Neujahrsempfang der SPD: Einsetzen für die vereinigten Staaten von Europa

„Europa ist wichtig genug, um das Balkonzimmer zu füllen“, freuten sich die Gastgeber und gaben sich alle Mühe, den Wahlkämpfern gute Argumente mitzugeben. Von links nach rechts: Inken Schmidt, Tilmann Stoodt, Prof. Dr. Michael Stolleis (Referent), Hildegard Klär (Europa-Union) und Ilja-Kristin Seewald.
Foto: Friedel

Königstein (hhf) – „In diesen Tagen wird viel an die Weimarer Verfassung und den Reichspräsidenten Friedrich Ebert erinnert“, doch wolle sie in diesem Zusammenhang auch das Heidelberger Programm von 1925 in den Fokus rücken. Darin, so erklärte die SPD-Ortsvereinsvorsitzende Ilja-Kristin Seewald auf dem Neujahrsempfang, sei ein Passus enthalten, der die Genossen besonders für Europa verpflichtet: Die SPD „tritt ein für die aus wirtschaftlichen Ursachen zwingend gewordene Schaffung der europäischen Wirtschaftseinheit, für die Bildung der vereinigten Staaten von Europa, um damit zur Interessensolidarität der Völker aller Kontinente zu gelangen.“

Optimismus in Maastricht

Nun gut, es kam noch einiges dazwischen, doch mit dem Vertrag von Maastricht war man dann vor 27 Jahren doch endlich ein ganzes Stück weitergekommen. War, denn heute scheint man wieder weit von Europa entfernt, die Gelbwesten rufen: „Wir, die Bürger, gegen die in Brüssel“. Gerade im Zeichen des bevorstehenden Europawahlkampfes, den die Königsteiner Parteien durchaus auch gemeinsam pro Europa gestalten wollen, hatte die SPD Professor Dr. Michael Stolleis eingeladen, der mit einem Rückblick auf die Geschichte der EU vielleicht eine Analyse der Gegenwart und daraus resultierend einen Blick auf die Zukunft ermöglichen könnte.

Bevor der emeritierte Professor für Rechtsgeschichte und Direktor des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte seinen Impulsvortrag erst hielt und dann offenherzig zur Diskussion stellte, fehlte aber auch ein kurzer Blick auf das politische Leben in Königstein nicht: „Nicht nur wegen der Ergebnisse bei der Landtagswahl, sondern auch wegen der Veränderung in der Fraktion“ war 2018 kein einfaches Jahr. Hoffnung auf Besserung stellt sich aber vor allem mit Inken Schmidt und Tilmann Stoodt ein, die sich seither mehr einbringen und das auch ganz erfolgreich. Ehrungen hätte die SPD auch zu vergeben gehabt, aber „die sind heute alle weg“, teils dienstlich – wird also nachgeholt.

Kein Futurologe

Professor Stolleis wies zunächst darauf hin, dass er nicht als Kaffeesatzleser, sondern als Rechtshistoriker eingeladen worden sei, weshalb man eine Antwort auf die Frage „In welche Richtung entwickelt sich die EU“ von ihm nicht erwarten dürfe: „Aus der Geschichte ist nichts zwingend abzuleiten.“ Paradoxerweise steht für den Versuch, in die Zukunft zu blicken, nur die geschichtliche Erfahrung seriös zur Verfügung. Das Privatrecht immerhin gründet sich seit dem Hochmittelalter in ganz Westeuropa auf eine römische Gesetzessammlung, seit der Magna Charta (England 1215) über die Paulskirche (1848) bis ins Grundgesetz (1949) sind in Europa auch Menschen- und Bürgerrechte ähnlich, dazu kommen Ideen wie Verfassung, Gewaltenteilung, Unabhängigkeit der Justiz oder Bundesstaat – sie haben oft von Europa aus auf andere Kontinente ausgestrahlt. Fazit: „Wir sind Europäer, ob wir es wollen oder nicht“, sprechen aus gemeinsamen europäischen Erfahrungen, und zwar gerne in Latein, der alten Universitätssprache.

Schlechte Erfahrungen in den letzten drei Generationen beförderten den Ruf nach Vereinigung des Friedens wegen, am besten ohne Grenzen (Schengen-Abkommen) war die logische Folge. Bis zum Waffengang in Jugoslawien war Krieg in Europa tatsächlich nicht mehr denkbar gewesen, allerdings rührte sich allmählich auch Widerstand gegen zu viel Vorrang der EU gegenüber den Mitgliedsstaaten. Während ein Blick zum Beispiel auf die Musik zeigt, dass Europa von Alters her untrennbar miteinander verbunden ist, kann man nicht von einem homogenen Volk sprechen und auch im Verständnis von Recht oder Ökonomie gibt es Unterschiede. Diese wurden mit dem Beitritt der ehemaligen Ostblock-Staaten sicher nicht kleiner geworden.

Die Zukunft ist Geben und Nehmen

Michael Stolleis empfahl, europäische Kompetenzen gleichzeitig zu verstärken, als auch an die Einzelstaaten zurückzugeben. Sicherheits- und Verteidigungspolitik seien sicherlich gemeinschaftliche Aufgaben, da hier nationale Alleingänge keinen Sinn machen. Dazu zählt dann auch die Immigrationspolitik. Fragen der Gurkenkrümmung oder zu Schimmelpilzen im Käse können dagegen getrost wieder auf nationale Ebene zurückverlagert werden, der Umweltschutz inklusive Verkehr kann zwischen nationaler und länderübergreifender Bedeutung aufgeteilt werden.

Die Sozialpolitik ist gewiss eine der größten offenen Baustellen, da sie auf sehr unterschiedlichen kulturellen Einflüssen fußt. Eine gemeinsame soziale Marktwirtschaft und vielleicht eine Arbeitslosenversicherung sollte aber machbar sein, ohne die durchaus berechtigten Wünsche nach Nationalität oder Herkunft – wie im Sport gerne gesehen – zu gefährden. Es gilt, „das Haus Europa so zu bauen, dass es fest und wetterbeständig ist, aber auch im Inneren genügend Zimmer hat, um allen Sonderheiten Raum zu geben.“



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