Das Kind im Arm seiner Mutter

Da ich noch nicht geboren war, da bist du mir geboren und hast mich dir zu eigen gar,

eh ich dich kannt, erkoren.

Eh ich durch deine Hand gemacht,

da hast du schon bei dir bedacht,

wie du mein wolltest werden.

(Paul Gerhardt, EG 37: „Ich steh an deiner Krippen hier“, Strophe 2)

Liebe Leserinnen und Leser,

Weihnachten hat ein Bild: ein Kind im Arm seiner Mutter. Denn die Mutter Gottes ist ja vor allem eines: eine Mutter. Eine Frau, die ihr Kind im Arm hält. Die es wärmt und beschützt. Für das Kind ist sie die ganze Welt.

Das Kind im Arm seiner Mutter: das ist ein Urbild unseres Menschseins. So wie am Anfang der Menschheit das Paradies steht, so steht am Anfang unseres Lebens die Geborgenheit im Arm der Mutter.

Wie ungünstig auch immer die Umstände der Geburt des göttlichen Kindes waren – sie vermögen dieses Glück des Ursprunges nicht zu trüben.

Was kümmert es das Kind, ob es in einem Stall oder in einem Palast zur Welt kommt – solange nur die Mutter – und der Vater auch! – es geborgen halten.

Wo in einer Familie in diesem Jahr ein Kind geboren wurde, da ist es ein ganz besonderes Weihnachten. Gleichsam als würde das Wunder von Bethlehem in der eigenen Familie noch einmal geschehen. Das Wunder, dass ein Mensch geboren wird. Das Wunder, dass ein Leben neu beginnt.

Mit jedem Kind wird die Hoffnung neu geboren, die damals in Bethlehem zur Welt kam. Und für einen Augenblick steht die Zeit still; sie kann diesem Augenblick nichts anhaben.

Dieser innige, anfängliche Augenblick, den kann uns niemand nehmen. Dem Kind nicht, das hier Vertrauen schöpft in die Welt und das Leben im Arm seiner Mutter. Und auch der Mutter, dem Vater nicht, denen mit dem Kind die Hoffnung neu geboren wird.

Von diesem innigen Moment der Geborgenheit können wir ein ganzes Leben lang zehren. Er bleibt ja nicht, dieser Augenblick. Und das Leben bleibt ja auch nicht unversehrt.

Eltern halten ihre Kinder dann wieder im Arm, wenn sie gestürzt sind. Dann versichert die Umarmung das Kind, dass Schmerzen aufhören und Wunden heilen. Manchmal reißt die Verbindung zwischen Eltern und Kindern, und man sehnt sich nach so einer Umarmung, die nicht mehr möglich ist.

In diesem Jahr erinnere ich mich zu Weihnachten an Bilder von Müttern und Vätern, die mit ihren Kindern auf der Flucht sind. Sie erinnern daran, dass Hass und Gewalt selbst für das Leben in seiner schutzlosesten Form keine Gnade kennen. Sie kommen auch zu uns, so wie das göttliche Kind zu uns kommt.

Jenseits allen Kitsches hält das Weihnachtsbild die Würde des Lebens fest und tritt für sie ein.

Denn an Weihnachten wird ein Kind geboren, dessen Leben versehrt werden wird.

Wenn wir die Mutter an der Krippe sehen, sehen wir ja immer schon die Mutter am Kreuz mit. „Auch durch deine Seele wird ein Schwert dringen“, sagt der greise Simeon Maria voraus. Ja, mit jedem Kind wird auch ein eigener Schmerz geboren.

Gerade das versehrte Leben muss auf diese erste Erfahrung ursprünglicher Geborgenheit zurückgreifen können. Was immer aus uns geworden sein mag, was immer wir tragen müssen im Leben: Wir kommen von der Krippe her. Unseren Ursprung haben wir in dieser innigen Geborgenheit bei Gott, für die die Mutter Maria uns das Zeichen ist.

Und zur Krippe können wir immer wieder zurück. Wir können immer wieder zurückkehren in die Geborgenheit bei Gott. Vielleicht können wir zu Weihnachten einen Augenblick spüren, wie gut es tut, Gottes Kind zu sein. Nicht nur immer geben zu müssen, sondern zu empfangen. Nicht nur tragen zu müssen, sondern getragen zu werden.

Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich ein gesegnetes, friedvolles Weihnachtsfest.

Lothar Breidenstein, Pfarrer der Evangelischen Martin-Luther-Gemeinde Falkenstein



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