„Eine Fingerübung des Parlamentarismus“

Die Herausgabe der historisch bedeutsamen Protokolle der Verhandlungen des verfassunggebenden Landtags von Hessen-Homburg 1849 sind eine Gelegenheit, im Kurhaus feierlich an diesen Beginn des Parlamentarismus zu erinnern (v. l.): Bad Homburgs Bürgermeister Dr. Oliver Jedynak, Kreis-Kulturamtsleiter Gregor Maier, Professor Dr. Barbara Dölemeyer vom Bad Homburger Verein für Geschichte und Landeskunde, Landtags-Vizepräsidentin Angela Dorn-Rancke und Dr. Lutz Vogel vom Hessischen Institut für Landesgeschichte. Foto: a.ber

Von Astrid Bergner

Bad Homburg. „… und werden uns durch keine vorgefaßten Meinungen oder Entschlüsse bei Prüfung desjenigen leiten lassen, was wir für die Wohlfahrt des Landes am geeignetsten erachten“. Tacheles wurde geredet in der konstituierenden Sitzung des ersten gewählten Landtags von Hessen-Homburg am 12. April 1849.

Geübt in Parlamentarismus und Demokratie waren Alterspräsident Johannes Schwenk und die anderen zwölf Abgeordneten aus den beiden Landesteilen Homburg und Meisenheim der Landgrafschaft wahrlich nicht. Doch zeigen die „Protokolle des verfassungsgebenden Landtags von Hessen-Homburg 1849“, die der Verein für Geschichte und Landeskunde Bad Homburg vor der Höhe nun herausgegeben hat: Es bedarf eigentlich nichts mehr als eines gesunden Verständnisses von Freiheit, Recht und Wahrheit, um als Bürger Zusammenhänge politischer Arbeit und Entscheidung zu begreifen. Und um sich für Grundrechte und eine funktionierende Demokratie einzusetzen.

Im Festakt „175 Jahre Landtag von Hessen-Homburg“ gedachten Vertreter der Landes-, Kreis- und Kommunalpolitik gemeinsam mit Bürgern im Kurhaus der Bedeutung des einzigen Parlaments, das in der Geschichte der Landgrafschaft Hessen-Homburg jemals existiert hat. „Demokratie lebt von Engagement und Debattenkultur jedes einzelnen Bürgers“, sagte die Vizepräsidentin des Hessischen Landtags, Angela Dorn-Rancke, in einer Rede.

Eigentlich hätten die Veranstalter – die Stadt Bad Homburg, der Hochtaunuskreis und der Verein für Geschichte und Landeskunde – für die Feier eines so zentralen Ereignisses der Demokratiegeschichte viel größer denken, alle drei Säle des Kurhauses für die Teilnahme von Bürgern aufmachen und viel mehr für diese wichtige Veranstaltung werben müssen. Denn Gelungenes in unserer Geschichte schafft Identität, wenn sich viele gemeinsam daran erinnern. Demokratieverständnis ist nämlich kein intellektuelles Herrschaftswissen, wenngleich die Beschäftigung in politischen Gremien auf allen Ebenen in Deutschland immer mehr zur schichtenspezifischen Sache geworden ist. Im ersten hessen-homburgischen Landtag 1849 saßen neben Fabrikanten, einem Lehrer, einem Anwalt, einem Regierungsrat und anderen gutbetuchten Intellektuellen immerhin auch zwei gelernte Strumpfweber, ein Gutsbesitzer und ein Ackersmann. Doch ließ auch damals schon die Durchmischungs-Quote des Parlaments mit Vertretern aus allen Bevölkerungsschichten zu wünschen übrig: die Landtags-Protokolle, die der Kulturamtsleiter des Hochtaunuskreises, Gregor Maier, herausgegeben hat, belegen aber, dass die Abgeordneten wirklich nah dran waren an den Problemen der Bürger. Sie debattierten engagiert. Am Ende stand die erste Verfassung des Landgraftums Hessen, standen Gesetzes-Entwürfe, eine Gemeindeordnung und Grundrechte. Sie haben bis heute Auswirkungen.

