Erzählcafé gab Einblick in die örtliche Weißzeugnäherei

Das Team der Weißzeugnäherei: Tante, Großmutter, Vater und Mutter von Angela Miessler Anfang der 1920er Jahre
Fotos: privat

Oberhöchstadt (kb) – Das Erzählcafé des Vereins „Heckstadt Freunde Oberhöchstadts“ hat inzwischen Tradition. Zuletzt erzählten gleich zwei Frauen, die altersmäßig eine halbe Generation trennt, über die Vor- und Nachkriegsgeschichte der Weißzeugnäherei in Oberhöchstadt.

Miessler

Angela Miessler berichtete als geborene Oberhöchstädterin aus ihren Erinnerungen an die Anfänge der Weißzeugnäherei im Dorf. Es waren die armen Zwanziger Jahre, erinnert sie sich. Die meisten Männer waren arbeitslos und so lag es an den Frauen, durch die Weißzeugnäherei die Familie über die Runden zu bringen. Die Großmutter richtete im eigenen Haus in der heutigen Limburger Straße einen Raum für die Weißzeugnäherei mit drei Nähmaschinen und einem Zuschneidetisch ein. Neben der Großmutter arbeiteten die Mutter und die Tante an den Maschinen. „Ich bin quasi zwischen den Maschinen aufgewachsen.“ Die drei Frauen wurden durch eine Frau verstärkt, die besonders gut Knopflöcher herstellen konnten.

Die Frauen fertigten Maßwäsche (Hemden und Schlafanzüge) vor allem für Frankfurter Juden an. Der arbeitslose Vater, der gelernter Schreiner war, brachte die fertige Ware zu einem Textilgeschäft auf der Goethestraße in Frankfurt und brachte auch immer neue Aufträge und Stoff mit. „Er fuhr mit der Kronberger Eisenbahn, die damals schon fuhr.“ So hatte die Familie über Jahre ihr Auskommen, auch weil die Frauen sehr akkurat anfertigen konnten. Das Ganze endete mit der Reichsprogromnacht im November 1938, als organisierte Schlägertrupps auch in Frankfurt jüdische Geschäfte und Gotteshäuser in Brand setzten. Die Frauen versuchten, ihr Angebot umzustellen und andere Abnehmer zu finden, tatsächlich war dies aber kaum möglich. Vor den Hintergrund des 2. Weltkriegs kam auch der Warenfluss zum Erliegen und das kleine Gewerbe der Frauen konnte nicht aufrechterhalten werden. Nach dem Ende des Krieges fanden die Frauen (und deren Männer) wieder andere Arbeit, teilweise auch als Näherinnen. Das Familienauskommen war von nun an auch ohne den kleinen Betrieb der Frauen gesichert.

Hutzenlaub

Während also der Betrieb der drei Oberhöchstädter Frauen nach dem zweiten Weltkrieg einschlief, begann die Zeit der Firma Carl Trafert in Oberhöchstadt. „Die Familie lebte seit langem in Plauen, das für seine Spitzenarbeiten bekannt ist und hatte dort eine Weißzeugnäherei“, übernahm Hildegard Hutzenlaub die Erzählung. Der Vater war als Soldat im Krieg gestorben. Als sich nach dem Ende des Kriegs abzeichnete, dass aufgrund der schlechten Versorgung mit Stoffen ein Weiterbetrieb des Geschäfts nicht möglich war, beschloss die Familie in den Westen zu gehen. Das klingt leichter, als es 1948 tatsächlich war. So wurde zunächst der Besitz in rund 300 Pakete gepackt und nach und nach über fünf Postämter zu Verwandten und Bekannten in den Westen geschickt. Die Großeltern hatten sich dafür ein Erfassungssystem ausgedacht, sodass die Pakete später auch wieder zugeordnet werden konnten. Dann wurden die Erzählerin und ihre Geschwister nach und nach zu Verwandten in den Westen gebracht. Sie selbst kam nach Norddeutschland, wo sie auch eingeschult wurde.

Letztlich waren es die Großmutter und ein Wandkalender, die bewirkten, dass die Familie nach Oberhöchstadt kam. „Meine Großmutter hatte auf einem Wandkalender ein Bild der Kronberger Burg gesehen und gemeint, dass es ihr dort gefallen würde. Als sich der Großvater in Kronberg nach einem Bauplatz erkundigte, teilte man ihm allerdings mit, dass keine Flächen zur Verfügung stünden. Er solle es mal in Oberhöchstadt versuchen.“ Dort kaufte die Familie dann ein entsprechendes Grundstück in der Altkönigstraße.

Die Großeltern betrieben das Geschäft lange Jahre. Hildegard Hutzenlaub erinnert sich daran, dass das Annähen der Spitzenverzierungen (Kragen, Dirndl und Ähnlichem) vielen Näherinnen nicht leicht von der Hand ging, da es besondere Fingerfertigkeit verlangte. Die fertige Ware wurde dann über die Post versendet, die Rohmaterialien kamen zumeist ebenfalls per Post. Hildegard Hutzenlaub hatte ein Foto mitgebracht, dass sie als Kind in einer Pause zwischen den Arbeiterinnen zeigt. Dabei stellte sich heraus, dass einige der Frauen oder ihre Kinder auf dem Foto extra zum Erzählcafé gekommen waren und so gab es im Anschluss noch viele persönliche Gespräche und einen lebhafter Austausch zwischen Erzählerinnen und Gästen.

Das Haus der Familie in der heutigen Limburger Straße. Im Parterre rechts war die Weißzeugnäherei untergebracht.

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