16:15! Hauchdünne Mehrheit für Gründung eines städtischen Eigenbetriebs „Wohnbau Kronberg“

Kronberg (pu) – Angesichts differierender Standpunkte und Beratungsbedarf in ihren jeweiligen Fraktionen hatte der Ausschuss für Stadtentwicklung und Umwelt (ASU) seine Empfehlung zum gemeinsam von den Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen, FDP, SPD und UBG gestellten Antrag „Gründung eines städtischen Eigenbetriebs‚Wohnbau Kronberg“ bis zur Stadtverordnetenversammlung vertagt. Mit reichlich Diskussionsstoff war demnach am Parlamentsabend zu rechnen. Nachdem die Zeitverzögerungen und hitzige Debatte zur schließlich mit knapper Stimmenmehrheit beschlossenen Errichtung einer Gemeinschaftsunterkunft „Grüner Weg“ (siehe Bericht in der letzten Ausgabe) erhebliche Auswirkungen auf die Tagesordnung nach sich zogen, wurde zu vorgerückter Stunde über die Stadtverordnetenvorlage 5252/2019 lediglich ohne Aussprache abgestimmt. Dabei zückten 16 an diesem Abend anwesende Stadtverordnete der Antragsteller ihr grünes Kärtchen für „Ja“, während die Kritiker dieses Vorhabens, 15 Vertreter von CDU und KfB, das rote Stimmkärtchen für „Nein“ in die Höhe hielten.

Ziel

Diesem Beschluss Rechnung tragend soll ein städtischer Eigenbetrieb „Wohnbau Kronberg“ gegründet werden. Der Magistrat wurde beauftragt, eine Eigenbetriebssatzung zu entwerfen und den Stadtverordneten zur Beschlussfassung vorzulegen. Aufgabe des Eigenbetriebs soll die Planung und der Bau von Wohnungen im Preissegment von circa 7,50 bis 9 Euro/Quadratmeter, sowohl als Sozialwohnungen als auch als sonstige „bezahlbare“ Wohnungen sowie das Halten und Vermieten dieser Wohnungen auf Dauer sein. Kronbergs Bündnis90/Die Grünen, Liberalen, Sozialdemokraten und der Unabhängigen Bürgergemeinschaft schwebt außerdem vor, nach Möglichkeit den übrigen städtischen Wohnungsbestand in den Eigenbetrieb einzubringen. Der Magistrat wurde beauftragt, dies zu prüfen. Die im städtischen Eigentum stehenden Grundstücke im Bereich der Baugebiete „Altkönigblick“ (bisheriger Sportplatz der SG Oberhöchstadt) und „Bahnhof/Baufeld V“ sollen als Sacheinlage ebenfalls in den Eigenbetrieb aufgenommen werden.

Die Veräußerung untergeordneter Teilflächen dieser Grundstücke vor oder nach der Bebauung, namentlich zum Zwecke der Finanzierung der Tätigkeit des Eigenbetriebs, sei nicht ausgeschlossen. Zwecks Transparenz soll der Magistrat über die Umsetzung dieses Beschlusses im Haupt-und Finanzausschuss fortlaufend berichten.

Situation

Das Problem ist alles andere als neu. Wie seit Jahren von Experten und den Medien berichtet, stellt der freie Wohnungsmarkt im Rhein-Main-Gebiet und namentlich in Kronberg seit langem keine neuen Wohnungen im unteren und mittleren Preissegment mehr bereit. Zu allem Überfluss fallen die noch vorhandenen Sozialwohnungen nach und nach aus der Bindung, große Wohnungsbestände werden von Investoren bewirtschaftet, mit dem Ziel maximaler Rendite. Auf diese Weise werden die bisher preiswerten Wohnungen bei Neuvermietungen teurer, Neubauten bedienen ausschließlich das hochpreisige Segment. Dies vor Augen, beschreibt der SPD-Fraktionsvorsitzende Christoph König eine Situation, die ein Teil der Bevölkerung in der Burgstadt, die den Ruf hat, Wohnort der Reichen zu sein, nicht wahrnimmt oder nicht wahrnehmen will. „Sieht man sich um, wohnen auch hier die meisten Menschen in Mehrfamilienhäusern; nicht wenige davon in Sozialwohnungen oder ehemaligen Sozialwohnungen. Selbst in Schönberg (Mainblick, Weißer Berg).“

