen Austausch zu betreiben.

Vier Menschen

Wer sind die vier Menschen, die nun Demokratie hautnah erleben? Nina Wolf, Corinna Gübert, Thekla Ratz-Keunike und Michael Gübert sind zunächst einmal vier Namen. Wer steckt dahinter, was sind jeweilige Motivationen, Vorstellungen und andere Beweggründe, an diesem Projekt teilzunehmen?

Nina Wolf

Nina Wolf ist die jüngste im „Demokratie-erleben“-Bunde. Sie erzählt, sich grundsätzlich erst einmal etwas ruhiger in Diskussionen zu positionieren. Wolf betrachtet zunächst einmal das jeweilige Geschehen, was man auch bei der „Kick-Off-Veranstaltung“ merkte. Ihre Motivation, an der Aktion teilzunehmen, rührt aus ihren Beobachtungen in den vergangenen Jahren, wie aufgeheizt nach ihrem Dafürhalten politische Diskussionen geführt werden, auch gesamtgesellschaftlich. Diese Tendenz erlebe sie in zahlreichen Bereichen ihres persönlichen Umfelds – beruflich wie privat –, und das bereite der Teilnehmerin doch häufiger große Sorge. Wolf arbeitet selbst im sozialen Bereich einer anderen Kommune, ist nebenbei noch selbstständig Trainerin im Themenkomplex Resilienz, auf unternehmerischer und privater Ebene. Sie „möchte die Welt ein kleines bisschen besser machen“, sieht jedoch häufig Hürden, sich wirksam zu engagieren und benennt hierbei die Stichworte Bürokratie und gesellschaftliche Gerechtigkeit. Von ihrer Teilnahme am Projekt der Grünen erhoffe sie sich mehr Transparenz, produktive Kontakte und informative Einblicke in das Tätigkeitsfeld „Politik“.

Corinna Gübert

Corinna Gübert ist 65 Jahre alt, verheiratet und Mutter eines Sohnes. Beruflich war sie als Chemietechnikerin tätig und gleichzeitig vom Jahr 1997 bis zu ihrem Renteneintritt im Jahr 2023 Betriebsrätin. Sie betätigt sich nach wie vor engagiert als ehrenamtliche Arbeitsrichterin und war bis zum Jahr 2020 im Vorstand der SG Oberhöchstadt. Privat beschäftigt sich Gübert zudem mit dem Thema Psychologie. Sie liest und verreist gerne. Ausgleich findet die Teilnehmerin unter anderem bei Gartenarbeit und Naturbeobachtungen. Ihre Motivation, beim „Demokratie-erleben-Projekt“ mitzumachen, rührt aus dem persönlichen Ansatz, sich für Menschen einzusetzen, die „es nicht einfach haben“. Weitere Punkte sind Naturschutz, Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen für alle Lebewesen und soziale Gerechtigkeit, auch im Hinblick auf die dem Menschen zur Verfügung stehenden materiellen Ressourcen. Gemeinsam mit ihrem Ehemann – ebenfalls Teilnehmer des Projekts – trainierte und betreute sie für zehn Jahre unterschiedliche Kinder- und Jugendmannschaften der SG Oberhöchstadt. Nun halten sich Güberts mit Radfahren, Nordic-Walking und Wandern fit.

Michael Gübert

Wie bereits erwähnt, ist Michael Gübert mit von der Partie beim „Demokratie-Projekt“. Er selbst ist 60 Jahre alt, logischerweise verheiratet und Vater des gemeinsamen Sohns. Seit Mai 2023 befindet sich Gübert im Vorruhestand; er arbeitete ebenfalls in seinem erlernten Beruf als Chemietechniker. Ehrenamtlich engagiert er sich nach wie vor bei der SG Oberhöchstadt, und das seit 20 Jahren. 12 Jahre lang fungierte er als Jugendleiter, fünf Jahre als Vereinsvorsitzender. In den vergangenen Jahren war er innerhalb des Vereins auch im Bereich Mitgliederverwaltung und in der Geschäftsstelle tätig. Weitere Hobbys, die Michael Gübert pflegt, sind die Fotografie und das Heimwerken. Zudem ist er bekennender Anhänger der Frankfurter Eintracht. Er war stets mehr am Wandel und an Entwicklungen interessiert als am „Festhalten eingefahrener Dinge“. Ihm sei es persönlich auch wichtig, dass sich im gesellschaftlichen Raum jede und jeder „mitgenommen fühlt“. Das unterstützt sein philanthropischer Ansatz, dass bei ihm „kein Mensch illegal“ wäre. Ebenso wie seiner Frau liegt Gübert der Naturschutz am Herzen.

Thekla Ratz-Keuneke

Seit ihrer Schulzeit interessiert sich Thekla Ratz-Keuneke für Politik und Wirtschaft. Sie sei immer „aus ökonomischen Gründen ökologisch eingestellt“ gewesen. Die russische Nuklearkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 – Ratz-Keuneke war zu diesem Zeitpunkt 16 Jahre alt – und die damit einhergehende europäische Umweltkatastrophe, die man bis in ihre schwäbische Heimat wahrnahm, prägten sie ab diesem Zeitpunkt deutlich. Sie habe damals die Gefahren der Atomenergie samt Altlastenproblematik begriffen, ihr ökologisches Bewusstsein wurde geschärft. In ihrem Studium der Wirtschaftswissenschaften wählte sie die Schwerpunkte Entwicklungsökonomie und Institutionstheorie. Im weiteren Verlauf ihres beruflichen Lebens als Diplom-Volkswirtin in einer Finanzmarktinfrastruktur ergänzte sie parallel zur Arbeit durch universitäre Formate unter anderem den Themenbereich Umweltökonomie. Durch ihre Elternschaft und aufgrund des für sie deutlich spürbaren Klimawandels beschäftigt sie sich nun noch intensiver mit Ressourcenschutz. Sie möchte nun in dem Projekt genau verstehen, wie Kronbergs Kommunalpolitik strukturiert und organisiert ist.

