Auch nach 46 Jahren in Orschel der Ur-Bayer geblieben

Ein Idyll, wie es aus einem Buch von seiner bayerischen Heimat genommen sein könnte, hat Dieter Rosentreter in Gestalt des Schulwalds in Oberursel entscheidend mit geschaffen.

Von Jürgen Streicher

Oberursel. Ob Politiker oder Sportler, Künstler oder Engagierte in Vereinen, Verbänden und Institutionen: Es gibt viele interessante Köpfe in der Stadt, über die nicht so häufig berichtet wird. Ihnen wollen wir uns in dieser Serie widmen. Heute steht der „Vater des Schulwalds“, der langjährige Stadtverordnetenvorsteher und frühere Erste Stadtrat Dieter Rosentreter im Mittelpunkt.

In Niederbayern ist er geboren, in Neumühle bei Dingolfing. Das sieht man ihm vor allem an, wenn er sich von Kopf bis Fuß in Schale wirft. Das hört man am bayerischen Idiom, das er weder verleugnen kann noch will. Nicht nur beim unnachahmlichen „Grüß Gott“, mit dem er auch ein deutliches Zeichen setzt. Es ist ein „persönlicher Gruß“, sagt Dieter Rosentreter bestimmt. Wen er so begrüßt, mit dem teilt er Freude und für diesen Moment Lebenszeit. Einen Ur-Bayern könnte man ihn nennen, er würde das immer abnicken. Ja, das ist wohl so, obwohl er weit mehr als die Hälfte seines Lebens in Oberursel gelebt und sich mannigfach als „Oberurseler Kopf“ qualifiziert hat. Bayer oder Orscheler? Da muss er keine Sekunde überlegen. „Bayer, von Herzen.“

Aber stets der Stadt zu Diensten, in der Dieter Rosentreter so lange als „Eingebürgerter“ gelebt hat. Als Geschäftsmann und Feierabend-Politiker, als Vereinsmensch und Narrenprinz, als „Erster Bürger der Stadt“ und plötzlich zweitwichtigster Mann im Rathaus. Ein Mann, der mit allen kann, ohne dass er sich ernsthaft verbiegen muss. Ein Mann, mit dem die anderen auf ihre Weise alle konnten, weil er stets geradlinig ist, kompromissbereit, bereit für einen offenen Diskurs, eine ehrliche Haut eben. Und für ein gemeinsames Bier nach dem politischen Streit zu haben ist. Denn „dabei kann man alles regeln“. Ein Mann des Volkes, wie man so gerne sagt. Vielleicht bekam er auch deswegen oft, was er wollte. Weil der Widder in ihm für neue abenteuerliche Wege bereit war. Denn wer will schon als junger Bayer in den Taunus? Mit knapp 20 die geliebte Heimat verlassen, um sich im wilden Hessenland niederzulassen? Ohne zu wissen, was einen da erwartet?

Es sind immer diese besonderen Momente, die sofort aufflackern, wenn man in der Geschichte eines Menschen zurückblättert. Dieser Moment eines Abends im Stadtparlament etwa, als Dieter Rosentreter und sozusagen sein kompletter Gegenentwurf auf der politischen Bühne für eine kleine unendliche Weile das relative Zeitgeschehen in einer, nun ja, nicht unbedingt aufregenden Stadtverordnetensitzung bestimmten. Der Bayer und der Grün-Alternative Michael Hoock. Es gab Stadtverordnetenvorsteher, die haben körperlich gelitten beim ersten Auftritt der Grünen im Parlament. Der Mann, der wie Django daherkam, mit langer Mähne, an der Seite gebundener Lederhose und Cowboystiefeln, war da noch gar nicht dabei. Und Rosentreter noch kein Parlamentschef. An jenem Abend schon. Schade eigentlich, dass er da nicht seine geliebte bayerische Kluft trug, als er Django, den stellvertretenden Stadtverordnetenvorsteher aus der Fraktion der Grünen, die Sitzung leiten ließ. Zwei Exoten, einig im Geiste, ein schönes Bild.

Hochzeit in Dirndl und Lederhosen

An die „bösen Briefe“, die er damals bekommen hat, erinnert sich Rosentreter noch heute. Der denkwürdige Abend dürfte mindestens 20 Jahre Vergangenheit sein. Es war eine günstige kommunalpolitische Konstellation, die den Bayern aus Neumühle bei Dingolfing 1993 auf den Chefsessel im Stadtparlament brachte. Die CDU brauchte neben der Oberurseler Bürgergemeinschaft (OBG) einen weiteren Koalitionspartner, der Preis war der Posten für Rosentreter. Einziger Stadtverordnetenvorsteher Hessens mit FDP-Parteibuch war er da. Nicht zum Schaden des Parlaments, zweimal wurde er einstimmig wiedergewählt. Ein Jahr des Glücks, dieses Jahr 1993. Im April auf politischer Ebene, im Juli heiratete er seine Elvira. Es war die erste Hochzeit im Historischen Rathaus, weil er das so wollte. Ja, er trug Lederhose und Janker, die Gattin trat im Dirndl auf. Schnell vergessen der Vorwurf der Unterwanderung der CDU, Rosentreters Herzdame arbeitete als Vorzimmerdame im Büro des damaligen Bürgermeisters Gerd Krämer.

