Das wirkliche Leben und andere Kurzgeschichten – Sia Bronikowski

Sia Bronikowski, in Wiesbaden lebende Wirtschaftswissenschaftlerin und Direktorin in einem Bundesamt, las im Altkönig-Stift Kurzgeschichten aus ihrem Buch „Einstieg in Fahrtrichtung – Begegnung im Zug“ vor.

Foto: Wittkopf

Kronberg (pf) – Es sind kurze Geschichten, die Sia Bronikowski Dienstagnachmittag im Festsaal des Altkönig-Stifts aus ihrem Buch „Einstieg in Fahrtrichtung – Begegnungen im Zug“ vorliest, aber sie berühren. Jede auf eine andere Art. Sie machen nachdenklich, weisen ganz unaufdringlich, fast wie nebenbei darauf hin, was wirklich zählt im Leben.

Da lernen wir Roswitha kennen, eine zierliche Frau von über siebzig, die auf der Fahrt nach Freiburg zur Familie ihrer Tochter gerne unterwegs in Karlsruhe aussteigen würde, um ihre jüngste Nichte zu besuchen, die sie lange nicht mehr gesehen hat. Aber sie darf den Zug unterwegs nicht verlassen, denn sie hat eine Fahrkarte mit Zugbindung. Und wir begegnen einem Schaffner, der sich angesichts dieses Problemfalls als mitfühlender Mensch mit Fantasie entpuppt. Er attestiert der alten Dame kurzerhand, dass sie wegen urplötzlich aufgetretener heftiger Kopfschmerzen aus gesundheitlichen Gründen in Karlsruhe den Zug verlassen musste.

In einer anderen Geschichte erzählt ein junger Mann, der zu seinem ersten Vorstellungsgespräch nach München unterwegs ist, wie ihm bei einer zufälligen Begegnung in der S-Bahn eine unbekannte junge Frau durch die einfache Frage: „Hast du ein Ziel? Und wirst du es auch erreichen?“ die Augen geöffnet hat für die richtige Entscheidung, trotz Nullbock auf Schule und Stress mit Eltern und Freundin doch lieber Abitur zu machen, statt jeden Abend mit Kumpeln abzuhängen.

Dass eine Erzieherin im Kindergarten, die ihren Beruf und die Kinder liebt, als Fotomodell für Zeitungsgeschichten, in denen sie Leukämiekranke, Süchtige, gemobbte Büroangestellte oder überforderte allein erziehende Mütter mit drei Kindern darstellt, in drei Stunden mehr verdient als in einer Woche in ihrem wirklichen Beruf, macht in der Geschichte „Das wirkliche Leben“ sehr nachdenklich. Aber eine ihrer Geschichten öffnete auch die Augen für die Verlogenheit, Unanständigkeit und Unaufrichtigkeit, mit der mancher Ehemann ganz selbstverständlich seine Frau als Haushälterin, Putzfrau und Mädchen für alles missbraucht. „Helmut, der Grillmeister“ hat die Autorin diese Episode überschrieben, in der ein Bundestagsabgeordneter sich durch seine im Großraumwagen des Wochenendzugs von Berlin nach Frankfurt ungeniert und unüberhörbar geführten Telefongespräche gleichzeitig als Ehebrecher entlarvt. Sieben ihrer insgesamt 36 in dem Buch zusammengefassten Kurzgeschichten trug Sia Bronikowski im Altkönig-Stift vor und machte ihren Zuhörerinnen und Zuhörern Lust, auch die übrigen Erzählungen ihrer Zugbegegnungen zu lesen. Dirk Sackis von der Kronberger Bücherstube hatte im Foyer an seinem Büchertisch ausreichend Buchexemplare mitgebracht, die die Autorin bereitwillig signierte während sie noch offene Fragen beantwortete.



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