Dieser Landtag in Homburg, er war das Schlusslicht aller verfassungsgebenden bundesdeutschen Staatsparlamente nach März 1848 und trat insgesamt nur einige Monate zusammen; die verabschiedete Verfassung wurde von Landgraf Friedrich im Jahr 1852 kurzerhand wieder für aufgehoben erklärt. Aber er war „eine Fingerübung des Parlamentarismus“ im Kielwasser der Revolution von 1848, wie Professor Dr. Barbara Dölemeyer vom Verein für Geschichte und Landeskunde den ersten Landtag beschrieb.

Bad Homburgs Bürgermeister Dr. Oliver Jedynak dankte dem Verein für die Tatkraft, die Überlieferungs- und Forschungslücke in der Entwicklungsgeschichte der Demokratie in Hessen nun geschlossen zu haben – unter Mitarbeit des Bad Homburger Stadtarchivs, des Kreisarchivs und seiner Mitarbeiterin Bärbel Dittmann sowie des Hessischen Landesarchivs. Dies fand auch großes Echo im aktuellen hessischen Landtag. Dessen Vizepräsidentin Angela Dorn-Rancke mahnte in ihrer Festrede im Kurhaus, dass die Demokratie fragil sei und jeden Tag neu gelebt werden müsse: „Dieses kleine Parlament war der erste Schritt in Richtung Demokratie. Wir sollten unsere Vorgänger dafür würdigen und versuchen, die Geschichte der Demokratie in ihrer Widersprüchlichkeit zu verstehen.“ Dorn-Rancke sagte: „Frieden, Freiheit und Wohlstand sind das eigentliche Wunder, das daraus gewachsen ist. Was vor 175 Jahren begann, muss heute verteidigt werden.“ Die Landespolitikerin sprach von zunehmendem Antisemitismus und zu zögerlicher militärischer Unterstützung der Ukraine: „Es braucht mutige Staatsbürger. Denn die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Der Kreistags-Vorsitzende des Hochtaunuskreises, Renzo Sechi, erwähnte Wichtiges aus den historischen Protokollen: „Zuerst wurde die Gemeindeordnung beraten, dann erst die Verfassung: Denn der Wurzelgrund der Demokratie ist die Kommune.“

Demokratische Debatten müssen engagiert, ehrlich und konkret sein – selbst wenn sie über das anmaßende „Gottesgnadentum des Landgrafen“, über die strittige Bezahlung von Maulwurffängern, ein unbarmherziges „Heiratsverbot für unvermögende Mädchen“ oder über boykottwillige und verantwortungslos urlaubmachende Abgeordnete geführt werden. Dr. Lutz Vogel vom Institut für Landesgeschichte in Marburg ermunterte die anwesenden Festgäste, im Online-Portal „Hessische Parlamentarismusgeschichte“ über den ersten und einzigen Landtag von Hessen-Homburg und seine Abgeordneten nachzulesen (https://parlamente.hessen.de).

Hier hat Gregor Maier gemeinsam mit dem Institut die Protokolle des Landtags von 1849 nun zugänglich gemacht. Der Festakt wurde von Schauspielern der Volksbühne Bad Homburg mit amüsanten Lesungen aus den Verhandlungen des allerersten Landtags eingeleitet und vom Streichquartett „four4strings“ musikalisch umrahmt. Ob die Verabschiedung der Verfassung in der letzten Sitzung am 15. Dezember 1849 auch mit Laugengebäck und Schampus gefeiert wurde, ist dem Protokoll von damals nicht zu entnehmen.

 

!Auf einen Blick: Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Landeskunde Bad Homburg vor der Höhe 73 (2024): Hessen-Homburgische Landtagsverhandlungen. Protokolle des verfassunggebenden Landtags von Hessen-Homburg 1849, herausgegeben von Gregor Maier, 140 Seiten, ISBN 978-3-948441-05-0, erhältlich für zwölf Euro bei den Veranstaltungen des Vereins, im Internet unter www.geschichtsverein-hg.de (zuzüglich 2,50 Euro Versand) oder im Buchhandel. Mitglieder erhalten die Zeitschrift kostenlos.

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