Der weitere politische Aufstieg des Industriekaufmanns, der 1968 nach Oberursel kam, weil es in Bayern weder BMW noch andere Jobs gab, passt perfekt in die Kategorie Erfüllung von Träumen im Wandel der Zeiten. Damals, 1968, die schnelle Karriere des jungen kaufmännischen Angestellten Dieter Rosentreter beim alteingesessenen Femso-Werk GmbH & Co. Franz Müller & Sohn in der Aumühle vom Sachbearbeiter bis zum Gesellschafter, später dann der politische Aufstieg. Bei Femso war er die letzten sieben Jahre bis zu seinem Ausstieg 2003 alleiniger geschäftsführender Gesellschafter, „die schönste Zeit“ war die Femso-Zeit für den zielstrebigen und fleißigen Kaufmann.

Der Einstieg in die hauptamtliche Politik als Erster Stadtrat mit Verantwortung als Sozial- und Verkehrsdezernent bedeutete eine Zäsur im Leben des Bayern. Auf einmal war der Mann, der eher für sein bärig-bajuwarisches Grummeln bekannt war als für eloquentes Auftreten mit geschliffenen Worten, ganz oben angekommen. Zielbewusst und pragmatisch, besonnen und integrierend, ein Mann, dem es immer um die Sache ging, wie ihn Bürgermeister Hans-Georg Brum (SPD) beim letztlich erzwungenen Abschied aus der Doppelspitze im Rathaus beschrieb. Und einer, der nie seine Wurzeln verleugnet hat, stets bei sich war. Die Koalitionsarithmetik hatte ihn diesmal von der anderen Seite erwischt, zum Pensionär wider Willen wurde er 2012 mit 65 Jahren, weil da die Grünen einen Stadtratsposten brauchten. Gewählt war Rosentreter eigentlich noch bis 2015, den förmlich notwendigen Beschluss aufgrund der Überschreitung der normalen Altersgrenze wollte die neue Mehrheit dann nicht mehr unterschreiben. Postengerangel eben, in der Sache gab es keine Kritik.

Erster Bürger, Erster Stadtrat, Prinz

Ist es noch Fleiß oder schon Besessenheit, wenn einer an sieben sehr langen Tagen in der Woche mit Leib und Seele arbeitet? Dieter Rosentreter war in seinen 46 Oberurseler Jahren so einer. Viele im Rathaus haben gerätselt, ob er noch oder schon wieder am Arbeitsplatz war, wenn sie um 5.30 Uhr eine Mail von ihm bekommen haben. Die Bilanz seiner Arbeitserfolge im Bereich Bildung, Familie, Soziales ist lang und liest sich gut. Die ehrenamtliche Parteiarbeit lief auch nach der Ernennung zum Stadtrat weiter. Das war er den Vätern seiner politischen Karriere schuldig. Wolfgang Mischnick etwa, der ihn 1969 in die FDP aufgenommen hat. Und dem legendären FDP-Vorzeigeathleten Ekki Gries, dem er so viel verdankte. „Ohne Ekki wäre ich das alles nie geworden, er hat mir alle Türen geöffnet“. Im Gespräch nennt er sie alle mit Vornamen, die wenigen „wirklich guten Freunde“, die der Mensch so im Leben hat. Auch die Doris (Henzler), den Frank (Blechschmidt) und den Stefan (Ruppert), die alle mehr sind als Parteifreunde und Leute, die was gelten in der Partei. Sie tun dem Mann gut, der Rauheit, Härte und Sensibilität zu einer Mischung verbunden hat, die „noch immer ein Rätsel ist“, wie es der langjährige politische Ziehsohn, Weggefährte und heutige Bundestagsabgeordnete Stefan Ruppert einst formulierte.

Neben Job und den ganzen Feierabend-Politikerjobs gab es und gibt es für Dieter Rosentreter auch immer die andere Seite des Mondes. Den Taunus-Karnevalsprinzen ließ die Frohnatur sich nicht nehmen, im zweiten Anlauf durfte er in der Kampagne 1991/92 richtig ran, nachdem im Jahr zuvor der Golfkrieg die Narren nur mit den Hufen scharren ließ. In 26 Oberurseler Vereinen ist er Mitglied, sein besonderes Herzblut steckt er seit 20 Jahren in den Förderverein Schulwald, auch da war er Gründungsmitglied. An allen Fronten hat er für das Projekt gekämpft. Dass der Schulwald etwa jederzeit für jedermann offen zugänglich ist. Nun ist’s genug, hat er jetzt gesagt, ein paar Tage nach seinem 72. Geburtstag. Zum Ehrenvorsitzenden haben sie ihn vergangene Woche gemacht, im Schulwald haben sie ihm schon zum 70. ein Denkmal gesetzt.

Bayern first, aber nix gegen Orschel

Mit Oberursel war er durch den Schulwald und andere Freundschaften auch nach seiner Demission stets verbunden. Seit ein paar Jahren lebt Dieter Rosentreter wieder mit Schwerpunkt in Bayern, nicht weit von Dingolfing entfernt wie damals, im kleinen Ort Steinach bei Straubing. Das hat sich schon abgezeichnet, als er der Mutter die Ehefrau in spe vorgestellt hat und sie zusammen im Trachtengeschäft Pöllinger in Straubing das Hochzeits-Dirndl gefunden haben. Also doch Bayern first? Wieder zögert „Rosi“ keine Sekunde. „Bayern first, aber nix gegen Orschel“. Das klingt gut. „Das kannste so schreiben.“

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