Sucht aus dem Internet - Die Schattenseiten des World Wide Web

Für einige wird das World Wide Web zur Suchtfalle. Dann ist ganz schnell „game over“. Foto: pexels.com/cottonbro

Das Internet – ein Pool unendlicher Möglichkeiten, aber auch ein Ort voller falscher Versprechen, mannigfaltiger Gefahren, Suchtpotenzial.

Unter den Bedingungen von Corona ist die Suchtverleitung durch das Internet noch stärker in den Fokus der Beratungs- und Hilfsangebote im Main-Taunus-Kreis gerückt. Die Zahlen für den MTK für 2020 sind ernüchternd. 1184 Kinder und Jugendliche sind vom Zentrum für Jugendberatung und Suchthilfe erreicht worden, heißt: Es fanden 101 Maßnahmen im Bereich der Präventionsarbeit statt, 934 Kinder, Jugendliche oder Eltern wurden beraten. Die Tendenz: steigend.

Corona verstärkt den Trend

„Das macht sich auch an anderen Zahlen bemerkbar“, erklärt Kreisbeigeordneter und Jugenddezernent Johannes Baron. „Im Nachtragshaushalt sind zusätzliche 3 Millionen Euro für die Jugendhilfe vorgesehen. Für ambulante oder teilstationäre Behandlungen, psychische oder familäre Beratung.“ Schuld im weitesten Sinne ist auch die verstärkte Mediennutzung im vergangenen Pandemiejahr. „Sie war ja von uns gewollt und bestärkt, die positiven Aspekte für den Unterricht zuhause überwogen. Aber wo viel Licht, da ist auch viel Schatten“, so Johannes Baron.

Mit was sieht sich die Politik wie auch das Zentrum für Jugendberatung und Suchthilfe im MTK konfrontiert? Darauf gibt der Leiter des Zentrums, Dr. Wolfgang Mazur, Antwort. Da die Suchthilfe im gesamten Kreis tätig ist, hat der Fachmann einen guten Überblick über die Entwicklung. „Aber es ist eher das Erleben und Wahrnehmen, als dass alles wissenschaftlich belegt ist“, erklärt Mazur. Was auffällt: Der Cannabiskonsum steigt. Konsumiert wird vermehrt zuhause, bedingt auch durch die Pandemie.

Plattformen als Suchttreiber

Eine viel größere Rolle dabei spielt aber das Internet. Über Plattformen wie Youtube werden Musikvideos geteilt, in denen zum Beispiel Rapper über Drogen und Alkohol singen. „Das ist völlig absurd. Es gibt tausende Videos, in denen Drogen als etwas Normales, Cooles dargestellt werden. Eine Verherrlichung!“, empört sich der Zentrumsleiter. Bestes Beispiel, der Rapper Capital Bra. In seinem über 80 Millionen Mal angeklickten Musikvideo „Tilidin“ verherrlicht er das Opiat. „Das geht über die emotionale Ebene, das spricht Jugendliche an. Und dann entsteht die Gefahr.“ Hinzu kommen Erfahrungsberichte von Konsumenten, die sozusagen live berichten, wie es ihnen nach der Einnahme bestimmter Drogen geht. Sie geben Infos über Zusammensetzung und Wirksamkeit, sogar Preise werden genannt. Es wird suggeriert, dass alles geht. Und: Der Konsum geht hin zu immer mehr Opiaten wie NPS, Tilidin, Fentanyl und Liquids. „Dieser Trend stellt auch die Beratung vor neue Herausforderungen“, weiß Dr. Wolfgang Mazur. Dem begegnet das Beratungszentrum nicht nur mit bestimmten Programmen, sondern verstärkt auch mit digitalen Beratungsangeboten. „Die Suchtpävention muss digital werden“, weiß auch der Fachmann. Dass gerade der Opioidkonsum ein großes Problem darstellt, beweisen auch die Zahlen. Von den 934 Personen, die 2020 ein Beratungsangebot angenommen haben, waren 21 Prozent Opioidkonsumenten. „Diese Welle, die da aus Amerika rübergeschwappt ist, mit den vielen Opioidtoten, wollen wir vermeiden“, so Mazur. Von daher braucht das Beratungszentrum Reichweite über Schule, Jugendzentren bis hin in die Elternhäuser.

Auch Eltern brauchen Hilfe

Denn es sind nicht nur Kinder und Jugendliche, die Beratung und Hilfe suchen. Eltern bemerken Veränderungen bei ihren Kindern, die sie sich nicht erklärem können. „Da gibt es zum Beispiel Situationen, da sind die Eltern fest davon überzeugt, dass ihre Teenager zuhause nur Videospiele spielen und in Wirklichkeit sind diese schon längst in eine Drogenabhängigkeit abgerutscht, weil sie eben nicht nur spielen, aber ihre Zeit exzessiv im Internet verbringen.“ Dann sind diese Kinder durch gutes Zureden nicht mehr zu erreichen. Ein Teufelskreis entsteht: Die Eltern bemüht, dem Kind zu helfen, mit den falschen Mitteln, um den „Aufschlag“ (Beschaffungskriminalität) nicht zu hart werden zu lassen. „Häufig ist der harte Aufschlag aber der bessere Weg“, weiß Mazur. Für ihn ist es wichtig, mit den Kindern und Jugendlichen zusammen zu arbeiten, im Gespräch zu bleiben und sie zu begleiten. Verbote bringen nichts, da die Kids nicht mehr erreichbar sind.

Prävention ist wichtig

Das weiß auch das Beratungszentrum und hofft, neben den Online-Angeboten auch bald wieder Präsenz zeigen zu können. „Die Schulen sagen, dass sie den Input von uns brauchen“, erklärt Mazur. Mit Programmen wie „Alles Droge oder was“ sollen die Schüler für das Thema sensibilisiert werden. Je früher, umso besser. Denn: „Wenn man mich letztes Jahr gefragt hätte, ab wann die Kids anfällig werden, hätte ich 14 Jahre gesagt. Aber inzwischen haben wir schon 10-Jährige die konsumieren.“ Ein Trend, der in Zukunft unbedingt gestoppt werden muss.

Weitere Artikelbilder



X