Agraringenieurin Heincke warnt vor Risiken des Freihandelsabkommens

Kronberg (pu) – „Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland sieht sich als Anwalt der Natur und tätige Naturschützer“, begrüßte Jochen Kramer, frisch gewählter neuer Vorsitzender des Ortsverbands Kronberg, die zahlreich erschienen Gäste der Vortrags- und Diskussionsveranstaltung „Freihandelsabkommen TTIP – Gefahren für Verbraucher- und Umweltschutz, Ernährung und Landwirtschaft“ in der Stadthalle. Kramer zufolge setzt man sich nicht nur für die Energie- und Luftreinhaltung oder die Sicherung der Natur durch die Ausweisung neuer Gewerbeflächen „wir werden genau hinschauen, damit die Umwelt bei all dem möglichst glimpflich davonkommt“ ein, sondern will die Bevölkerung aufrütteln, sich gegen das sich anbahnende umstrittene Freihandelsabkommen zu stemmen. Zum einen das geplante, Ende September letzten Jahres beschlossene, EU-Kanada-Wirtschafts- und Handelsabkommen CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement), das jedoch noch der Ratifizierung bedarf sowie die noch verhandelte Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) zwischen Europa und den USA. Die Referentin des Abends, Diplom-Agraringenieurin Dr. Maren Heincke, legte zur Verdeutlichung der Problematik einige Zahlen und Fakten auf den Tisch.

Furcht vor Aushöhlung europäischer Standards

Während am letzten Montag die achte Runde der umstrittenen Verhandlungen für die neue Partnerschaft begann, forcieren derzeit Gegner dieses Abkommens ihre Bemühungen TTIP noch rechtzeitig zu stoppen. Befürchtet werden erhebliche Einschnitte im Umwelt- und Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft wie etwa ein „Aushöhlen“ von europäischen Standards in puncto Gentechnik oder Chemikaliengesetzgebung. Darüber hinaus wird vor der Etablierung eines parallelen Rechtssystems durch den sogenannten Investorenschutz gewarnt und fehlende Transparenz scharf kritisiert. Befürworter dagegen verweisen vor dem Hintergrund der noch längst nicht ausgestandenen Schuldenkrise auf Wirtschaftswachstums-Chancen durch Zollsenkungen, die Schaffung von Arbeitsplätzen, einen besseren Marktzugang bei Dienstleistungen und öffentlichen Aufträgen oder den Abbau von tarifären und nichttarifären Handelshemmnissen etwa in der Autobranche oder im Maschinenbau. Das Ganze soll die Beziehungen zwischen der EU und den USA vertiefen, dem Wachstum dienen, Kosten für Unternehmen in der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten senken und die Position gegenüber den aufstrebenden Schwellenländern (Entwicklungsländer) verbessern. Die Lager sind geteilt, die seit 2013 laufenden Verhandlungen schleppen sich hin. Ursprünglich sollten sie Ende des letzten Jahres beendet sein, mittlerweile erhofft man einen Abschluss Ende dieses Jahres. Eine fundierte Prognose – Fehlanzeige!

Diplom-Agraringenieurin Dr. Maren Heincke, die zu Beginn ihres Vortrags ausdrücklich darauf verwies, keinen Anti-Amerikanismus betreiben, sondern lediglich auf erhebliche unterschiedliche Sichtweisen der beiden Partner aufmerksam machen zu wollen, lenkte den Blick auf einige der umstrittensten Punkte. „In der EU zählt das Vorsorgeprinzip zu den Grundpfeilern. Bevor ein Produkt auf den Markt kommt, muss ein Unternehmen dessen Unschädlichkeit nach besten Wissen und Gewissen nachweisen“, sprach sich die Expertin für die Beibehaltung dieser Vorgehensweise aus. Obwohl auch bei dieser durch den Staat geregelten Lebensmittelsicherheit aufgrund zu wenig vorhandenener finanzieller Mittel für das Kontrollwesen längst nicht alles im Lot sei, habe sich diese Praxis bewährt. In den USA gelte dagegen das Nachsorgeprinzip, demzufolge ein Produkt solange als unbedenklich angesehen werde bis Schäden nachgewiesen sind.

Umgang mit Gentechnik und Wachstumshormonen

Kritisch sieht sie auch die drohende Entwicklung in Bezug auf Gentechnik-Anbau. „In der EU ist ausschließlich gentechnisch veränderter Mais zugelassen, der Anteil von Gentechnik-Fläche an der Gesamt-Ackerfläche beträgt lediglich 0,1 Prozent, während die Amerikaner 96 gentechnisch veränderte Pflanzen auf etwa 44 Prozent der gesamten US-Ackerfläche anbauen, so viel wie kein anderes Land auf der Erde.“ Für Produkte mit gentechnisch veränderten Bestandteilen bestehe in den USA im Gegensatz zur EU bisher keine Kennzeichnungspflicht. Unterschiedliche Meinungen auch beim Thema Klonen: „In der EU gibt es eine starke Diskussion, keine Nutztiere klonen zu wollen, in den USA ist Klonen erlaubt, obwohl 80 Prozent der geklonten Rinder nicht lebensfähig sind“, legte die Referentin dar. Ähnlich prekär die Lage beim Einsatz von Wachstumshormonen in der Landwirtschaft. Während in Deutschland ein solcher bei der Fleisch- und Milcherzeugung seit 1958 und in der EU seit 1998 verboten ist, würden 20 Prozent der Milch und 90 Prozent des Rindfleischs in den USA durch den Einsatz von Homonen erzeugt. Aufhorchen lässt ein befürchteter Anstieg der Chemikalien in Kosmetika, da die USA im Gegensatz zur EU nur 11 Stoffe verbietet während es 1.300 Stoffe in der Europäischen Union sind. Beispielsweise dürften Lippenstifte in den USA Blei enthalten. Alarmiert sind Verbraucher und Umweltschützer außerdem durch die in den USA praktizierte Verwendung von lange verbotenen Herbiziden und Pestiziden. Hohe Wellen schlägt der drohende Abbau vom Schutz regionaler Produkte.

Ergo: Das derzeit vorliegende Abkommen dürfe in dieser Form nicht beschlossen werden, vom zurzeit ausgeklammerten Reizthema, Schiedsgerichte für den Investorenschutz (ISDS) mal ganz zu schweigen, schließlich sei damit Unternehmen Tür und Tor geöffnet, um über spezielle private Schiedsgerichte Staaten in Millionenhöhe zu verklagen, sofern sie sich durch deren Gesetze in ihren Geschäften beeinträchtigt sehen. Heincke erinnerte in diesem Zusammenhang an die derzeit laufende Klage des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall im Rahmen eines ISDS-Verfahrens, das von der Bundesrepublik Deutschland über 3 Milliarden Euro Schadensersatz wegen deren Ausstieg aus der Atomkraft fordert. Im Gegensatz dazu dürften Staaten nicht gegen Unternehmen klagen und zu allem Überfluss fänden diese Verfahren in der Regel unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, der Urteilsspruch sei endgültig und eine Revision nicht möglich.

In der anschließenden Diskussion zeigte sich auch der Großteil der Zuhörer sehr besorgt über die im Raum stehenden Veränderungen. Der BUND warb um Unterstützung, die nichtstaatliche Umwelt- und Naturschutzorganisation hat sich der selbstorganisierten europäischen Bürgerinitiative gegen TTIP und CETA angeschlossen und fordert die EU-Kommission auf, die Verhandlungen zu TTIP sofort abzubrechen. Weitere Informationen zu diesem komplexen Thema auch unter bund.net/ttip oder www.bund-hochtaunus.de.



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