Nepals Bergdörfer kämpfen gegen das Virus

Bad Homburg (jas). Auch vor Nepal machen die aktuellen globalen Entwicklungen leider nicht halt. 217 Menschen sind in dem südasiatischen Land erkrankt, 33 bereits wieder genesen. Einen Todesfall gab es noch nicht. Doch die Ausbreitung der Atemwegserkrankung COVID-19 hat verstärkte Einreisekontrollen, Gesundheitsprüfungen mit Temperaturmessungen und Einreisesperren zur Folge. Der internationale Flughafen in Kathmandu ist für alle kommerziellen Flüge bis mindestens 31. Mai geschlossen. Grenzübergänge auf dem Landweg sind ebenfalls geschlossen. Die von den Behörden verhängte allgemeine Ausgangsperre gilt bis zum 18. Mai. Umstände, die die Arbeit des gemeinnützigen Vereins „Back to Life“, der 1996 von der Bad Homburgerin Stella Deetjen gegründet worden war, erheblich erschweren. Denn die Dörfer in Nepal, für die sich „Back to Life“ seit Jahren engagiert, liegen weit abgelegen in den Bergen von Mugu.

„Schon im Januar 2020 wurde bekannt, dass sich ein nepalesischer Student in China infiziert hatte, bevor er nach Nepal zurückkehrte. In den darauffolgenden Wochen stiegen die Infektionszahlen weltweit auf rasante Weise, in Nepal jedoch wurden keine weiteren Infektionen vermeldet. Mitte März führt Dikendra Dhakal, unser Programmdirektor in Nepal, ein Gespräch mit dem nepalesischen Epidemiologen Professor Dr. Madhav Bhatta von der Kent State University in den Vereinigten Staaten. Dieses legt jedoch nahe: ‚Ich denke, die Covid-19-Epidemie in Nepal ist weiter fortgeschritten, als die offiziellen Statistiken vermuten lassen. Es gibt wahrscheinlich viel mehr lokal übertragene Fälle von Covid-19 in Nepal als nur den einen offiziell bestätigten Fall‘“, schreiben Gründerin Stella Deetjen und Projektmanager Dr. Marco Kruse in der Frühlingsausgabe des Vereins-Magazins „Namaste“.

Zu dieser Einsicht schien bald auch die nepalesische Regierung gekommen zu sein. Seit 24. März herrscht eine strikte Ausgangssperre, die immer wieder und zuletzt bis 18. Mai verlängert wurde. „Im Gegensatz zu den verhältnismäßig lockeren Maßnahmen in Deutschland dürfen die Menschen in Nepal ihre Häuser nur in äußersten Notfällen verlassen. Alle Geschäfte, einschließlich der Lebensmittelgeschäfte, bleiben geschlossen. Das trifft besonders die ärmeren Familien, die aus Geldnot keine Vorräte anlegen konnten. Die Ausgangssperre wurde nur einen Tag vorher angekündigt, am nächsten Morgen blieben alle Türen und Rollgitter geschlossen, einschließlich die der Behörden und Banken. Selbst die Tageszeitungen wurden über eine Woche lang nicht gedruckt. Informieren konnte sich nur, wer online war“, schreibt Deetjen. Und: Je länger die Ausgangssperre dauere, „umso mehr Bürger werden von der Polizei aufgegriffen und hart angefasst. Die Versorgungsnot treibt sie auf die Suche nach Nahrungsmitteln.“

Auch in den Bergen Mugus, wo „Back to Life“ seit Jahren aktiv ist, Schulen und Geburtshäuser gebaut hat und mehrere Hilfsprojekte betreut, gilt die strenge Ausgangssperre. „In den weit abgelegenen Projektdörfern versuchen die Menschen alles in ihrer Macht Stehende, um sich vor der Ansteckung mit Corona zu schützen. Jeglicher Kontakt zwischen den Dörfern ist unterbrochen. Die Dorfgemeinschaften bleiben unter sich. Niemand, der von außen kommt, wird hineingelassen, selbst wenn er aus dem Dorf stammt“, schreibt Stella Deetjen.