Strukturen und Aushalten

Dass es sich bei kommunalpolitischem Engagement – zumindest meistens – um eine „Ehrensache“ dreht, liegt in der Natur der Sache; schließlich handelt es sich beim Stadtverordnetenmandat um ein Ehrenamt. „Ehrenamtler“, die in vielen verschiedenen Bereichen der Gesellschaft häufig jahrelang viel Zeit, Energie und Kraft einbringen – oft auf Kosten anderer privater Dinge und Möglichkeiten –, um sich für die Belange der Kommune und der dazugehörigen Bürgerschaft zu engagieren, tragen nicht immer ein leichtes Los, gerade auch bei kommunalpolitischer Teilhabe. In Zeiten der feigen Hassrede in Internetforen und zunehmend niedriger Hemmschwellen im Bereich persönlicher Beleidigungen und Bedrohungen muss man sich oft genug ein „dickes Fell“ zulegen. „Vergnügungssteuerpflichtig“ ist etwas anders. Davon können vermutlich sämtliche Vertreterinnen und Vertreter aller Fraktionen im Kronberger Stadtparlament ab und an „ein Lied singen“. Demokratie wird folglich nicht nur erlebt und gestaltet, sondern auch ausgehalten, wenn man ein Mandat übernimmt. In der „Kick-Off“-Fraktionssitzung für die Teilnehmenden wurde nach einer Vorstellungsrunde seitens der Mandatsträger einiges an Wissenswertem angesprochen. Anhand einer digitalen Präsentation zu kommunalpolitischen Strukturen und Kontexten lernten die vier Freiwilligen erste Zusammenhänge theoretisch kennen, die nun in den kommenden Wochen praktisch ausgefüllt werden sollen – „betreute Kommunalpolitik“ sozusagen. Die Verknüpfungen zwischen Stadtverordnetenversammlung, Magistrat und Verwaltung wurden erläutert. Was genau ist ein Fachausschuss und wie funktioniert dieser, welchen Stellenwert und welche Aufgaben haben Ortsbeiräte? Einige der Mandatsträgerinnen erläuterten ihrerseits, wie sie zu ihren Mandaten kamen. Auch, dass einige kein Parteibuch besäßen, wurde aufgeklärt. Was sind Listenplätze bei einer Wahl, welche Ausschüsse behandeln welche Themen, – auch diese Fragen wurden beantwortet. Ergänzt wurde, dass Experten und Fachleute in einen Ausschuss durch den Ausschussvorsitz eingeladen werden können, denn schließlich könne man nicht alles wissen und nachlesen und benötige Erfahrung und Expertise aus anderen Bereichen. Konstrukte wie Seniorenbeirat, Jugendrat und Ausländerbeirat wurden erläutert, der Unterschied zwischen Parteivorstand und Fraktion wurde erwähnt, der Begriff „Schaufensteranträge“, bei denen es im Parlament eher um öffentliche Wirksamkeit als inhaltliches Bearbeiten ginge, erklärt. Vieles mehr wurde in mehr als zwei Stunden diskutiert. Am Ende spürte man, dass es nun jedoch bald einmal „aufs Parkett“ gehen muss, da das direkte Erleben und die dazugehörige Atmosphäre bei diesem Projekt einen großen Teil des Interesses ausmachen.

Die Grünen selbst

„Wir freuen uns, vier Menschen begrüßen und begleiten zu dürfen, die mit uns eine ,Runde Demokratie‘ erleben möchten. Unsere Motivation ist es, in der aktuellen Zeit, in der einem noch mal deutlich bewusst wird, dass Demokratie eben keine Selbstverständlichkeit ist, diese Demokratie erlebbar zu machen“, formuliert es Mechthild Schwetje, Fraktionsvorsitzende der Grünen in Kronberg. „Wir glauben zudem, dass die Kommune ein guter Ort dafür ist, denn hier wird Demokratie für jeden Einzelnen hautnah spürbar. Dies zu erleben, dabei zu sehen, dass Demokratie Spaß machen kann, oft aber auch beim Aufeinandertreffen verschiedener Meinungen und Ringen um Kompromisse anstrengend ist, bieten wir mit unserer Aktion an“, ergänzt Fraktionsmitglied Udo Keil. „Und wir sind selbst sehr gespannt darauf, wie sich das Projekt entwickeln wird und freuen uns sehr auf den Austausch mit allen Beteiligten. Gerade dieser Austausch mit Menschen, die nicht dem täglichen Klein-Klein der Kommunalpolitik verhaftet sind, ist in unseren Augen sehr wichtig“, formuliert es abschließend Stadtverordnete Anja Weinhold.

Mini-Serie

Der Redakteur des Kronberger Boten wird dieses Projekt in einer Reportage kontinuierlich begleiten. Vor allem die vier Bürgerinnen und Bürger aus Kronberg, die am Projekt teilnehmen und sich dankenswerterweise bereit erklärten, redaktionell zur Vefügung zu stehen, sind journalistisch von großem Interesse. Insgesamt drei Beiträge wird es zu dieser Mini-Serie geben. Dieser war der erste „Streich“.

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