Endlich ein paar Tage Urlaub! Im Ferienhaus im Sauerland warten bereits die Freunde, als wir am frühen Nachmittag ankommen. Das Wetter ist herrlich, strahlend blauer Himmel mit nur wenigen schneeweißen Wolken, die aussehen wie frisch gewaschen. Die Temperaturen sind sommerlich warm, es geht ein frisches Lüftchen, von der Schwüle der letzten Tage im Rhein-Main-Gebiet ist hier oben in etwas über 700 Metern Höhe nichts zu spüren. Den Nachmittagskaffee, auf den wir uns während der Autofahrt schon gefreut haben, trinken wir draußen im Freien. Dazu gibt es den selbst gebackenen mitgebrachten Schokoladenkuchen und leckere Gebäckstückchen aus der Bäckerei im Nachbardorf, die nirgendwo so gut schmecken wie hier.
Danach lassen wir uns mit zufriedenen Seufzern in die schon bereitstehenden Liegestühle sinken. Bunte Schmetterlinge umflattern uns. Bienen und Hummeln summen über die Wiese und fliegen von Kleeblüte zu Kleeblüte. Der Wind säuselt in den Blättern der mächtigen Buchen, die rund um das Ferienhaus stehen und hoch am Himmel entdecken wir die Sichel des zunehmenden Mondes, nicht viel größer als ein abgeschnittener Fingernagel.
Stunden später, als die wichtigsten Neuigkeiten ausgetauscht sind, setzen wir uns im holzgetäfelten Wohnzimmer neben dem gemütlichen Kachelofen an den mächtigen runden Familientisch zum Abendessen. Langsam wird es draußen etwas dämmrig. Es geht bereits auf zehn Uhr zu, als plötzlich die Freundin, die den Blick durch die heimeligen Sprossenfenster des Holzhauses hinaus in den Wald hat, stutzt. „Was ist denn das für ein merkwürdiges rotes Licht?“ fragt sie. „Sind das Rücklichter von einem Auto? Aber wo soll das stehen? Und gibt es überhaupt so große Rücklichter?“
Das Licht hat eine so intensive Farbe, dass wir ratlos sind. Das kann doch unmöglich die Sonne sein, die hinter dem nächsten Bergkamm untergeht. Um der Sache auf den Grund zu gehen, laufen wir ein Stückchen den Berg hinunter. Aber der Wald rund um das Haus ist in den letzten Jahren so dicht geworden, dass wir weder den nächsten Bergkamm noch die Sonne sehen können. Früher gab es dort die sogenannte Sonnenuntergangsbank, von der aus man einen weiten Blick ins nächste Tal und zu den nächsten Höhen hatte. Aber die ist heute nicht mehr erreichbar, der Pfad dorthin von dichtem Gebüsch überwuchert.
Nur an einer Stelle schimmert noch intensiv rot das geheimnisvolle Licht durch die Stämme der Bäume. Könnte das in der Ferne ein Waldbrand sein, fangen wir an, uns Sorgen zu machen. Aber Feuer hat eine andere Farbe, eher ins gelbliche spielend, beruhigen wir uns. Mindestens zehn Minuten laufen wir hin und her, um noch einmal einen Blick auf das geheimnisvolle Licht zu erhaschen. Doch es ist verschwunden. Erst als sich Wolkenstreifen im Westen rot färben, kommen wir zu dem uns einzig logisch erscheinenden Schluss: Es war wohl doch die untergehende Sonne.
Jetzt warten wir auf den Abend und hoffen, dass er uns noch einmal das erstaunliche Schauspiel beschert.
Wenn es denn tatsächlich die Sonne war, die dort unterging, fragt sich immer noch zweifelnd