Viele Mugali, die in Kathmandu oder in Indien als Tagelöhner arbeiten, haben versucht, zurückzukehren. Denn: „Ohne ein tägliches Einkommen können sie sich den Aufenthalt in der Stadt nicht leisten. Manche laufen wochenlang ohne einen Cent in der Tasche.“ Die Rückkehrer allerdings bedeuten große Gefahr für die abgeschiedenen Bergdörfer, in denen es keine oder nur eine sehr schlechte medizinische Versorgung gibt. „Das einzige Krankenhaus Mugus, zuständig für 55 000 Menschen, ist für einen Ausbruch des Virus nicht im Entferntesten gewappnet“, berichtet Deetjen, die damals noch am Kaiserin-Friedrich-Gymnasium in Bad Homburg ihr Abitur gemacht hat. Die Zurückkehrenden müssen daher außerhalb der Dörfer in Quarantäne bleiben. 18 Quarantäne-Stationen wurden – auch mit Hilfe von „Back to Life“ – in Mugu eingerichtet. Genutzt werden vor allem die Gebäude der geschlossenen Schulen. „Manche Dörfer haben selbst kleine Verschläge abseits errichtet. Alle wichtigen Knotenpunkte innerhalb der Bergregion haben Checkpoints, die Tag und Nacht bewacht werden. So wollen die Bergbewohner verhindern, dass sich das Virus in ihren Dörfern ausbreiten kann.“ Mittler-weile habe man begonnen, auch in Mugu auf Corona zu testen. „Da wir unsere Geburtshäuser an Knotenpunkten errichtet haben, damit sie für möglichst viele Haushalte erreichbar sind, nutzt die Behörde unsere Infrastruktur. Sie bauen die Teststation im Freien vor dem Geburtshaus auf. Leider wurde auch in Mugu schon positiv getestet.“

So gut es geht versucht der Verein, seine Patenkinder und deren Familien auch während der Corona-Krise zu unterstützen. Den siebenjährigen Zwillingen Ganga und Jamuna aus Nuwakot und ihrer Schwester Sunita geht es wie abertausenden Kindern zur Zeit in Nepal. „Unsere Patenkinder stammen aus ver-armten Verhältnissen und leiden deshalb stark unter der sechswöchigen Ausgangssperre. Es geht nicht darum, ob der kleine dunkle Raum zu eng oder es ihnen zu langweilig sein könnte – sie haben Hunger, und die Familie hat keine Vorräte mehr“, macht Stella Deetjen deutlich. Als der Lockdown begann, habe das Team die Mädchen aufgesucht und ihnen Malsachen, Stifte und Bücher mitgebracht. „Online-Unterricht für eine Überbrückung der schulfreien Zeit ist für die Dorfschulen Nepals utopisch“, so die „Back to Life“-Gründerin. Die Mutter der Mädchen hatte zu Beginn der Ausgangssperre noch Vorräte an Reis und Linsen für ungefähr zehn Tage angelegt. Zu mehr hatten die kargen Ersparnisse nicht gereicht. „Kein soziales Netz fängt sie auf.Wie die restliche arme Bevölkerung Nepals leben die drei Schwestern und ihre Mutter ohne fließendes Wasser und Strom. Sie teilen sich einen winzigen Raum, der auch zum Schlafen und Kochen dient. Der liegt un-weit der Durchgangsstraße am Bazar. Jedes Mal, wenn Mina das Wasser für den täglichen Gebrauch in Kanistern herbeiholt, läuft sie Gefahr, von der Polizei aufgegriffen zu werden. Dann setzt es entweder Stockhiebe, sie wird mitgenommen, für einige Zeit in der Polizeistation festgehalten oder gezwungenermaßen für bis zu 21 Tagen in der nächstliegenden Quarantänestation untergebracht. Ihre Töchter haben jedes Mal Angst, dass ihre Mutter nicht wiederkommt“, schildert Stella Deetjen die aussichtslose Lage.

Als die Nahrungsmittelvorräte zu Ende gin-gen, brachte das Team von „Back to Life“ der Familie Reis, Öl, Linsen, Gemüse, Salz und Obst sowie Seife. „Unsere Mitarbeiter tun ihr Bestes, um sicherzustellen, dass unsere Patenkinder und deren Familien nicht hungern. Wen sie erreichen können, dem teilen sie Grundnahrungsmittel und Seife als Soforthilfe aus. Es ist sehr schwierig während der Ausgangssperre, und ich bin unserem Team dankbar, dass sie unseren Patenkindern weiterhin zur Seite stehen“, betont Stella Deetjen.

!„Back to Life“ hofft auf die Unterstützung von Spendern. Wer besonders notleidenden Familien helfen möchte, kann Geld für ein Hilfspaket (Reis, Linsen, Salz, Zucker, Öl, Seife) zur Verfügung stellen. Weitere Infos gibt es im Internet unter www.back-to-life.org oder per E-Mail an info[at]back-to-life[dot]org, Telefon 06172-6626997.

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