Neues Gewerbe auf altem Ackerland

Drei große rote X haben die Demonstranten mitgebracht zum Protest vor dem Bürgerhaus Kirdorf. Sie sollen symbolisch für unnötig versiegelte Ackerfläche stehen. Der Protest der überschaubaren Gruppe blieb friedlich in entspannter Atmosphäre, auch als die hitzig emotionale Debatte im Saal begann. Foto: js

Von Jürgen Streicher

Bad Homburg. Sorge um wertvolles Ackerland in einer Frischluftschneise am westlichen Stadtrand prallt auf die Sorge um die wirtschaftliche Zukunft der Stadt. Die Idee von neuem Gewerbe auf altem Ackerland spaltet das Parlament und erhitzt seit ein paar Wochen die Gemüter in der Stadt. Am Tag vor dem wegweisenden Beschluss im Stadtparlament demonstrierten Umweltgruppen auf dem zur Debatte stehenden Gelände gegen die noch nicht genau definierten Pläne. Vor der Sitzung postierten sich Demonstranten vor dem Bürgerhaus Kirdorf, die Debatte im Saal verfolgten sie mit erhobenen Protestplakaten.

Wo jetzt noch Ackerland zwischen Kronenhof, Landratsamt und Hochtaunus-Kliniken die Landschaft im einstigen regionalen Grünzug auflockert, könnte im Lauf der nächsten Jahre ein weiteres Gewerbegebiet wachsen. Zumindest auf Teilflächen rund um den Kronenhof und östlich der Kliniken sowie auf einem Streifen entlang der Zeppelinstraße. So propagieren es CDU, SPD und FDP, mit deren Stimmen der Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan Nr. 143 „Gewerbegebiet südlich der Zeppelinstraße“ gefasst wurde. Im Stadtparlament votierten in der jüngsten Sitzung am vergangenen Donnerstag nach emotionaler Debatte 28 Parlamentarier für den Plan, 15 stimmten dagegen. Die Namen der Befürworter und Gegner wurden einzeln für das Protokoll notiert, die Bürgerliste Bad Homburg (BLB) hatte namentliche Abstimmung beantragt. „Nichts davon ist nachhaltig oder klimaneutral“, sagte BLB-Fraktionschef Armin Johnert. „Wer das mitträgt, darf diese Worte nicht verwenden.“

Im emotionalen Streit geht es um 18 Hektar an der Zeppelinstraße im B-Plan Nr. 143, die Flächen sind genau definiert. Jeder kann sich das auf der städtischen Homepage anschauen, die gestrichelten Linien markieren die beiden Flächen. Zwischen Pappelallee und Krankenhaus könnte sich die Stadt in einer Flucht noch Gewerbeareal vorstellen, auf der anderen Seite des riesigen Klinik-Geländes ist noch eine „Erweiterungsfläche Hochtau- nus-Kliniken“ eingetragen. Der größere Teil liegt rund um den Kronenhof, wodurch die letztlich bebaubare Fläche auf rund zwölf Hektar schrumpfe, so die Befürworter. „Wir reden von einem schmalen Streifen entlang der Zeppelinstraße, so steht es auch im CDU-Programm“, sagte Oberbürgermeister Alexander Hetjes, der sich in der Debatte heftigen Vorwürfen ausgesetzt sah.

Heftige negative Reaktionen bei BUND und Gruppierungen wie Naturschutzbund und „Fridays for Future“ hatte die Vision von neuen Gewerbeflächen am Stadtrand schon vor der Parlamentsdebatte hervorgerufen. Auf der anderen Seite verteidigten Verbände wie die Industrie- und Handelskammer (IHK) das Konzept als nahezu alternativlos, wenn die Kurstadt im zunehmenden Kampf um benötigte neue gewerbliche Flächen in der Metropolregion bestehen wolle. Dies ist auch die Argumentation von OB Hetjes, der nach den sehr emotionalen kritischen Beiträgen von Johnert und der Sprecherin der Grünen, Eva Wingler, als Erster für die Seite der Befürworter das Wort ergriff. Hetjes verwies auf den „dramatischen Rückgang der Einnahmen durch die Gewerbesteuer“, in diesem Jahr um rund 30 Millionen Euro, dies werde bis 2024 auf minus 45 Millionen Euro steigen, so die Prognose. Hetjes: „Wir sparen, aber das Sparen hat Grenzen. Wir brauchen dringend neue Entwicklungsflächen oder höhere Steuern.“

Auf der anderen Seite verwies Wingler auf den großen Leerstand bei Gewerbeimmobilien, etwa am Südcampus, in der Siemens- und Werner-Reimers-Straße, in der Justus-Liebig-Straße und an anderen Stellen im Stadtgebiet. „Wir haben Flächen, es gibt jede Menge, für jeden Geschmack ist etwas dabei. Sie lassen die Braut stehen und schnappen sich eine neue vom Acker.“ Gegenargument Hetjes: „In die alten Gebäude aus den 80er- und 90er-Jahren will keiner, gesucht sind moderne Büroflächen wie etwa im E-Bau am Bahnhof. „Wir suchen Wege gegen spätere Krisen, wenn wir alles wissen, werden wir rechts und links abwägen“, sagte Clemens Wolf (CDU). „Wir werden Sie alle im gesamten Entscheidungsprozess ernsthaft mitnehmen“, versprach Tobias Ottaviani (SPD) allen Kritikern und der gesamten Bürgerschaft. Bis dahin solle alles „anständig geprüft werden“, dafür gelte das Ja seiner Fraktion jetzt, für mehr noch nicht. Dies unterstrichen auch Hetjes und die FDP-Redner Rudolf Pietzke und Phillip Herbold.

Mit dem nun erfolgten Aufstellungsbeschluss können Verhandlungen beginnen. Kommt die Stadt an die Grundstücke oder nicht, bisher gehören sie ihr nicht. Die ins Auge gefassten Flächen setzen sich aus vielen, teils kleinparzelligen Flurstücken zusammen, die von verschiedenen Landwirten meist in Pacht bestellt werden. Kronenhof-Eigentümer Hans-Georg Wagner gehört zu den Eigentümern der in Rede stehenden Flächen, kirchliche Frankfurter Stiftungen sind die größten Eigentümer. Eine Idee ist, den betroffenen Landwirten über einen Ringtausch mit der Hessischen Landesgesellschaft (HLG) alternative Flächen auf der anderen Stadtseite in Richtung Wetterau anzubieten. Kalkuliert wird mit einem Prozess, der sich über fünf bis zehn Jahre hinziehen dürfte.

Weitere Artikelbilder



X