Öffentliche Aufgabe

„Da die auch und gerade in hochpreisigen Wohnlagen wie Kronberg vorhandene Nachfrage nach Wohnraum für kleine und mittlere Einkommen nicht anders zu befriedigen ist, ist die Schaffung und Bereitstellung von Wohnraum für kleine und mittlere Einkommen eine öffentliche Aufgabe, der sich die Stadt Kronberg im Taunus stellen muss“, erklärt König mit Nachdruck. Die Frage nach den Beweggründen für diese Annahme beantwortet der Sozialdemokrat mit einem Zitat: „Wohnen ist ein menschliches Grundbedürfnis. Es ist eine Existenzfrage. Für jeden Einzelnen und für die Gesellschaft als Ganzes.“ Und er ergänzt: „Wenn Mieten deutlich schneller steigen als die Einkommen, wenn Normalbürger sich keine normale Wohnung mehr leisten können, wenn alteingesessene Mieterinnen und Mieter wegen Luxussanierungen ihre Wohnungen verlieren, dann gefährdet das bei vielen das Grundvertrauen in unsere soziale Marktwirtschaft!“ Seiner Kenntnis nach beziehe ein Normalverdiener ein durchschnittliches Bruttoeinkommen von 3.880 Euro (Steuerklasse 3/1,0: netto 2.720 Euro). Laut Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst S8a Stufe 3, gibt es für eine ¾-Stelle, Steuerklasse II/1,0 brutto 2.413 Euro, netto 1.650 Euro. Laut einer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie an der Humboldt-Universität Berlin gehen in der Regel 30 Prozent des verfügbaren Nettoeinkommens für Wohnen drauf. Das sind vom Durchschnitt also 900 Euro, vom TVöD 550 Euro. In Frankfurt liege der Median der Bruttokaltmiete laut Mietpreisspiegel aktuell bei 9,13 Euro/Quadratmeter. Bei Immoscout24 müssten für die billigste Mietwohnung in Kronberg derzeit 660 Euro/kalt für 60 Quadratmeter berappt werden. Ergo: „Unter 10 Euro geht fast nichts, und 13,50 Euro/Quadratmeter zu finden, ist kein Problem“, so König.

Heimat

Laut diesjähriger Aussage von Bundespräsident Steinmeier bedeute Wohnen in der angestammten Umgebung soziales Umfeld, die Kita und die Schule für die Kinder, Freunde und Familie, die Stammkneipe und den Italiener um die Ecke, einen hoffentlich kurzen Weg zur Arbeit und Heimat. „Es darf nicht so weit kommen, dass ganze Bevölkerungsgruppen sich keine Wohnung mehr in ihrer Heimatstadt leisten können, dass die hier aufgewachsenen Kinder, wenn sie eine Familie gründen wollen, ihre Heimat verlassen müssen, weil sie sich als Berufsanfänger keine Wohnung leisten können“, unterstrich der Sozialdemokrat.

Glücklicherweise sei, so König weiter, die Stadt Kronberg Eigentümerin zweier größerer, zusammenhängender Flächen (,,Altkönigblick“ und Bahnhof/Baufeld V‘), des Weiteren biete der Kapitalmarkt derzeit äußerst günstige Konditionen für die Finanzierung von Baumaßnahmen. Diese Voraussetzungen ermöglichten es der Stadt, auf diesen städtischen Flächen kostengünstigen Wohnraum zu schaffen. Zudem entspreche es nachhaltigem Umgang mit städtischem Vermögen, solche Flächen nicht zu verkaufen, sondern langfristig in städtischem Eigentum zu halten und selbst zu bewirtschaften. Auf diese Weise habe die Stadt Kronberg die Möglichkeit, langfristig Einfluss auf den Wohnungsmarkt in der Stadt zu nehmen. Das hatte auch der Erste Stadtrat Robert Siedler (parteilos) kurz nach seinem Amtsantritt vor zwei Jahren als elementares Anliegen formuliert.

Geeignete Rechtsform

Der Eigenbetrieb stellt laut Bündnis90/Die Grünen, FDP, SPD und der Unabhängigen Bürgergemeinschaft die geeignete Rechtsform für ein städtischen Wohnungsbauunternehmen dar. Einerseits handele es sich hierbei um ein wirtschaftliches Unternehmen in städtischer Hand, das rechtlich und steuerlich weitgehend unabhängig von der Stadt agiert. Andererseits stehe der Eigenbetrieb unter der politischen und haushalterischen Kontrolle der Stadt und der politischen Gremien. Ob und in welcher Form der zu gründende Eigenbetrieb die erforderlichen Dienstleistungen (Planung, Bauausführung, Vermietung, Verwaltung und Ähnliches) selbst erbringt oder durch Dritte erbringen lässt sowie die Frage, ob die bisher hierfür von der Stadt vorgehaltenen Kapazitäten mit dem Eigenbetrieb zusammengeführt werden sollen, sei im weiteren Prozess der Umsetzung zu entscheiden. Aus den Diskussionen im HFA ergab sich noch folgende Ergänzung: Der Magistrat wurde beauftragt zu prüfen, ob es sinnvoller ist, einen neuen Eigenbetrieb zu gründen oder die Stadtwerke um einen weiteren Betriebszweig zu erweitern.

Keine Klientelpolitik

Bündnis90/Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Petra Fischer-Thöns erinnerte an die Verpflichtung der Stadtverordnetenversammlung und gewählten Vertreter, „für alle Bürger da zu sein und keine Klientelpolitik zu betreiben.“ Sie blickte 25 Jahre zurück, als die Wohnbau GmbH, die die Bauvorhaben in den Weidengärten und der Ernst-Moritz-Straße umsetzten, aufgelöst wurden. „Es war eine schlechte Entscheidung, die wir hätten niemals treffen sollen“, resümierte sie, denn „in den darauffolgenden 25 Jahren haben wir es versäumt, bezahlbaren Wohnraum und sozialen Wohnungsbau zu fördern. Und das rächt sich nun bitter!“ Es sei schon lange fünf nach zwölf. Umso größer ihre Freunde nach dem erfolgreichen Beschluss, dabei ging sie soweit, von einer „beginnenden neuen Zeitrechnung“ zu sprechen.



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